Bachelorstudium in Dresden, für den Master nach Hamburg. Was am Unileben dort anders ist und warum man die SLUB vermissen kann, den Rest der TU Dresden aber nicht.
Die Studierenden streiken. Nicht alle, aber einige. Sie haben mehrere Gebäude auf dem Campus besetzt. In dem Haus, in dem meine Kurse sind, findet im ersten Stock kein Unterricht statt. An den Wänden hängen Plakate. Sie fordern die Abschaffung des Numerus clausus und Uni für alle. Auch mein Seminar fällt aus. Denn der Raum, in dem es stattfinden sollte, wurde von den Streikenden zum Awareness-Raum erklärt. In Großbuchstaben steht dort QUEER LIBERATION an der Wand, im Raum liegt eine Matratze und auf ihr ein großer Plüschhund. Der Mensch am Infotisch erklärt mir: Dort können sich die Besetzer*innen Beistand holen. Den Infotisch haben die Streikenden so platziert, dass er den Eintritt zum Gang fast versperrt. Da ich auf Toilette muss, drängele ich mich trotzdem durch.
Der Streik war im Mai. Nach einigen Wochen Raumchaos ist wieder Alltag eingekehrt. Gerade sind ja sowieso Semesterferien. Seit fast einem Jahr studiere ich im Master Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg. Das ist anders als an der TU Dresden. In meinen vier Jahren Bachelorstudium in der sächsischen Landeshauptstadt habe ich nie einen studentischen Streik erlebt. Allerdings gibt es in Dresden auch kein Gebäude nur für Sozialwissenschaftler*innen. Soziolog*innen, Politik- und Kommunikationswissenschaftler*innen sind über den Campus verstreut. Ich erinnere mich an ein Sommersemester, in dem ich jeden Donnerstag vom Kino im Kasten zum Falkenbrunnen nach Plauen gefahren bin, um dann wieder zum Bürogebäude Zellescher Weg zurückzufahren. Nur mit dem Fahrrad habe ich das einigermaßen pünktlich geschafft. In Hamburg pendele ich zwischen wenigen Gebäuden, die auf dem Campus nah beieinander liegen.
Studieren im Pferdestall
Das Gebäude der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften heißt an der Uni Hamburg Pferdestall. Früher war es wohl wirklich einer. Im Mai hingen aus den Fenstern Banner mit den Aufschriften „besetzt“ und „autonome Uni“.
Das große Ziel der Streikenden ist es, eine autonome Uni zu schaffen. Sie haben eine ganze Liste von Forderungen – unter anderem mehr Geld für Bildung und mehr Freiräume. Dabei existieren (immerhin) mehr Freiräume als in Dresden – so mein Eindruck. Im Pferdestall gibt es einen Hörsaal, der schon 1988 besetzt wurde. Seitdem heißt er T-Stube und ist mit alten Sofas und Tischen vollgestellt. An den Wänden schlängeln sich bunte Graffiti und es riecht nach Gras. An der kleinen Bar hole ich mir einen Kaffee. „Spendenempfehlung: 40 ct“ lese ich.
Freiräume wie die T-Stube sind mir auf dem Campus in Dresden nicht begegnet. Erst recht nicht in dem Gebäude, in dem mein Institut für Soziologie saß. Der Falkenbrunnen ist ein Bürogebäude. Graue Teppiche, weiße Wände – funktional eben.
Für die Soziologie in Dresden war nie viel Geld übrig. Die Situation der Mitarbeiter*innen war prekär. Das wirkte sich auf die Lehre aus. Einmal stellte ein Dozent gleich zu Anfang des Seminares klar: Sein Vertrag laufe Ende Dezember aus. Die Verlängerung sei unsicher. Wer eine Prüfungsleistung ablegen wolle, solle sich lieber nach anderen Seminaren umsehen. Was dahintersteckt, haben wir auf Campusrauschen schon mal genauer recherchiert.
Doch auch mein Masterstudiengang ist nicht perfekt. Er ist vor allem sozialwissenschaftlich angelegt. Empirische Forschungsmethoden und ein Grundstock von Theoriewissen sind Voraussetzung. Allerdings wurden Leute aus sehr unterschiedlichen Bereichen zugelassen – Lehramt, Jura, Soziologie, Islamwissenschaft, Geschichte. An sich führt das zu einer interessanten Zusammensetzung. Aber: Einige hören zum ersten Mal von empirischen Forschungsmethoden. Sollen diese jedoch am besten anwenden können. Das passt nicht zusammen. Es frustriert viele, weil einige kein Land sehen und andere von Wiederholungen gelangweilt sind.
Schickes Viertel, teures Leben
Ein Pluspunkt wiederum: Direkt neben dem Pferdestall ist ein Kino. Manchmal weht der Duft von Popcorn durch die Fenster. Der Hauptcampus liegt in dem Viertel Rotherbaum – einer der schicksten und teuersten Stadtteile Hamburgs. Dort gibt es Boutiquen, Bäckereien, Restaurants, Botschaften und Konsulate. Es ist grün und ruhig. Zur Alster läuft man wenige Minuten. Mein persönliches Highlight: die italienische Eisdiele gegenüber des Kinos.
Im Vergleich zum Dresdner Campus finde ich es hier schöner. Dafür ist es teurer. Der Semesterbeitrag liegt in diesem Sommersemester bei 325 Euro. Ich zahle über 100 Euro mehr Miete für eine kleinere Wohnung. Der Hochschulsport kostet je nach Karte zwischen 52 Euro (SportsCard) und 105 Euro (SchwimmCard) pro Semester. Für den Preis kann man alle Kurse in dem Bereich besuchen.
Was auffällt: Studieren in Hamburg ist viel internationaler. Meine Kommiliton*innen in Dresden kamen vor allem aus Deutschland. Nun studiere ich mit Menschen aus der Türkei, Syrien, Afghanistan und der Ukraine. Genauso ist es in meinem Nebenjob beim NDR. Dort arbeite ich mit Studierenden aus China und Brasilien zusammen.
Der Umgang mit den Dozent*innen ist lockerer und persönlicher. Mit den meisten bin ich per Du. Das haben sie gleich in der ersten Seminarstunde angeboten. Vielleicht liegt das auch daran, dass mein Masterstudiengang viel kleiner ist als mein Bachelorjahrgang. Mit 30 Leuten fühle ich mich fast wie in der Schule.
Bibliotheken und Kartenchaos
Bei all den Dingen, die mir in Hamburg gut gefallen, vermisse ich eine Institution aus Dresden: die SLUB! Sie ist um so vieles schöner und intuitiver zu benutzen als die Unibibliothek in Hamburg. Das Pendant zur SLUB heißt Stabi. Das steht für Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Sie ist altbacken, verwinkelt, lädt zum Verlaufen ein. In der Regel bestelle ich Bücher, hole sie schnell ab und fliehe aus dem dunklen Gebäude. Die SLUB hingegen wirkte auf mich einladend und gut sortiert. In Freistunden habe ich dort gern im Sessel gechillt oder mich ins Café gesetzt. In der Stabi möchte ich nicht mehr Zeit verbringen als unbedingt nötig.
Ein großes Thema in Dresden ist der Semesterausweis. Jedes halbe Jahr habe ich mich wieder damit rumgeärgert, ihn richtig zu „laminieren“. Nun habe ich festgestellt: Der Semesterausweis in Hamburg ist noch schlimmer. Er ist ein Papierschnipsel – absolut wabbelig und leicht zerreißbar. Er gilt nicht einmal als Ticket. Dafür gibt es – Überraschung – einen zweiten Papierschnipsel im gleichen Format. In der Bibliothek brauche ich eine weitere Karte. Die ist sogar aus Plastik. In der Mensa wird bar bezahlt.
Nach einigen Wochen Streik im Mai haben sich die Besetzer*innen mit der Unileitung geeinigt. Worauf, das haben sie leider nicht transparent gemacht. An den Wänden drängelten sich danach noch mehr Graffiti als gewöhnlich. Dann wuselten Maler durch den Pferdestall. Sie trugen weiße Farbeimer durch die Gänge. Ihr Auftrag: die Spuren der Besetzung bereinigen. Ein beißender Geruch nach Farbe durchzog das Gebäude. Die Tags und Sprüche verschwanden – Schicht für Schicht – hinter neutralem Weiß. Das hielt nicht lange. Inzwischen sind die Wände wieder bunter und mit Schriftzügen überzogen.
Text & Fotos: Sabrina Winter