Jagen verbindet

Weibliche Studentenverbindungen sind selten. Frauen, die jagen, auch. In Tharandt bricht eine Studentinnenverbindung mit beiden Klischees. In der Verbindung gibt es dennoch traditionell feste Regeln.

Für studentische Verhältnisse sind Katharina und Elisa verdammt früh wach. Fünf Uhr morgens treten sie aus der Tür des Wohnheims und machen sich bereit, um die nächsten Stunden im Wald sehr lange sehr still zu sitzen. Jagen ist das wichtigste Prinzip der Jagdlich-Akademischen Damenverbindung „Skadi zu Tharandt“.

Katharina, die genau wie Elisa nur ihren Vornamen nennen will, war im Juni 2016 eines der Gründungsmitglieder der Studentinnenverbindung. „Wir wollten einen Weg finden, die Frauen mit Jagdschein in Tharandt irgendwie zusammenzuführen. Es gibt immer mehr Frauen, die jagen gehen“, erzählt sie. Zuerst hatten sie deswegen einen Jägerinnenstammtisch ins Leben gerufen, der hat sich aber nicht lang gehalten. Da kam den Studentinnen die Bekanntschaft mit Mitgliedern anderer Verbindungen entgegen, die ihnen das Wichtigste über das Verbindungswesen erklärten. Mit Einschränkungen, wie Katharina erklärt: „Die Satzung und bestimmte Rituale jeder Studentenverbindung sind geheim.“ Heute hat die Verbindung „Skadi zu Tharandt“ neun aktive Mitglieder, eins davon ist noch Fux. Das heißt, dass sie erst eine dreistündige schriftliche und eine mündliche Prüfung bestehen muss, um als vollwertiges Verbindungsmitglied, als „Dame“ in die Verbindung aufgenommen zu werden, erklärt die 20-jährige Elisa. „Einmal in der Woche gibt es deswegen die Fuxxnstunde.“ Dort lernt die Fux, was sie für die Prüfungen wissen muss. Wer eine Dame werden will, braucht außerdem einen Jagdschein. Den machen aber die meisten Studierenden der Forstwissenschaft in Tharandt ohnehin im Rahmen des Studiums.

Grün für die Jagd, Bordeaux für die Weiblichkeit und Weiß für Vertrauen

Die Frauen packen einen kleinen Picknickkorb mit Kuchen, heißem Kaffee und Broten. Nach der Jagd soll es ein kleines Frühstück im Wald geben. Sie stellen den Korb in den Kofferraum von Elisas Nissan, ein älteres Modell. Er steht direkt neben den Gewehren, die sicher verwahrt in ihren Futteralen liegen. Dann hängen sich Elisa und Katharina ihre dreifarbigen Verbindungsbänder um – Grün für die Jagd, Bordeaux für die Weiblichkeit und Weiß für Vertrauen – und fahren los.

Elisa findet, dass die festen Muster einer Studierendenverbindung die Studierenden gut aufs Leben vorbereiten. Für das Studium, sagt sie, sei sie von ihrer Familie weggezogen und die Strukturen im Studentenleben seien sehr frei. „Die Verbindung ist für mich eine Art Familie, die ich mir aussuchen darf. Sie kann nicht zerbrechen wie eine Freundschaft“, erklärt sie, das Lenkrad in der Hand. Hätten sie untereinander Probleme, müssten sie sie lösen. „Wir versuchen, einander und besonders die Fuxxn zu unterstützen“, ergänzt Katharina, „Nicht nur beim Berufseinstieg, sondern auch auf einer persönlichen Ebene.“ Elisa zum Beispiel sei immer sehr nervös gewesen, wenn sie auf einmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit habe stehen müssen. Deswegen habe sie in der Verbindung bei jeder möglichen Gelegenheit eine Rede halten müssen, ob geplant oder spontan. Mittlerweile könne sie ohne Probleme vor Menschen sprechen.

Die strenge Hierarchie

Wie in den meisten anderen Verbindungen spielt auch bei den „Skadis“ die Hierarchie innerhalb der Verbindung eine wichtige Rolle. Katharina sieht die Verbindung auch als „eine Art Erziehung“. Jeder in der Verbindung habe eine bestimmte Aufgabe. Es gibt eine Schriftführerin, eine Kassenwartin, die Fuxmajora, die die wöchentliche Fuxxnstunde hält – und die Seniora, die insgesamt das Sagen hat. Für das Meiste gibt es feste Regeln. Auch für die Kneipen, die bei den „Skadis“ etwa dreimal im Semester stattfinden. Kneipen, das sind Abende, an denen die Verbindung zusammenkommt, manchmal auch mit anderen Damenverbindungen oder Freunden außerhalb der Verbindung. Verbindungsschwestern müssen dabei jagdlich schick angezogen sein. Es wird nur Sekt, Wein und Wasser getrunken, „weil Bier nicht so weiblich ist“. Die Veranstaltungen beginnen festlich und mit Vorträgen, später wird es lockerer mit dem Fuxxnspaß, einer Art Gegenspiel zwischen Fuxxn und Damen. Dabei müssen die Fuxxn die Aufgaben erfüllen, die die Damen ihnen geben – beispielsweise Jagd- oder Studentenlieder singen oder spontan spaßige Vorträge halten. Nicht unbedingt, wie man sich einen Abend unter Studierenden heute vorstellt. An den Kneipen wird klar, dass auch die Damenverbindung sehr traditionell aufgebaut ist. Dennoch: Als Prinzipien der „Skadis“ nennt Katharina neben denen der Verbindungsfarben – Vertrauen, Weiblichkeit und die Jagd – auch Toleranz, Demokratie und Gleichberechtigung „im Rahmen der Hierarchie“. „Wir sind unpolitisch und religiös neutral“, betont sie.

Mord? Nein – Hegen und Pflegen

In der Dunkelheit rumpelt der Nissan mit den Gewehren über die schmalen Waldwege, die alle gleich aussehen. Links, rechts, vorne, hinten: überall ein schwarzes Dickicht aus hohen Bäumen und Sträuchern. Es geht auf Ansitzjagd, also auf den Hochsitz. Um bei der Ansitzjagd etwas zu sehen, müsse man Glück haben, sagt Elisa. „Oft geht man heim, ohne ein einziges Stück Wild gesehen, geschweige denn geschossen zu haben.“ Aber der Jagderfolg sei auch nicht das, worum es beim Jagen hauptsächlich ginge. Auch der Respekt vorm Wild gehöre dazu. Elisa ist wichtig, zu betonen, dass sie sich der Verantwortung des Jagens bewusst ist: Richter über Leben und Tod zu sein. Isst sie das Fleisch, das sie schießt, eigentlich auch selbst? Elisa lacht. Sie ist auf dem Dorf aufgewachsen, in einer Familie, die schon seit vielen Jahren jagen geht. Das Fleisch danach auch zu essen, das gehöre dazu. Jagen ist für sie kein Mord, sondern „Hegen und Pflegen“, wie es in der Waidmannssprache heißt. Hegen, das bedeutet, krankes Wild zu erlösen oder übergroßen Wildbestand zu dezimieren. Mit Pflege meint man beispielsweise die Fütterung des Wildes in Notzeiten. Für Elisa alles nichts Neues. Auf dem Dorf, sagt sie, ist es einfacher, sich zugehörig zu fühlen, als in der Stadt. Sie ist froh, dass sie in Tharandt lebt, wo man sich kennt, und nicht im nahe gelegenen Dresden. „Mein Zuhause war evangelisch und recht traditionell geprägt“, sagt sie, die Werte habe sie sich beibehalten. Heiraten, eine Familie gründen, das sei ihr wichtig. Nur vorm Herd stehen, das möchte sie jedoch nicht. Eine gute Mischung aus Altem und Neuem, so könne man es ausdrücken. Und obwohl sie es anderen Jägerinnen leichter machen will – sie ist keine Feministin. Sie findet nicht, dass sie für die Rechte der Frau kämpft. „Wir wollen ein Miteinander statt ein Gegeneinander von Mann und Frau.“ Frauen und Männer, meint sie, seien mittlerweile doch gleichberechtigt.

Immer wieder schaut Elisa angestrengt in die Ferne und sucht mit den Augen den Wald ab, der sie schweigend in sich aufgenommen hat. Manchmal, wenn sie ein Knacken hört, schreckt sie hoch. Aber es sind immer nur Eichhörnchen, die sich auf den falschen Ast vorgewagt haben. „Das“, flüstert sie irgendwann, „genieße ich an der Jagd. Diese Ruhe im Wald, die Natur um uns herum.“ An diesem Morgen begegnet ihr kein Wild.

Politische Diskussionen werden vermieden

Später sitzen die Mädchen an einem Picknicktisch im Wald und wärmen ihre Hände an den heißen Kaffeetassen. Sie reden über das schlechte Bild, das viele von Verbindungen haben. Bisher, sagen Elisa und Katharina, sei ihnen noch keine Verbindung begegnet, die rechtsextreme Ansichten vertreten habe. Sollten sie auf eine treffen, würden sie sich aber fernhalten. „Wir wollen da nicht mit reingezogen werden“, meint Katharina. Die „Skadis“ selbst legen Wert auf ihre politische Neutralität. Dass sie noch nicht auf eine rechte Verbindung gestoßen sind, kann also auch damit zusammenhängen, dass sie als Verbindung politische Diskussionen vermeiden. Politische Statements und politisches Engagement gehören nicht in die Verbindung, finden sie. „Im Privaten kann ja jeder machen, was er will, aber mit der Verbindung hat sowas nichts zu tun“, erklärt Katharina. Sie findet, jeder solle das auseinanderhalten können.

Sie selbst habe auch noch keine kritischen Kommentare von anderen, männlichen Studentenverbindungen gehört, weil sie als Frauen entgegen der Tradition eine Verbindung gegründet haben. „Es gibt diese Männerverbindungen, die der Meinung sind, dass Frauen nicht in Verbindungen gehören. Aber mit denen haben wir dann natürlich von ganz alleine nichts zu tun“, macht Katharina deutlich. Eine geschlechtergemischte Verbindung kommt für sie nicht in Frage: „Wenn man unter sich ist, ist das noch mal ganz anders. Man kann über viel privatere Sachen reden.“ Oft würden sie auch Mädelsabende veranstalten und gemütlich einen Film anschauen. Da wäre die Atmosphäre mit Männern einfach eine andere, fügt sie hinzu. Welche Filme laufen denn so auf dem Filmabend einer jagenden Damenverbindung? „Jagdfilme natürlich!“, sagt Katharina und grinst.

Text & Fotos: Alisa Sonntag

3 Gedanken zu “Jagen verbindet

  1. Wer ist denn auf die Idee gekommen, dass Feminismus ein Gegeneinander von Frau und Mann sei? Oder, dass es etwas mit Feminismus zu tun habe, wenn sich Frauen in einer jagenden Verbindung zusammen schließen würden? Feminismus ist der politische Bemühen, um die Gleichberechtigung der Geschlechter – gegen ein System das Geschlechterrollen auffruft, in die sich Menschen nicht einfügen wollen. Damit fördert es die Freiheit von Menschen, Burgfrieden, unabhängig ob sie sich feminin, maskulin, nichts davon fühlen. Sodass Männer, Frauen oder sonst wer allen Interessen nach gehen können: jagen, schnacken, Sekt und Bier trinken.

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