Verschoben, abgesagt, ausgesetzt

Schulen sind zu, Universitäten im Notbetrieb, Betriebe in Kurzarbeit: Corona bringt die Pläne von jungen Leuten durcheinander. Ein Überblick.

Emilie Herrmann saß gerade in der Bibliothek und hat für eine Klausur gelernt, als plötzlich die Durchsage kam: „Wegen der Corona-Pandemie schließt die SLUB bis auf Weiteres.“ Herrmann studiert im 10. Semester Oberschullehramt für Deutsch und Geschichte an der Technischen Universität Dresden. Die anstehenden Prüfungen: verschoben, Termine unbekannt. Die Abgabe ihres ersten Staatsexamens: einen Monat später. Eigentlich sollte Herrmann am 1. September in ihr Referendariat starten, aber jetzt weiß sie nicht, ob sie die Zeugnisse und die Bestätigung vom Arzt rechtzeitig bekommt. „Wir lernen auf Risiko und fürs Ungewisse“, sagt sie. Wie ihr geht es vielen jungen Menschen im Freistaat.

Schüler: Prüfungen finden statt

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat sich Ende März darauf verständigt, dass die schriftlichen Abiturprüfungen in allen Bundesländern stattfinden sollen – entweder zum geplanten oder zu einem Nachholtermin. Der Beschluss gilt auch für die Abschlussprüfungen an Oberschulen. Diese Linie hat Kultusminister Christian Piwarz (CDU) seit Beginn der Krise für Sachsen verfolgt. „Wir wollen kein Notabitur“, sagte er. In der Woche nach Ostern starten in Sachsen wie in sieben weiteren Bundesländern die Abiprüfungen, zunächst mit Physik, Religion und dem Graecum. Die Schüler müssen aber nicht am Ersttermin teilnehmen, sondern können auch bei einem der Nachholtermine ab dem 13. Mai mitschreiben.

Ausbildungsstart: flexible Lösungen

Die Kultusministerkonferenz hat versichert, dass die Länder ihr Abitur gegenseitig anerkennen. Zudem hat sie beschlossen, die Termine für das Bewerbungs- und Zulassungsverfahren an den deutschen Unis im Wintersemester 2020/21 anzupassen. Die Vorlesungen sollen erst am 1. November beginnen. Der Ausbildungsbeginn ist ohnehin flexibel, sagt Daniel Bagehorn, Pressesprecher der Dresdner Handwerkskammer (HWK). Die Ausbildung soll zwischen dem 1. August und dem 31. Oktober anfangen. Theoretisch kann man eine Ausbildung auch ohne Abschluss beginnen, sollte ihn dann aber nachholen.

Auszubildende: Prüfungen verschoben, eingespannt im Betrieb

Auch für Azubis läuft es gerade nicht wie geplant. Anne Neuendorf, stellvertretende Vorsitzende des DGB Sachsen, berichtet von vielen Azubis, die weiter im Betrieb eingebunden sind und zu Hause den Schulstoff bewältigen sollen. Prüfungen wird es aber vorerst nicht geben: Wie überall in Deutschland haben die Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden und die HWK alle Prüfungen abgesagt – die IHK verschiebt alle Abschlussprüfungen Teil 1, die in die Endnote einfließen und eigentlich im Frühjahr stattfinden sollten. Auch die schriftlichen Abschlussprüfungen für Sommer 2020 werden verschoben. Die Prüfungen sollen im Herbst nachgeholt werden. Zwischenprüfungen hat die Kammer ganz abgesagt. Die HWK verschiebt vorerst die Prüfungen, die bis zum 19. April stattfinden sollten – davon sind keine Gesellenprüfungen betroffen.

Laut Anne Neuendorf besteht die Gefahr, dass der Ausbildungsvertrag endet, bevor alle Prüfungen gelaufen sind. Dann stelle sich nicht nur die Frage, ob die Auszubildenden noch an die Materialen im Betrieb für die praktische Prüfung kommen, sondern auch, wie es mit der Übernahme aussieht. In solchen Fällen sollten die Ausbildungsverträge verlängert werden – darauf sollte es auch einen Rechtsanspruch geben.

Studenten: Abgesagte Prüfungen und längere Fristen

Die 13 sächsischen Universitäten und Hochschulen befinden sich im Notbetrieb. Labore, Seminarräume und Bibliotheken sind zu, Lehrveranstaltungen abgesagt. Die Prüfungen standen oft schon im Februar an, Verteidigungen können laut Pressesprecherin Kim-Astrid Magister an der TU Dresden auch via Skype durchgeführt werden. Im Wintersemester wurden Corona-bedingt 47 Prüfungen verschoben – von 13.000 bis 14.000 insgesamt. Eine genaue Zahl der Prüfungen gibt es laut Magister nicht. Das Sommersemester hat an der TUD wie geplant am 6. April begonnen – mit digitaler Lehre. Präsenzveranstaltungen gibt es bis mindestens 4. Mai nicht. Insgesamt sei die virtuelle TU gut gestartet, sagt Magister. Lutz Thies, studentisches Mitglied im Senat der TUD, sieht das anders. „Viele Studis haben uns von Problemen berichtet.“ Mal schicke der Prof einfach nur die Folien zum Selbststudium, mal verpasse jemand eine Vorlesung, weil der Zoom-Raum voll ist. Viele Studierende haben zu Hause schlicht kein schnelles Internet oder es springen den ganzen Tag Kinder umher.

Zudem: Wie sollen sie Belege und Abschlussarbeiten schreiben, wenn alles zu hat? Sie können etwa an der TUD einen Antrag auf Fristverlängerung stellen. Die Hochschule Zittau/Görlitz gibt Studenten mehr Zeit für die Themenwahl und erteilt Zulassungen für die Abschlussarbeit erst zum „gegebenen Zeitpunkt“. Bei der Berufsakademie (BA) Sachsen verweist Pressesprecherin Susanne Schulze auf Fernleihe und Online-Literatur. Sie gehe davon aus, dass alle Studenten ihre Abschlussarbeit wie geplant schreiben können. Die Lehre ist auch an der BA Sachsen auf digitale Formate bis hin zu Lehrvideos von Dozenten umgestellt, Prüfungen werden in spätere Semester verlegt.

Die Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden steht da vor besonderen Herausforderungen: Eigentlich bräuchten die Studierenden gerade Werkstätten und Ateliers für ihre (Abschluss-)Arbeiten – digitale Fotografie kann man online lernen, Restaurierung und Konservierung nicht. Deshalb entwickelt die HfBK neue Formate wie Foren, in denen sich die Studierenden ihre Kunst vorstellen und Konzepte für die Zukunft erarbeiten. Aber die künstlerisch-praktische Lehre lebe „in besonderem Maße vom direkten Austausch“, sagt Pressesprecherin Andrea Weippert. Viele Lehrangebote werden deshalb verschoben – das gilt auch für die Diplomprüfungen. Der Prüfungszeitraum soll aber innerhalb des Sommersemesters 2020 bleiben. Die Diplomausstellung öffnet dann Anfang Oktober für die Öffentlichkeit.

Ein Problem haben auch angehende Lehrer, die ihr Zweites Staatsexamen machen wollen: Zwar waren ihre Schulrechtsprüfungen Mitte März eine der letzten Prüfungen, die noch stattfanden. Ungewiss ist aber, ob sie ihre Lehrproben an den Schulen wie geplant machen können. Noch hält das Landesamt für Schule und Bildung an den Terminen fest, die alle nach Ostern liegen.

Auch für Studierende wie Emilie Herrmann im Ersten Staatsexamen wird an den Terminen für die mündliche Prüfung festgehalten – die Studierenden sind sich da aber nicht so sicher. Es sei „unklar, zu welchem Zeitpunkt und auf welchem Wege“ die Staatsexamensprüfungen erbracht werden können. So steht es in einer Petition von Lehramtsstudierenden, der Bildungsgewerkschaft GEW und Erziehungswissenschaftlern. Sie fordern die Reduktion des Staatsexamens auf die wissenschaftliche Arbeit. Normalerweise besteht es aus der mündlichen und schriftlichen Prüfung. Jetzt sei der „ideale Zeitpunkt“, um das zu ändern.

Alle: Finanzielle Sorgen

Viele Auszubildende sorgen sich laut Anne Neuendorf vom DGB um ihr Auskommen. Einige Betriebe hätten ihre Übernahmegarantien zurückgenommen. Zudem haben Azubis keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Wenn der Betrieb Kurzarbeit anmeldet, wird ihnen die Vergütung zunächst nur sechs Wochen weitergezahlt – einige Tarifverträge dehnen das aus, aber eine generelle Regelung gibt es nicht. Vom Kurzarbeitergeld für Azubis hält Neuendorf aber auch nichts, denn schon die normale Vergütung reiche für viele kaum zum Leben. HWK-Pressesprecher Bagehorn und sein Kollege Lars Fiehler von der IHK versichern, dass die Bezahlung der Auszubildenden sicher ist.

Finanzielle Sorgen haben auch die Studierenden, die „sich momentan nicht nur Sorgen um ihr Studium, sondern vor allem auch um ihr Einkommen machen“, sagt Lutz Thies. Viele haben ihre Nebenjobs verloren. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat schon im März versichert, dass alle BAföG-Leistungen weitergezahlt werden und Schüler, Studenten und Azubis, die BAföG beziehen, durch Corona keine finanziellen Nachteile haben sollen. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Nicole Gohlke hat die Ministerin zudem vorgeschlagen, Studierenden den Zugang zu Hartz IV zu ermöglichen. Normalerweise müssen sie dafür beurlaubt sein. Aus einer Härtefallklausel im Sozialgesetzbuch könne man aber eine Ausnahmeberechtigung auf ALG II ohne Beurlaubung ableiten. Das Deutsche Studentenwerk kritisierte den Vorschlag gegenüber dem Spiegel. Die Ausnahme möge zwar im Einzelfall klappen, sagte Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Er befürchtet aber, dass die meisten Studierenden direkt auf die Härtefallklausel verwiesen werden – dann bekommen sie aber nur ein Darlehen.

Zudem hat das Bundeskabinett beschlossen: Studierende mit Nebenjobs in systemrelevanten Branchen wie Medizin und Landwirtschaft müssen den Verdienst nicht mit dem BAföG verrechnen. „Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Lutz Thies. Denn die meisten Studierenden bekommen kein BAföG, haben aber trotzdem Finanzprobleme. „Was bis jetzt beschlossen wurde, greift viel zu kurz.“

Studierendenvertreter aus ganz Deutschland fordern in einer Petition, 2019 nicht abgerufene BAföG-Mittel für ein Soforthilfeprogramm zu verwenden. Das Quorum von 50.000 Unterzeichnern ist schon erreicht, die Petition geht jetzt in den zuständigen Bundestagsausschuss. Zudem hat sich die Konferenz Sächsischer Studierendenschaften zusammen mit anderen Interessenvertretungen zum „Bündnis Solidarsemester“ zusammengeschlossen, das nicht nur die Forderung nach finanzieller Absicherung vertritt, sondern auch für ein Nichtsemester plädiert. Das wäre ein „Alles kann, nichts muss“-Semester: Studierende können Prüfungen ablegen und Creditpoints erwerben – aber ob das Semester als Fachsemester zählt, wird individuell entschieden. Es könne schließlich auch sein, dass jemand zwar ausreichend Punkte erreicht, aber die Noten schlechter sind als unter normalen Umständen. „Die TU Dresden muss anerkennen, dass das ein Semester im Ausnahmezustand ist“, fordert Thies.

Text: Luise Martha Anter

Foto: Amac Garbe

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