Ich habe immer noch Wahlblues. Und wenn ich an den September denke, wird mir himmelangst und bange. Aber das ist menschlich. Unser Gehirn hat sich so entwickelt, dass wir Probleme vorhersehen. Wo bekomme ich im Winter etwas zu essen her? Wie halte ich mich warm? Und wie verhindere ich, von einem Tiger gefressen zu werden?
Heute bekommen wir unser Essen sommers wie winters im Supermarkt. Und die meisten von uns haben ein Dach über dem Kopf, das uns schützt und warmhält. Doch der Mensch wäre nicht der Mensch, würde er nicht nach neuen Problemen suchen. Und seien sie noch so absurd. Denn wir haben ja (fast) alles. Mal ehrlich: Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt zu einer der sichersten Zeiten in der Menschheitsgeschichte. Aber der Kopf malt sich Horrorszenarien aus, die in den meisten Fällen nicht eintreten.
Zugegeben: Der Global Peace Index 2024 konstatiert, dass die Welt in den vergangenen 17 Jahren instabiler geworden ist in Bezug auf politische Instabilität, die Zahl der Konflikte, die Zahl der Todesopfer in Konflikten und die Anzahl der gewalttätigen Demonstrationen. Auch weist die Kriminalstatistik Deutschlands nach den „ruhigen“ Corona-Jahren steigende Zahlen auf. Und auf Social Media und in den alltäglichen Nachrichten macht sich Verrohung breit. Wenn ein AfD-Stadtrat etwa eine Journalistin – zunächst mit Worten – angreift. Wenn der Hitlergruß von Polizist:innen relativiert wird mit der Frage, ob wir keine anderen Probleme hätten – und dabei gleichzeitig ignoriert wird, dass man mehrere Probleme gleichzeitig haben und bearbeiten kann. Und wenn der verbalen Gewalt dann tatsächlich Taten folgen, wie nicht nur bei Matthias Ecke, sondern etwa auch bei der Messerattacke in Mannheim gesehen.
Wenn rechte Parteien bewusst Hass und Hetze nutzen, um die Ängste und Sorgen von Menschen auszunutzen, und das normalisiert, ja heroisiert wird, dann verlassen wir den demokratischen Boden, treten das Grundgesetz und generelle Menschenrechte mit den Füßen. Die Saat für Gewalt wird gesät. Das muss thematisiert werden und Menschen sollten wieder mehr in den Genuss von politischer Bildung kommen. Dafür treten etwa die John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie an der TU Dresden und ihre Direktorin Prof. Anja Besand ein. Denn Meinungsfreiheit heißt eben nicht, alles sagen zu dürfen, wenn wir uns damit von der demokratischen Grundordnung entfernen.
Ansonsten halte ich es jetzt mit den Worten von Julian Nagelsmann. Ich will nicht nur das Schlechte sehen, sondern vor allem die vielen Dinge, die funktionieren in diesem Land, in Europa und auf der Welt. Die Mut machen und den Fortschritt zeigen. Und eine Möglichkeit zu einer besseren Zukunft sind. Jetzt muss ich aber erst mal schauen, welche:r Nachbar:in hier eine Hecke hat.
Text: Nadine Faust
Foto: Amac Garbe