Vom Fernfahren und Fernsein

Berlin. Die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten und des Verkehrschaos, zu Zeiten von Corona sogar mehr als ohne. Stadt der Mikrozentren, Massenkultur und Memorials. Berlin-Südkreuz. Der zweite Verkehrsknotenpunkt meines Lebens, neben dem Hauptbahnhof in Dresden. Denn seit vier Jahren führe ich eine Fernbeziehung. Mit Brandenburg, nahe Berlin.

Ich habe mir das nicht ausgesucht, und mein Partner auch nicht. Ich habe die Entscheidung getroffen, die für meinen Teil der Beziehung am besten ist. Ich bin in Dresden beruflich und emotional gefestigt; ich habe Freunde und mache Kultur; ich beobachte gern, wie sich in Dresden Kunst jenseits des Mainstreams entwickelt. Ich möchte das nicht missen. Und ich weiß auch, dass mein Partner einen tollen Job hat, der ihn interessiert und glücklich macht. Ich könnte ihn mir nur schwer irgendwo anders vorstellen.

Ich habe mich an die Kommunikation gewöhnt. An Chats, SMS, sogar an Bildtelefonie. War mir Skype früher unheimlich, schaffe ich es mittlerweile, eine Stunde zu reden, ohne dass es sich komisch anfühlt, den anderen nur zu sehen, aber nicht berühren zu können.

Aber dann gibt es Tage. Es gibt Tage, an denen alles schiefgeht. Der Verkehr streikt. Probleme auf Arbeit, die sich bis Feierabend nicht lösen lassen. Freundinnen, mit denen es gekracht hat. Oder die Tatsache, dass es einfach ein Scheißtag ist, ohne erkennbaren Grund. In solchen Momenten wäre es schön, wenn jemand da wäre, der mich in den Arm nimmt. Der sich Zeit nimmt. Aber eine Fernbeziehung gleicht oft zwei Kurven, von denen man sich wünscht, dass sie sich mal kreuzen, was aber nicht immer klappt.

Treffen sind ohnehin schwierig. Urlaubszeiten müssen aufeinander abgestimmt werden, berufliche Termine, Freizeit. Und Zeit, um Pause zu machen. Chaotisch wird es auch, wenn wir zusammen in den Urlaub fahren und getrennt von unserem Zuhause aufbrechen wollen. Zu koordinieren, wer welchen Zug nimmt und wo man sitzt, damit man sich trifft, das ist ein Puzzlespiel.

Und wenn wir Zeit zusammen verbringen, füllt sich meine imaginäre Tabelle und ich rechne ständig, wie viele Minuten noch bleiben. Gehen wir essen oder liegen wir auf der Couch? Treffen wir uns mit Freunden oder gehen wir ins Museum? Wie lange können wir schlafen, damit wir unsere Züge nicht verpassen? Würden wir am gleichen Ort leben, könnten wir alles nacheinander tun. Oder auf den nächsten Tag verschieben. Wir könnten kurz zum anderen gehen, uns einen Gute-Nacht-Kuss geben und dann glückselig durch die Stadt schlendern. Wir könnten Mittagspausen zusammen verbringen und uns beim Zahnarzt die Hände halten. Ich müsste nicht hoffen, dass es für uns beide ein schönes Wochenende war, ich wüsste, dass wir am nächsten Tag weitermachen können.

Das Kundenmagazin der Bahn hat kürzlich genau darüber einen Artikel veröffentlicht und ein Paar vorgestellt, dass sich seine Beziehung nur mit getrennten Wohnsitzen vorstellen kann. Vielleicht bin ich so Mensch. Aber manchmal nervt es mich, wie viel Zeit ich mit Planen verbringe, anstatt zu genießen. Dass es Brandenburg, fast Berlin, also immer mit einem Fuß am Rande der Zivilisation ist, macht es nicht leichter.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

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