Die Sächsische Schweiz als Arbeitsplatz, der Naturschutz als Auftrag: Nationalparkranger könnten einen Traumjob haben. Doch der Alltag sieht oft anders aus.
„Hier ist das Klo.“ Jan Scheffler steht im Sand vor einer Boofe am Winterstein und rümpft die Nase. Um ihn herum: Farne, Buchen, Vogelgezwitscher. Und eben die Taschentücher, die die Boofer als Klopapier benutzen. „Aber heute stinkt es zum Glück nicht so sehr.“ Ein skeptischer Blick, dann setzt Scheffler seine Tour fort. Mal schauen, was die Wanderfalken so treiben.
Jan Scheffler ist Nationalparkranger in der Sächsischen Schweiz. Ranger — das klingt nach verdreckten Jeeps und staubigen Dschungelstraßen, auf denen die bewaffneten Guten die bewaffneten Bösen jagen. Das einzige, was an Jan Scheffler mit dem Klischee übereinstimmt, ist die Outdoor-Kleidung in Tarnfarben und das Auto, ein Jeep von Mitsubishi. Doch davon haben er und seine zwei Kollegen nur eines. Also fährt der 52-Jährige meistens mit seinem winzigen, violetten Uralt-Suzuki durch sein Revier, das von den Lichtenhainer Wasserfällen über das Zeughaus bis zum Kuhstall reicht.
Die Ranger gibt es bald so lang wie den 1990 gegründeten Nationalpark selbst. Seit 1991 sollen sie in fünf Revieren für Ordnung sorgen. 16 Ranger sind es derzeit, Tendenz sinkend: Weil der Freistaat sparen will, werden altersbedingte Abgänge nicht nachbesetzt und die Zahl der Ranger könnte so bis 2020 auf zehn oder elf sinken. Auch wenn die Ranger weniger werden, ihre Hauptaufgabe wird das nicht schmälern: Über die Vorschriften informieren und ihre Einhaltung überwachen. Freilaufende Hunde, die zur Erfrischung in Bäche gelassen werden — und junge Feuersalamander zertrampeln. Kinder, die auf Felsen für niedliche Fotos posieren sollen — und dabei höchst seltene Pflanzen wie das gelbe Veilchen zertreten. Wanderer, die aus purer Neugier immer wieder die vorgeschriebenen Wege verlassen — und so die Tiere permanent in Stress versetzen. Verstöße sind an der Tagesordnung, mal aus Unwissenheit, mal aus Uneinsichtigkeit. „Den Nationalpark gibt es jetzt seit 27 Jahren“, sagt Scheffler. „Aber die Verstöße sind immer noch dieselben.“ Er kann sein Unverständnis nur schwer verbergen.
Vor allem Boofer bereiten ihm und seinen Kollegen mehr und mehr Sorgenfalten. Das Schlafen in Felshöhlen oder unter Überhängen liegt im Trend — und zwar nicht nur in den 58 ausgewiesenen Boofen, sondern auch in den zahlreichen illegalen. Was beim Menschen Glücksgefühle auslöst, ist für die Tiere ein gewaltiger Stressfaktor. Als würden im Wohnzimmer nachts Aliens landen, Feuer machen, quatschen und auch noch zum Schlafen bleiben. Deshalb kontrollieren Scheffler und seine Kollegen alle Boofen im Revier regelmäßig. Wer ein Feuer gemacht hat oder illegal nächtigt, muss seinen Ausweis zücken: Im Rahmen hoheitlicher Kontrollen müssen Nationalparkranger die Personaldaten von Übeltätern aufnehmen und diese an die Landesdirektion weiterleiten, die dann Bußgelder verlangt. Die können zwar bis zu 55.000 Euro betragen, bewegen sich aber meist im zweistelligen Bereich — Geldstrafen sollen eine Lehre sein, kein biographisches Drama. Auch wenn die Boofe am Winterstein an diesem Tag leer ist: Die Regel ist das nicht. Scheffler erzählt von Boofern, die bei Minusgraden ihre Grenzen austesten, von Professoren und Polizisten, die illegal boofen, von zwanzig, dreißig Leuten pro Boofe und Nacht. „Manchmal denke ich, ich bin im falschen Film.“
Wahrscheinlich denkt er das auch jetzt, kurz vor Erreichen des Plateaus. Scheffler fängt gerade an, das Panorama aus kleinem Winterberg und Lorenzstein zu erklären — da kommt eine Riesenhummel angeflogen. Nur: Die Riesenhummel ist keine Riesenhummel, sondern eine Drohne. „Ich glaub’s nicht!“, raunt Scheffler, eilt die klobigen Sandsteinstufen hoch — und stellt sich freundlich vor. Die beiden Herrschaften mögen doch bitte ihre Drohne zur Landung bringen. Er klingt nicht wütend, nicht einmal belehrend. Eher als würde er den beiden jungen Leuten Wandertipps geben. Was er dann, nachdem er die Personalien aufgenommen hat, tatsächlich macht. Nach zwanzig Minuten Smalltalk verabschiedet sich das Paar mit Handschlag. Regelüberwachung heißt für Scheffler vor allem eines: Kommunizieren. „Ich will nicht nur bestrafen. Viel wichtiger ist es doch, die Regeln auch zu erklären.“ Hier oben auf dem Winterstein wird das besonders deutlich, schließlich brütet am gegenüberliegenden Felsriff ein Wanderfalken-Paar. In den 70ern waren die seltenen Vögel in der Sächsischen Schweiz ausgestorben, konnten aber Anfang der 90er erfolgreich wieder angesiedelt werden. Doch jetzt, knapp 20 Jahre später, brütet nur noch dieses eine Paar. Da wird eine Drohne, die die Wanderfalken-Familie verschreckt, schnell zur existenziellen Bedrohung.
Wie hochsensibel das Ökosystem ist, wird einem bald mit jedem vorsichtigen Schritt auf dem federnden Waldboden bewusst. Ob Trailrunner* oder Wandernde, ob Kletternde oder Boofende — der Mensch ist Störfaktor Nummer eins. Und sei es, weil ein aufgescheuchtes Tier Rabatz macht und so Fressfeinde anlockt. „Man löst immer eine Kettenreaktion aus“, sagt Scheffler.
Die Arbeit der Nationalparkranger ist eine ständige Gratwanderung. Der Schutz der Natur auf der einen Seite, ihre Öffnung für Besucher auf der anderen. „Nur was man kennt, weiß man zu schätzen“, sagt Scheffler. Wer im abendlichen Sommerregen auf der Goldsteinaussicht steht, den Blick ins Weite schweifen lässt und ahnt, diesen Moment nie zu vergessen — der versteht, was Scheffler meint.
Doch manchmal ist es der Nationalpark selbst, der die Vermittlungsarbeit erschwert. Der nämlich sieht stellenweise aus wie der Nutzwald um die Ecke. Halb abgeholzte Waldflächen, zerfahrene Wege, Holzstapel, die an den Forstwegen auf ihre Abholung warten. Eigentlich hat die Holzentnahme, wie es richtig heißt, einen Sinn: die Umwaldung. Die wirtschaftliche Nutzung früherer Zeiten brachte die Fichte, noch dazu eine Leibspeise der Borkenkäfer, und standortfremde Bäume wie die Weymouthskiefer. Nun soll der Mischwald wiederkommen und dem Wald zu mehr ökologischer Stabilität verhelfen. Das Ziel: Ab 2030 soll die Natur machen dürfen, was sie will — auf 75 Prozent der Fläche. An manch besonders kahler Stelle aber beschleicht einen das Gefühl, dass vielleicht doch die eine oder andere Fichte mehr ihr Leben lassen muss, als unbedingt nötig. So fern ist der Gedanke nicht: Zwar verfolgt der Nationalpark keine wirtschaftsbestimmte Nutzung der Naturgüter, wie es im Gesetz steht. Doch dort steht auch: „Soweit verwertbare Sortimente anfallen, können die verkauft werden.“ Sprich: Der Nationalpark darf — mit Erlaubnis —forstwirtschaftlich genutzt werden. Und Fichten, sagt Scheffler, „sind bares Geld“. Er bleibt stehen, fährt das Autofenster herunter und schweigt. Wirtschaftlichkeit und Naturschutz, Gewinnstreben und Bewahrung — auch an dieser Gratwanderung versucht sich Sachsens einziger Nationalpark.
Natürlich sei die Arbeit manchmal zermürbend, sagt Scheffler, während er auf dem Winterstein in die warme Maisonne blinzelt. Dann steht er auf, schaut durch sein Spektiv hinüber zu den Wanderfalken. Und tatsächlich: Die Jungen werden gefüttert. In das Nest ist Leben gekommen.
Text: Luise Martha Anter
Foto: Amac Garbe
* Die Autorin (nicht: die Autorende!) weigert sich aus Respekt vor der englischen Sprache standhaft, Trailrunnende zu schreiben. Genderbewusste Mitbürgende sollen die bittere Pille doch bitte schlucken und sich an den geschlechtsneutralen anderen Abenteuersuchenden erfreuen.
2 Gedanken zu “Auf Gratwanderung”