Im düsteren US-Thriller „Nocturnal Animals“ wird eine erfolgreiche Kunstkuratorin überraschend von den Abgründen ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt.
Wer bereits „A Single Man“, Tom Fords Debütfilm aus dem Jahre 2009, gesehen hat, muss es einfach gespürt haben: Der Modedesigner hatte sich damals nicht einfach mal aus Lust und Laune am Medium Film probiert. Natürlich war das Drama mit Colin Firth vor allem auf Style und Atmosphäre fokussiert, aber dennoch eine beeindruckend inszenierte Charakterstudie, welche auf ein großes cineastisches Können hindeutete. Ab 22. Dezember läuft nun Tom Fords zweiter Spielfilm in Deutschland, ganze sechs Jahre nach dem Vorgänger. Auch „Nocturnal Animals“ basiert wieder auf einem Roman, Ford adaptierte erneut das Drehbuch, führte Regie und produzierte auch mit. Jedoch verrät bereits die Synopsis, dass sich der Designer dieses Mal eines sowohl inhaltlich als auch erzählerisch unweit komplexeren Filmprojektes angenommen hat.
Susan Morrow – geradezu übernatürlich graziös und mysteriös tiefgründig dargestellt von Amy Adams – scheint es geschafft zu haben im Leben: Sie betreibt ein angesagtes Kunstmuseum in Los Angeles, bewohnt einen hochmodernen Designpalast in den Hügeln von Beverly Hills und ist mit einem gut aussehenden Erfolgstyp (Armie Hammer) verheiratet. Alles gut und schön, wenn es nicht doch ein paar störende Elemente gäbe. Die Beziehung zu ihrem Gatten scheint bereits etwas eingefroren zu sein. Er ist die meiste Zeit auf Geschäftsreisen, so dass sie oft einsam ist in ihren teuren Gemäuern und auch die beruflichen Erfolge mit niemandem wirklich teilen kann. Nun kommt noch hinzu, dass ein Teil von Susans Vergangenheit plötzlich bei ihr an die Tür klopft, den sie die längste Zeit recht gut verdrängt hatte: Ihr Ex-Mann Edward (Jake Gyllenhaal), seines Zeichens Autor, schickt ihr das Manuskript für seinen neuesten Roman – welches auch noch ihr persönlich gewidmet ist – und erfragt ihre Meinung darüber. Anstatt diese Einladung einfach auszuschlagen und schlafende Hunde ruhen zu lassen, beginnt die Kunstexpertin mit der Lektüre.
Tom Ford schafft es mit „Nocturnal Animals“, den Zuschauer nicht nur optisch, sondern auch geistig vor große Herausforderungen zu stellen. Wie auch in seinem Debütfilm gibt es wieder eindrucksvolle Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Es entspinnt sich aber auch ein hochkomplexes, tiefdüsteres Psychospiel über verschiedene Erzählebenen hinweg, wobei es neben Susans Hier und Jetzt und der fiktionalen Ebene des Manuskripts auch noch die Erinnerungs- und die Symbolebene gibt, welche die anderen beiden Ebenen durchwirken. So entsteht insgesamt ein vielschichtiges Erzählgebilde das stets viel Aufmerksamkeit und eine hohe Konzentration einfordert. Auch die filmischen Mittel funktionieren hochkomplex: Schnitt, Ton und Bild greifen dicht ineinander, um die große Erzählung in den Kinosaal zu bringen. „Nocturnal Animals“ ist keinesfalls seichtes Unterhaltungskino und wird manchen Zuschauer vielleicht sogar verstören.
Wer sich jedoch auf die von Beginn an provokanten, zum Teil auch gewalttätigen Bilder sowie auf die hohe Schnittgeschwindigkeit bei gleichzeitiger detailverliebter Ausdehnung der Erzählung einlassen kann, wird gleich mehrfach belohnt. Zunächst einmal mit viel skurril-düsterem Humor, denn Fords Perspektive auf menschliche Abgründe ist alles andere als trocken. Zudem mit einem großartigem Schauspielensemble. Und zu guter Letzt mit einer bodenständigen Botschaft: Der Mensch mag sich noch so hochtechnisiert und -entwickelt geben, er wird in gewisser Hinsicht immer von Trieben und Gefühlen gesteuert bleiben. So schafft Tom Ford mit „Nocturnal Animals“ den unbedingt sehenswerten Kunstgriff, aus einem bildgewaltigen und hochstylisierten Stoff dennoch ein tiefgründiges Verständnis für Menschlichkeit zu entwickeln.
Text: Carl Lehmann
Foto: Amac Garbe