In unserem Wahlspezial haben wir Interviews mit Direktkandidaten für den Bundestag geführt. Die sechste Ausgabe ist ein Gespräch mit Thomas Löser von Bündnis 90/Die Grünen. Der 45-jährige Lehrer kandidiert im Wahlkreis Dresden I. Außerdem ist er in Dresden Fraktionsvorsitzender der Grünen-Stadtratsfraktion. Mit diesem Beitrag schließt unsere Reihe und wir hoffen, dass Ihr nun einen guten Überblick über die Parteienlandschaft habt und am 24. September hochmotiviert Euer Kreuz macht.
Sie sind Fraktionsvorsitzender der Grünen in Dresden und gestalten die Stadtpolitik mit. Warum wollen Sie denn nun in den Bundestag?
Ich bin ja seit acht Jahren im Stadtrat und gestalte dort mit den Grünen Dresden mit. Die Bundespolitik ist noch einmal eine ganz andere Herausforderung. Vieles, was in der Kommune passiert, wird durch Bundesentscheidungen beeinflusst. Nach so vielen Jahren Kommunalpolitik ist es dann natürlich auch interessant, den Horizont zu weiten.
Eins Ihrer Kernthemen ist ja der Wohnungsbau. Sie setzen sich für eine wirkungsvolle Mietpreisbremse und bezahlbaren Wohnraum ein. Ist die Situation in Dresden – im Vergleich zu anderen deutschen Städten – nicht noch ziemlich komfortabel?
Man muss immer gucken, womit man vergleicht. Natürlich ist es nicht so wie in München, dass wir Mieten von 15 Euro pro Quadratmeter haben, sondern eher sechs bis sieben Euro. Aber wir haben in den vergangenen Jahren eine ganz deutliche Anspannung in der Wohnraumsituation. Deswegen wollen wir die kommunale Wohnungsbaugesellschaft in Dresden wieder gründen, um auf diesem Weg Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Und die Mietpreisbremse soll verhindern, dass bei Neuvermietungen die Preise immer weiter angehoben werden. Alles in allem ist der Wohnungsmarkt ein sensibles Thema mit vielen Stellschrauben. Da muss man auch manchmal experimentieren, was überhaupt funktioniert. Aber einfach nur zu gucken und zu warten, bis wir vielleicht in 20 bis 30 Jahren Münchner Verhältnisse haben, das ist sicherlich auch keine gute Lösung.
Von steigenden Mieten mal abgesehen: Mit welchen Problemen haben junge Erwachsene Ihrer Meinung nach noch zu kämpfen?
Ich glaube, eine wichtige Frage ist, wie man sein berufliches Leben gestaltet. Und da ergibt sich automatisch die Frage: Wovon lebt man in der Ausbildungs- oder Studienzeit? Viele Studenten müssen neben dem Studium arbeiten, zum Teil in erheblichem Umfang, oder müssen das Studium aus finanziellen Gründen abbrechen, weil das BAföG einfach nicht ausreicht. Da sehe ich Regelungsbedarf. Wir sind dafür, die BAföG-Sätze anzuheben und an die steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen. Jeder sollte Anspruch auf eine Basisförderung haben. Und Studierende aus ärmeren Verhältnissen bekommen dann noch einen Zuschuss, um eine Gerechtigkeit in beide Richtungen zu vermitteln. Außerdem sind die Grünen klar gegen Studiengebühren.
Wenn BAföG für jeden Studenten abrufbar sein soll: Wie wollen Sie das finanzieren? Haben Sie da als Grüne Konzepte?
Erstens sollte der Staat die Steuern, die zu zahlen sind, auch eintreiben. Alle Steuerschlupflöcher müssen gut geschlossen werden. Zweitens wollen wir eine Vermögenssteuer einführen für Superreiche, weil wir nicht einsehen, dass die Vermögensschere in Deutschland einfach weiter auseinandergeht. Außerdem sollte die Erbschaftssteuer reformiert werden.
Kommen wir nun zum momentanen Bundestag. Die Grünen bilden mit den Linken eine recht kleine Opposition. Welche Erfolge konnte Ihre Partei trotzdem verzeichnen in den vergangenen vier Jahren?
Als so kleine Gruppe ist es sehr schwierig, wirksam Opposition im Bundestag zu machen. Trotzdem glaube ich, dass die Grünen die letzten Jahre weiter sehr deutlich ihr Kernthema in den Vordergrund gestellt haben: Wie gehen wir mit der großen Herausforderung Klimaschutz und Klimawandel eigentlich um? Die Energiewende und soziale Gerechtigkeit haben wir im Parlament immer wieder eingefordert.
Was aus meiner Sicht zu kurz gekommen ist, ist ein altes Thema der Grünen: Friedenspolitik. In der nächsten Legislatur sollte sich die Partei wieder sehr viel stärker für Frieden einsetzen. Das wäre mein Herzensthema, wenn ich in den Bundestag käme. Es kann nicht sein, dass wir weiterhin Waffen in Bürgerkriegsgebiete exportieren.
Das wären dann auch die Kernthemen, die Sie für die Grünen in der nächsten Legislaturperiode sehen würden?
Für mich wäre neben dieser Friedens- und Abrüstungspolitik vor allem die Frage wichtig, wie wir unsere freiheitliche Gesellschaft in der Zukunft gestalten. Wir haben momentan aus meiner Sicht ein sehr großes Akzeptanz-Problem – auch und besonders in Dresden – mit unserem gesellschaftlichen System. Das müssen wir ändern. Neben Bürgerinitiativen brauchen wir in Deutschland auch Volksentscheide. Es gibt in Deutschland viele Menschen, die sich abgehängt fühlen von der sogenannten großen Politik.
Aber wenn man an Brexit oder Stuttgart 21 denkt, sind Volksentscheide in der letzten Zeit nicht immer positiv in Erinnerung …
Na ja, da interpretieren wir das Ergebnis. Aber am Ende ist der Souverän in einem Land das Volk. Und wenn das Volk sich nicht mitgenommen fühlt, haben wir als Ergebnis eine zu Teilen rechtsradikale Partei im Parlament. Wir haben eine beängstigende Stimmung im Land. Wir haben eine Kanzlerin, die mittlerweile nirgends mehr in Ostdeutschland auftreten kann, ohne dass sie ausgebuht oder mit Tomaten beworfen wird.
Wir müssen ernsthaft über neue Beteiligungsformen nachdenken. Sonst riskieren wir, dass die Zustimmung zur Demokratie soweit zurückgeht, dass wir alle gemeinsam in eine Situation kommen, die wir uns alle nicht vorstellen wollen.
Also Sie meinen, wenn es mehr Bürgerbeteiligung gäbe, wären die rechten Tendenzen in unserer Gesellschaft nicht so stark?
Gegen Rassismus hilft ein Bürgerentscheid natürlich nicht. Aber die Leute, die demonstrieren und auf „die da oben“ schimpfen, haben natürlich auch politische Interessen. Und wenn man sie in die Lage versetzt, unsere Demokratie mitzugestalten, glaube ich schon, dass das in gewisser Weise Spannung herausnehmen kann, denn dann sind sie beteiligt.
In letzter Zeit gab es ja immer wieder den Zwist zwischen den Realpolitikern und Fundamentalisten bei den Grünen. Wie gehen Sie mit diesem Spagat um?
Ich glaube, dass es sich die Grünen da unnötig schwer machen. Beide Flügel haben Ihre Berechtigung. Ich sehe uns einerseits als Ideengeber, die die Gesellschaft auch immer wieder herausfordern, aber auch mal auf die Mütze bekommen für unsere Vorschläge. Wenn wir in Regierungsverantwortung sind, müssen wir auf der anderen Seite aber auch konkret realpolitisch handeln. Ich finde das ungünstig, dass bei den Grünen eher gegeneinander aufgebauscht wird. Das wirft ein schlechtes Licht auf die Partei und ist sicher auch ein Grund, warum die Umfragewerte momentan nicht so gut sind. Es wäre für die Grünen besser, wenn sie diese beiden Flügel zusammenspielen lassen würde. Denn fliegen kann man auch nur mit beiden Flügeln.
Zu welchem Flügel zählen Sie sich?
Bei mir irgendwie beides. Ich bin in manchen Fällen sehr links, dafür manchmal aber auch ziemlich wertkonservativ. Bei unserer politischen Arbeit in der Stadt sind wir sehr pragmatisch, wenn wir mit anderen Parteien gemeinsam etwas durchsetzen. Die grünen Utopien haben wir aber natürlich trotzdem im Kopf. Und nur so funktioniert es zusammen.
Ihre Chancen, in dieser Legislaturperiode in den Bundestag einzuziehen, sind ja eher gering. Wie ist da Ihre Motivation, in den Wahlkampf zu ziehen?
Richtig. Ich habe keinen Listenplatz, den habe ich auch nicht angestrebt. Und dass ich in Dresden ein Direktmandat erringe, ist auch eher unwahrscheinlich. Aber man macht den Wahlkampf eben nicht nur für sich. Es geht im Wahlkampf auch darum, grüne Positionen nach außen zu vertreten. An Wahlständen, auf Podien, mit meinem Plakat will ich zeigen, was die Grünen als Partei wollen.
Können Sie sich vorstellen, bei der nächsten Wahl einen Listenplatz anzustreben?
Das ist in vier Jahren – das kann ich noch nicht sagen, was ich da mache in meinem Leben. Momentan bin ich Familienvater, habe drei Kinder, bin Stadtratsvorsitzender, habe meine Arbeit in der Schule – ich habe wirklich viel zu tun. Aber dass ich dieses Mal ein Bundestagsmandat anstrebe, zeigt ja trotzdem, dass ich mir auch vorstellen kann, später mal für die Grünen in anderer Position tätig zu sein.
Als Abschlussfrage kurz und prägnant: Warum sollte man denn als junger Mensch die Grünen wählen?
Weil die Grünen das wichtigste Thema auf die politische Agenda setzen: Wie kriegen wir das hin, diesen Planeten fair zu gestalten? Wir werden den Klimawandel nicht mehr aufhalten, sondern müssen damit gestalten können. Daraus ergeben sich verschiedene Fragen: Wie bauen wir unsere Städte, damit wir gut leben können? Was haben wir für eine Ernährungsgrundlage? Wollen wir Massentierhaltung? Wie kriegen wir das hin, dass weite Bereiche dieser Welt nicht noch mehr verdrecken und überhitzt werden? Denn all dies führt ja auch zu den Fluchtbewegungen, die wir haben weltweit …
Das ist das zentrale Thema: Wir haben diesen einen Planeten, auf dem müssen wir alle zusammen leben. Und das ist eine sehr schwierige Herausforderung, die wir Grünen angehen wollen.
Interview: Benjamin Kutz
Foto: Amac Garbe