Licht ohne Fahrrad

Es knallt. Zuerst erleuchten nur wenige Lichtkugeln das Dunkel, doch bald ist die ganze Nacht erhellt. Pünktlich um 0 Uhr schießen die ersten Raketen in die Luft, erst 13 Minuten später ist das Spektakel vorbei. In dieser Zeit gleitet die Farbe des Himmels von Gelb in Blutrot.

Zuerst denke ich, die Stadt möchte fürs nächste Stadtfest üben. Oder irgendjemand feiert Geburtstag. Aber als das Knallen auch nach Minuten nicht abebbt, werde ich unruhig. Ich lausche in die Nacht, ob irgendwo Sirenen ertönen, ob irgendetwas Schlimmes passiert ist. Doch ich höre nichts außer dem Knallen, das in den Elb-Korridoren widerhallt. Man wird das Leuchtfeuer auch aus weiter Entfernung gesehen, den Lärm auch Kilometer weiter in Striesen gehört haben. Am nächsten Tag erfahre ich: Dynamo Dresden hatte Geburtstag und 3.000 Fans ließen es sich nicht nehmen, den Verein in ein mehr oder weniger gutes Licht zu rücken.

70 Jahre bewegte Geschichte

Seit seiner Gründung 1953 hat Dynamo Dresden viel erlebt. Der Verein stand dreimal im Viertelfinale des Europapokal der Landesmeister, wurde achtmal DDR-Meister und achtmal Vizemeister. Er hat Spieler wie Ulf Kirsten und Matthias Sammer hervorgebracht. Ein Teil der Historie sind aber auch die 1,2 Mio. Euro, die die Landeshauptstadt Dresden dem Verein 2008 als Darlehen zur Verfügung stellte, als er sich in finanziellen Schwierigkeiten befand. Ausschreitungen der Anhänger:innen. Und Maßnahmen für ein friedliches Miteinander. Die Geschichte von Dynamo ist eine Fabel vom Fallen und Aufstehen. Nicht nur vom Kampf um den Ball, sondern auch um Zusammenhalt und Gemeinschaft.

Verein und Kultur

Jeder, der einem Verein angehört, genießt das Gefühl, sich engagieren und etwas bewegen zu können. Zu sehen, wie Nachwuchs gedeiht, Talente sich entwickeln und schließlich zu großen Sternchen wachsen. Sich Herausforderungen zu stellen und an seinen Aufgaben zu wachsen, einfach, weil man es gerne tut. Weil man gern anderen hilft.

Und jeder, der Fan von etwas ist, weiß die Gemeinschaft zu schätzen. Der Plausch am Bierstand. Das Gefühl, dass Klassenunterschiede aufgehoben sind, solange das Gegenüber einen schwarz-gelben Schal trägt. Oder eine Mütze. Oder ein Sitzkissen. Fan-Sein verbindet. Außerdem ist es eine Möglichkeit, abzuschalten und nichts leisten zu müssen. Die Vernunft ein Stück wegzupacken und sich Emotionen hinzugeben. Sich ausleben und einen Teil wahrnehmen, der im Alltag zu kurz kommt.

Feierlichkeiten

Daher verstehe ich auch, wie viel es den Fans bedeutet, dass der Verein so lange existiert, und zu feiern, wie weit er gekommen ist. Ich würde mich hinsetzen und mich freuen. Aber hätte es nicht eine Wunderkerze getan? Ein gemütliches Beisammensein, gerne an der Elbe? Eine Grillparty oder ein Freundschaftsspiel? Der Verein hatte ja zahlreiche Veranstaltungen an diesem Tag organisiert. Warum musste es ausgerechnet ein Feuerwerk sein? Warum ausgerechnet um Mitternacht, obwohl Feuerwerke laut Stadt um 22 Uhr beendet sein müssen?

Vielleicht kann man das kulturhistorisch betrachten: Dem Ball hinterherzujagen hat etwas Ursprüngliches, genauso, wie unsere Vorfahren dem Tiger hinterhergelaufen sind, damit es abends leckere Tiger-Suppe gibt. Und weder der Tiger noch der Mensch folgte dabei klaren Regeln. Außer, dass der eine am Ende in der Höhle lag – möglichst tot, und möglichst der Tiger.

Vielleicht gehört die Grenzüberschreitung zum Fußball wie der Ball ins Tor. Oder das herzrote Leuchten als besondere Form der Minne, ein Feuer zu Ehren der Geliebten, der Unerreichbaren und genau deswegen Verehrenswerten? Ein glitzernder Fluss als Steigerung zärtlich gehauchter „Dynamo!“-Rufe am Sonntagnachmittag? Einschließlich dem Verlassen des Schlachtfeldes, ohne den Müll wegzuräumen. Steht ja nirgendwo geschrieben, dass man nach erfolgter Wohltat noch putzen muss.

Humor beiseite

Man kann darüber streiten, ob man sich darüber aufregt. Schließlich war es ein hübsches Feuerwerk, und einmal im Jahr, da stört das doch keinen. Ob Straßenlärm oder Feuerwerk, das ist doch nicht wichtig. Oder: Es ist schließlich Dynamo, und der Verein wird nur einmal 70.

Aber ich denke, wir müssen hier unterscheiden. Das Was steht außer Frage – natürlich dürfen sieben Jahrzehnte mit aller Leidenschaft gefeiert werden. Und ich habe große Achtung vor den Menschen, die das glücklich macht. Aber das Wie war aus meiner Sicht problematisch. Es war ein Wochentag, es war mitten in der Nacht. Es war kein kleines Tischfeuerwerk in einer Gartenlaube, es war ein lautes Feuerwerk an dem Ort, an dem es am schönsten schallt. Wenn ich mir die Bilder ansehe, dann beschleicht mich ein bedrohliches Gefühl. Es hat, wie jedes Feuerwerk, Menschen und Tiere verängstigt, vielleicht sogar schlimme Erinnerungen wachgerufen. Die Elbwiesen wurden vermüllt.

Und das, obwohl es um Fußball geht. Wo man auf spielerische Ebene gegeneinander antreten und Spaß haben kann. Es geht um Freude. Es geht um 90 Minuten, die den Alltag erhellen. Es geht um sportliche Wettkämpfe, an deren Ende man sich die Hand reicht und gemeinsam analysiert, wie man gespielt hat. Die Vertrauen schafft. Dynamo ist für viele Menschen ein Zufluchtsort und für die Bürger:innen ein Teil der Identität Dresdens. Ob diese Aktion dem wirklich gerecht wurde, bezweifle ich.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

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