Campuskolumne

Filmfans hatten in den vergangenen Wochen die Qual (der Wahl). Unter anderen lockte das 61. Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm, kurz DOK Leipzig. Gut 300 Filme mussten sich gegen Stargast Werner Herzog und das Getöse rund um den Streifen über einen Dresdner Youtuber, der schließlich auch die Goldene Taube im Deutschen Wettbewerb langer Dokumentar- und Animationsfilm gewann, behaupten. Dabei gab es vieles, das nachdenklich machte. Bettina Borgfelds „Was kostet die Welt“ zum Beispiel. Die Regisseurin begleitet darin jahrelang das Leben auf der kleinen Kanalinsel Sark – bis vor circa zehn Jahren ein feudaler Staat und dann von zwei britischen Milliardären per Gericht zur Demokratie gezwungen. Die Inselbewohner*innen sind seither geteilter Meinung, die Wirtschaftskraft sinkt. Und das sind noch die harmlosesten Folgen.

Beryl Magoko erhielt für „In Search …“ den Filmpreis Leipziger Ring. Autobiografisch befasst sie sich darin mit einer Operation, die die körperlichen Folgen der Genitalverstümmelung weitestgehend rückgängig machen kann. Eine äußerst private Angelegenheit, die schätzungsweise 200 Millionen Mädchen und Frauen weltweit betrifft. Eine Frau steht auch im Mittelpunkt von Sergey Dvortsevoys „Ayka“. Eine Frau, die ihr Neugeborenes zurücklässt, weil sie Schulden hat und diese auf Teufel komm raus zurückzahlen muss. Ein Spielfilm aus dem „Osten“, weswegen er beim diesjährigen Filmfestival in Cottbus lief und nicht in Leipzig. Und wo er den Hauptpreis für den Besten Film abräumte.

Doch auch in Dresden wurde es zuletzt – im besten Sinne – filmisch ungemütlich. Beim MOVE IT! Filmfestival ging es um moderne Sklaverei, spirituelle Führerinnen oder um die Zwänge der Politik. Das ist oft informativ und manchmal auch unangenehm. Wirklich unbehaglich wurde es aber am letzten Abend des Festivals, als Menschen auf der Leinwand zu sehen waren, die sich dem IS entgegenstellen und das mit Flucht, Angst und Tod bezahlen. Oder als ein Film in langen Einstellungen und mit Off-Stimmen das Elend mittel- und südamerikanischer Flüchtlinge skizziert, die in der Sonora-Wüste regelrecht versengen.

Danach heißt es tief durchatmen und nicht den Mut verlieren. Natürlich sorgen dafür zum einen die Filme selbst. Ihre kämpferischen Protagonisten, die sich dem Unrecht in der Welt entgegenstellen. Die für Aufklärung sorgen. Die der Welt die andere Seite der Medaille zeigen. Das schaffen auch Filmgespräche, die den Austausch ermöglichen; dem Film eine Ebene in der eigenen Realität hinzufügen. Dafür sorgen letztlich Festivals, die Filme zeigen, die es im normalen Kinobetrieb schwer haben – und gleichzeitig mit dem internationalen Publikum in den Sälen zwischenstaatliche Diskussionen ankurbeln.

Das in Dresden frisch aus der Taufe gehobene und erst kürzlich über die Bühne gegangene No Hate Filmfestival ging folgerichtig noch einen Schritt weiter und brachte vor allem junge Menschen mit verschiedenen Hintergründen in Workshops zusammen. Austausch garantiert. Wem das noch immer nicht gelingen mag, dem sei das Credo einer auf Film gebannten Gesprächsrunde in Nordirland empfohlen, bei dem sich Republikaner und Unionisten gegenübersaßen: Denn zuallererst geht es darum, dem anderen zuzuhören (und -sehen), und noch nicht unbedingt darum, ihn zu verstehen.

Text: Nadine Faust

Foto: Amac Garbe

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