Klimaforscher und Umweltwissenschaftler allgemein, nehme ich an, leben im ständigen Bewusstsein, dass wir uns als Gesellschaft in die falsche Richtung bewegen. Wir verbrauchen unsere endlichen Rohstoffe, als wären sie erneuerbar, verschmutzen unsere Luft, Meere und Landschaften und leben auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder, deren Leben von unserer Untätigkeit geprägt sein werden. So wie viele dachte auch ich lange: Jemand wird sich schon darum kümmern. Dafür sind Politiker ja da. Die regeln das schon.
Und lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass das auch stimmt. Von Ulysses S. Grant und Theodore Roosevelt vor über hundert Jahren bis Barack Obama, US-Präsidenten haben sich schon lange für die Umwelt eingesetzt: die ersten Nationalparks und Naturschutzgebiete, strengere Emissionsregeln, mehr Klimaschutz. George Bush Senior unterstützte den ersten Weltklimabericht 1990, und unter George W. Bush wurden die politischen Grundsteine für eine Reihe von staatlichen Klimainstituten gelegt, obwohl viele Amerikaner dem Klimawandel skeptisch gegenüberstanden. An einem dieser Institute promovierte ich 2018. Kein Grund zur Sorge, dachte ich. Doch das änderte sich am 8. November 2016.
Trumps Lügen und deren Folgen
Im Gegensatz zu manchen Politikern verzichtete Donald Trump oft darauf, seine Abneigung gegenüber erneuerbaren Energien oder Klimaforschung mit Pseudowissenschaft oder raffinierten Statements zu untermauern. Stattdessen verbreitete er einfach unverhohlene Lügen: haarsträubende Behauptungen, dass der Lärm von Windrädern Krebs verursacht, Spekulationen, dass der Coronavirus mit Desinfektionsmitteln oder UV-Licht bekämpft werden könne, oder Verschwörungstheorien, dass weit verbreiteter Wahlbetrug zum Sieg von Joe Biden führte. Die Tatsache, dass Trumps Anwälte Dutzende Klagen zum Wahlbetrug verloren hatten und inzwischen Wahlkontrolleure in allen Bundesstaaten Joe Bidens Sieg bestätigten, beirrt ihn nicht im geringsten. Factcheck.org, eine von mehreren Webseiten, die Aussagen von Politikern auf Richtigkeit überprüfen, listet über 1.200 Behauptungen, die Donald Trump seit Bekanntgabe seiner Kandidatur im Juni 2015 in die Welt setzte. Doch dank seiner digitalen Sprachrohre haben die Korrekturen dieser Fact-Checker ungefähr so viel Wirkung wie eine Richtigstellung in der Boulevard-Presse.
Als Wissenschaftler ist seine Antipathie gegenüber Expertenberichten und Forschern besonders schwer zu verkraften und schlugen sich stark auf die Arbeitsmotivation nieder. Vergangenes Jahr veränderte er Warnungen seiner eigenen Wetterbehörde NOAA zum Wirbelsturm Dorian. Als deren Meteorologen ihm widersprachen, ordnete er eine Untersuchung an und zwang sie, eine Korrektur herauszugeben, die ihm effektiv Recht gab. Im Sommer bezweifelte er, ohne Belege, dass die diesjährigen Waldbrände im Westen der USA durch den Klimawandel verstärkt wurden – trotz wissenschaftlicher Studien, die einen klaren Zusammenhang zeigen. Im Oktober, kurz vor der Wahl, ernannte Trump einen bekannten Klimawandelskeptiker zum neuen wissenschaftlichen Leiter der US-Wetter- und Klimabehörde, der damit Richtungsgeber dafür wird, wofür die Behörde ihre Forschungsressourcen einsetzt – und wofür nicht. Seit Februar spielt er vehement die Gefahr von COVID-19 und die Wirkung von Gesichtsmasken herunter, selbst als die Todesfälle in den USA im Frühjahr und Herbst rapide anstiegen. Im Oktober wurde berichtet, er habe seit Monaten an keinem Treffen seiner COVID-19-Task-Force teilgenommen.
Trumps monatelange Vorwürfe zum Wahlbetrug könnten schwerwiegende Folgen haben. Zeit-Autor Jochen Bittner beschrieb im November in einem Beitrag in der New York Times, wie Trumps Verschwörungstheorien, wenngleich ohne Beweise, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in den USA ernsthaft schaden könnten. Ähnlich der Dolchstoßlegende in der Weimarer Republik könnten Trumps Behauptungen, die von vielen Amerikanern für wahr gehalten werden, zu einer tiefen Spaltung der US-Gesellschaft führen. Im extremen Fall, argumentiert Bittner, könnten politisch Andersdenkende, ähnlich der Juden im Deutschen Reich, als Staatsfeinde gebrandmarkt und verfolgt werden.
Die mentale Last, die viele Wissenschaftler tragen, ist, dass wir vieles verstehen, aber letztendlich wenig zu ändern im Stande sind. Unsere Arbeit spielt sich oft in abstrakten Modellen, Jahrzehnte in der Zukunft ab, fernab von aktuellen Entscheidungen. Viele Klimaforscher scheuen außerdem das Rampenlicht, um nicht in ideologische Kreuzfeuer zu geraten. Auch wenn sie oft zur Wahrheitsfindung beitragen könnten, meiden viele Fachgespräche mit der Öffentlichkeit, die oft ein anderes Vokabular erfordern als wissenschaftliche Konferenzen und Veröffentlichungen. Forscher, die sich zudem öffentlich zu politisch kontroversen Themen äußern, laufen Gefahr, ihrer wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit zu schaden.
Trumps Ausländerpolitik
Was bei Donald Trump besonders schwer hinzunehmen ist, ist der offene Rassismus seiner Regierung gegenüber Ausländern und Einwanderern, besonders Studenten, Forschern und Touristen aus islamischen Ländern wie dem Irak, Sudan oder Iran. Bereits vor Beginn von Trumps Amtszeit mussten Universitäten besorgte ausländische Studenten über mögliche Reisebeschränkungen aufklären. Viele iranische Freunde und Kollegen, die in den USA studieren und forschen, mussten damals mit Ausweisung rechnen und konnten seit 2017 das Land nicht verlassen oder Familienmitglieder empfangen, egal ob zu Weihnachten oder anderen Feiertagen, zum Uni-Abschluss oder zu Hochzeiten, da aufgrund ihres Visa-Status’ die Wiedereinreise in Gefahr war. Über die menschlichen Folgen wird nur selten berichtet.
Trumps Ausländerpolitik steuerte oft orientierungslos umher, getrieben davon, was ihm im jeweiligen Moment politische Pluspunkte einbrachte. Im Januar 2019 zum Beispiel versicherte er hochqualifizierten ausländischen Arbeitern, wie mir, einen Weg vom Arbeitsvisum zur Staatsbürgerschaft, der jedoch bereits existierte. Gut ein Jahr später, als das Coronavirus 22 Millionen Amerikaner arbeitslos machte, setzte er die Ausstellung von Green Cards und später auch Arbeitsvisa aus, um weniger Konkurrenz für amerikanische Arbeiter zu schaffen. Bejubelt von konservativen Medien war dieser Schritt jedoch mehr zur Schau, da die Anzahl Arbeitsvisa und Green Cards, die nicht ausgestellt wurden (insgesamt ca. 781.000), zum Zeitpunkt der Ankündigung nur gut drei Prozent der arbeitslos gemeldeten Amerikaner entsprachen. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Zudem werden die wenigsten Arbeitsvisa für die Stellen ausgestellt, die vom Coronavirus betroffen sind.
Am schmerzhaftesten ist es, wenn Freunde, Bekannte oder Verwandte auf Facebook die Ansichten von Donald Trump teilen und seine Handlungen befürworten. Oft sage ich mir, dass sie von seiner Rhetorik getäuscht werden und nicht wirklich dahinterstünden, wenn ihnen die wahre Absicht klar wäre. Aber nach vier Jahren bin ich mir da nicht mehr so sicher. Als im November 74 Millionen Amerikaner an der Wahlurne Donald Trump den Vorzug vor Joe Biden gaben, sagte ich mir, dass sie ihn wählten, weil sie in der Öl- und Gas-Branche arbeiten, weil sie von seinen Steuersenkungen profitierten oder weil ihnen seine starke Stellung gegenüber China oder dem Iran zusagte. Dass sie ihn nicht wählten, weil sie seine sexuellen Eskapaden, seine Einstellung zum Klimawandel oder seine rabiate und unberechenbare Art unterstützen. Doch wie ich es auch drehe und wende, irgendwie nehmen die, die ihn wählten, letzteres billigend in Kauf, als sie sich für ihn entschieden.
Joe Biden wird nach seiner Vereidigung am 20. Januar viel zu tun haben. Er muss die USA aus der Corona-Krise führen, Arbeitsplätze schaffen und die USA international wieder als verlässlichen Partner etablieren. Allem voran aber muss er ein geteiltes Land, das in den vergangenen vier Jahren nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich stärker polarisiert wurde, wieder vereinigen.
Nachdem Trump im Wahlkampf 2015 und 2016 monatelang über politische Kontrahenten, Medien, Bundesrichter und sogar seine eigene Partei herzog, versprach er bei seiner Amtseinführung mit einem Bibelzitat, die politischen Lager in den USA wieder zu vereinen.
Im Gegensatz zu Trump traue ich Joe Biden zu, dass er das kann. Und will.
Text & Fotos: Toni Klemm
Zum Titelfoto: Ein Wahlwerbungsschild für die Demokraten Joe Biden und Kamala Harris in Houston. Donald Trump streitet deren Sieg bislang ab.
Toni Klemm ist gebürtiger Vogtländer und arbeitet als Klimaforscher im US-Bundesstaat Texas. Von 2012 bis 2018 promovierte er an der University of Oklahoma in Geographie. Davor war er Student an der TU Dresden.
Gut und verständlich geschrieben. Schön, wenn man die Situation auch mal von einem Ausländer erklärt bekommt, wie er das so alles sieht, womit er sich so alles auseinandersetzten muss.