Familie Kim ist zum Bodensatz der Gesellschaft hinabgesunken. Alle sind sie arbeitslos und hausen zusammen in einer schäbigen Kellerwohnung in Seoul. Dort quetschen sie sich in die obersten Winkel, um etwas WLAN abzugreifen. Dort falten sie auch mehr schlecht als recht Pizzakartons zusammen und wollen sich trotzdem für die miserable Arbeit bezahlen lassen. Das müssen sie ja schon sein, die Parasiten. So lassen sie auch absichtlich das Fenster auf, damit die Chemiewolke der städtischen Schädlingsbekämpfung hereinzieht und „umsonst“ ihre Behausung von Ungeziefer befreit. Doch wir sehen nur die Kims husten. Es fällt schwer, echte Sympathie für diese Familie zu entwickeln. Lachen muss man trotzdem über sie. Gleichzeitig ist es geboten, Contenance zu bewahren. Denn sich über Armut lustig zu machen zeugt nicht von hoher Charakterstärke. Willkommen zu Bong Joon-hos neuem Film, der einem diese Daumenschrauben über 130 Minuten immer fester anziehen wird.
Zunächst wirkt der Film, der dieses Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme gewonnen hat, wie eine zynische Gesellschaftssatire. Der Sohn der Familie (Choi Woo-shik) ergattert einen Job als Nachhilfelehrer bei der reichen Familie Park. Mit einer gehörigen Dosis Scharlatanerie gelingt es ihm, zuerst seiner Schwester und ebenso seinen Eltern Jobs bei den gutgläubigen Parks zu verschaffen. Der Klassenkampf wird dabei zunächst recht harmlos ausgetragen. Die Reichen sind freundlich und dankbar gegenüber dem neuen Personal und die Armen sind endlich aus dem Elend raus. Über die Klinge müssen erst mal nur andere springen. Die Kims lassen die Angestellten der Parks mit rabiater Betrügerei in Ungnade verfallen, damit sie sich als (unqualifizierter) Ersatz einnisten können.
Doch wer mit der Filmografie des Regisseurs vertraut ist, ahnt bereits die Eskalation ins Absurde und Gewalttätige. Sie schleicht um die Story umher wie ein Raubtier, welches auf den perfekten Moment wartet. Bong Joon-ho schafft hiermit eine geballte Faust von Suspense und setzt bedrohliche Zeichen, die Schlimmes prophezeien. Hier gibt es einen etwas zu harten Tritt, dort wird eine schwere allergische Reaktion absichtlich hervorgerufen und skurrile Charaktere poltern in das Geschehen herein und streuen Verunsicherung. Der Film tänzelt ein Ballett zwischen den Genres und der Zuschauer windet sich, weil er nicht weiß, ob sich hinter der Maske der schwarzen Komödie nicht doch eine harte, blutige Tragödie verstecken könnte.
Bong Joon-ho hat einen brillanten Gegenentwurf zu seiner Science-Fiction-Dystopie „Snowpiercer“ gedreht. Auch hier wurde der Klassenkampf geführt, aber von Anfang stehen alle Zeichen auf todbringende Revolution und schleunigst metzeln sich die eindeutig rechtschaffenen Armen durch die Horizontale des Zuges voran bis zum Heiligtum der grausamen Privilegierten im Führerhaus. In „Parasite“ ist der Gegensatz vertikal eingerichtet und der Aufstand sehr viel subtiler. Die Parks haben eine protzige Designerwohnung auf einem Hügel über der Stadt und den Kims gelingt der Aufstieg durch die geheime Unterwanderung. Und wenn der Starkregen einsetzt, werden die Sympathien beim Publikum verschoben. Denn die Parks erfreuen sich an der reinen Luft, während die Kellerwohnung der Kims mitsamt dem kompletten Viertel überschwemmt wird. Die Reichen, das sind hier keine Menschenverachter, doch durch ihre Naivität angesichts der gesellschaftlichen Schieflage üben sie eben doch Gewalt aus. Eine Schlüsselszene ist, wenn der reiche Vater (Lee Sun-kyun) sich über den penetranten Geruch des armen Vaters (darf natürlich bei Bong Joon-ho nicht fehlen: Song Kang-ho) beschwert. Diese Herabwürdigung brennt sich in das Gedächtnis des Armen ein. Doch wollen wir wirklich den Reichen kritisieren, wenn er nicht möchte, dass sein Angestellter stinkt?
Der Film stiehlt seinem Publikum unablässig seine Identifikationsfiguren, während sich das Raubtier der Eskalation immer spürbarer heranschleicht. Bong Joon-ho hat die Presse in einem persönlichen Brief gebeten, nichts weiter von dem Plot zu verraten. Daran halten wir uns hier – der Suspense sei Euer.
Text: Alexander Stark
Zum Foto: Für kostenloses Internet kriechen Ki-jung (Park So-dam) und ihr Bruder Ki-woo (Choi Woo-shik) in die entlegensten Ecken ihrer Behausung.
Foto: Koch Films
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