Wie mir Corona die DDR näherbrachte

Bückware: für ehemalige DDR-Bürger wohl ein bekanntes Alltagsphänomen, für mich, sechs Jahre nach dem Fall der Mauer geboren, etwas, das ich bisher nur aus Erzählungen meiner Eltern und Großeltern kannte. Seit ich denken kann, assoziiere ich Supermärkte hierzulande mit prall gefüllten Regalen. Alles, was das Herz begehrt, ist jederzeit verfügbar, ob Grundnahrungsmittel oder exotische Früchte aus Übersee. Dass es einmal an etwas mangeln würde, lag außerhalb meiner Vorstellungskraft.

Doch ich sage bisher, denn in Zeiten von Corona ist alles anders. Stichwort: Hamsterkäufe. So wie die Deutschen sich mit Nudeln und Toilettenpapier eindecken, hortet man anderswo Wein oder gar Marihuana. Die Medien zeugen in diesen Tagen von diversen Kuriositäten. Nun gehören mein Freund und ich jedoch generell eher zu der Sorte von Menschen, die beim Wocheneinkauf schon gezielt durchdenken, was sie in den nächsten Tagen essen könnten, und die entsprechenden Ingredienzen in den Wagen laden. Weitreichende Vorräte finden sich in unserem Haushalt so hingegen selten. Nicht nur in Sachen Lebensmittel … Und so wurde es bei Anbruch der vorletzten Rolle Toilettenpapier vor ein paar Wochen dann auch für uns Zeit für die Jagd.

Seltsam fühlte es sich an, durch die Dresdner Altmarkt-Galerie zu gehen, in der die meisten Geschäfte geschlossen waren. Eine überschaubare Menge an Leuten, diffuses Licht, abgesperrte Gänge und stillstehende Rolltreppen tauchten die Szenerie in eine Endzeit-Stimmung; dort, wo sich sonst Hunderte von Kaufwütigen drängeln und eine enorme Geräuschkulisse erzeugen, die nun einer gespenstischen Ruhe wich. Völlig verdattert betrat ich das erste Geschäft. Wenig überraschend hier der Anblick der Regale: gähnende Leere statt des Produkts meiner Begierde. Auch im zweiten Geschäft erwartete mich nichts anderes, als ich noch mit leiser Hoffnung um die Ecke bog. Aber ich wollte nicht kampflos aufgeben. Meine Chance: eine Verkäuferin vor den verwaisten Regalen. Und siehe da, auf Nachfrage führte sie mich zur Kasse und zog dahinter das letzte Paket des weißen Goldes hervor. Nun also konnte ich mir im Groben vorstellen, was es mit Bückware in der DDR auf sich hatte, auch wenn Toilettenpapier damals wohl nicht zur Mangelware gehörte und die Engpässe nicht dem sinnlosen Horten einiger Verzweifelter geschuldet waren.

Niemals hätte ich mir träumen lassen, wie stolz und glücklich ich einmal eine Packung Toilettenpapier nach Hause tragen würde. Gleichzeitig befiel mich die heimliche Angst, jemand würde mir die Packung auf offener Straße aus den Händen reißen. Man weiß ja nie, was in den Köpfen der Menschen vorgeht, gerade in Zeiten wie diesen. In Bezug auf die Hamsterkäufe wohl ausschließlich das eigene Wohl. Das andere vor leeren Regalen stehen, interessiert diejenigen, die sich derweil einen Jahresvorrat anlegen, augenscheinlich wenig. Dabei möchte man meinen, dass für alle genug da wäre, wenn jeder so viel kaufen würde, wie er tatsächlich in den nächsten ein bis zwei Wochen benötigt. So hat es vor Corona schließlich auch funktioniert. Doch vielleicht hat das Hamstern einiger Leute auch etwas Gutes. Zu sehen, welch Luxus es eigentlich ist, im Regelfall die Qual der Wahl zu haben. Toilettenpapier in unterschiedlichsten Duftrichtungen, 3-, 4- oder 5-lagig, extra weich – was man nicht alles haben kann. Heute freue ich mich, wenn ich überhaupt welches ergattern konnte. Und sei es noch so dünn und kratzig.

Text: Marie-Luise Unteutsch

Foto: Amac Garbe

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