Mitmachen oder loslassen

Neujahrsvorsätze sind so eine Sache. Es gibt Leute, bei denen sie beim Feuerwerk gefasst und nach dem Frühstück wieder verworfen werden. Und die dann eine ganze Schublade voll mit alten Vorsätzen haben, die dort fröhlich vor sich hin liegen. Und es gibt Leute, die eine große Liste erstellen, die ersten Wochen durchhalten und irgendwann beginnen, Pausen einzulegen, die immer länger werden.

Ich habe eine Freundin, die sich seit drei Jahren vornimmt, weniger Alkohol zu trinken. Sie erzählt jedem in ihrem Umfeld davon und ich bewundere sie, weil sie immer wirkt, als könnte sie das schaffen. Doch bereits beim ersten Essen mit Freund:innen in der Mitte des Monats wird der Vorsatz nach hinten verschoben. Oder wenn ihr Freund abends ein Glas Wein trinkt und sie ebenfalls.

Ein Problem mit Alkohol

Dass Alkohol in unserer Gesellschaft selbstverständlich ist, daran hat sich seit meiner letzten Kolumne zum Thema nichts geändert. Die Droge wird öffentlich mehr diskutiert, z. B. in Beiträgen von FUNK, der Online-Sparte der Öffentlich-Rechtlichen, die kürzlich über versteckte Alkoholsucht berichtete. Aber das holt aus meiner Sicht nur die ab, die ohnehin sensibilisiert sind. Die Menschen, für die Alkohol zum Alltag gehört, beschäftigen sich mit so etwas nicht. Ob Film, Fernsehen oder Literatur: Spricht man von Alkohol, dann geht es weniger um Genuss als um Vergessen, Verdrängen oder Exzesse. Oder Gewohnheit. Figuren haben eine Vorbildfunktion und es wäre für die Handlung nicht relevant, wenn sie statt des Feierabend-Bierchens eine Limo trinken würden oder zum Essen beim Italiener mit Traubensaft anstoßen. Blödsinn machen kann man auch ganz ohne Drogen, man braucht nur eine gute Gesellschaft oder jemanden, der einem das Herz bricht.

Der Preis der Partnerschaft

Was mich bei meiner Freundin mehr beschäftigt ist die Frage, ob das Umfeld und ihr Partner sie bei ihrem Vorsatz unterstützen sollten. Es gibt Momente, in denen ich ihren Freund anbrüllen und ihm seine Beziehungsfähigkeit absprechen möchte. Warum ist es so schwer, abends statt des Bieres Wasser zu trinken? Warum kann er beim Essen mit Freund:innen nicht sagen, dass sie beide keinen Alkohol trinken werden? Ist dieser Verzicht eine kleine Einschränkung, im Vergleich zu anderen Dingen? Ein veganer Lebensstil, das Löschen von Social Media oder eine wöchentliche Wanderung von nicht unter sechs Stunden wären für mich gravierender (aber ähnlich sinnvoll). Und Fremdgehen, ein Umzug in eine andere Stadt oder eine chronische Krankheit eine größere Belastung.

Geht man nicht, wenn man sich zu einer Freundschaft oder Partnerschaft entschließt, die unausgesprochene Vereinbarung ein, dass man sich immer unterstützt? Oder gibt es Ausnahmen, z. B. wenn er oder sie die Wohnung fliederblau streichen, sich eine Schlange anschaffen oder einer Partei beitreten will?

Die Gretchenfrage ist, wo die Grenze liegt. Und der Maßstab sollte sein, ob der Mensch sich oder der Beziehung schadet. Wenn jemand mit einer Ernährungsumstellung beginnt und in einer Essstörung landet, dann besteht Unterstützung darin, ihm oder ihr zu sagen, dass man sich Sorgen macht oder sanft Hilfsangebote aufzuzeigen. Man sollte seine:n Freund:in auch vor sich selbst schützen. Und auch die Entscheidung, z. B. die Beziehung zu öffnen, kann schaden, wenn sie nicht von beiden ausdiskutiert wird.

Andererseits hat jeder Mensch Grenzen, die stärker wiegen als die Partnerschaft. Ich würde z. B. nie meine Schlafenszeit meinem Partner anpassen. Oder nach Alaska reisen. Ich hätte auch ein Problem damit, wenn mein Partner seine Meinung radikalisieren würde und das viel Raum einnähme. Aber es ist keine Hürde für mich, auf Fast Food zu verzichten, wenn wir essen gehen, weil er auf seine Ernährung achtet.

Alkohol vs. Freundschaft

Wichtig ist vielen Menschen auch der soziale Status. Als Teil einer Beziehung steht man nicht nur für sich selbst, sondern auch für die:den andere:n. Jeder Mensch bewertet das anders, aber es sagt etwas aus, wenn ich vor Freund:innen bekennen würde, dass wir nicht trinken oder ich bewusst mit verzichte. Es gibt Menschen, denen das total egal ist. Oder die uns getrennt betrachten und meinen Partner sogar loben würden, weil er oder sie so diszipliniert oder gesundheitsbewusst ist. Es gibt aber auch Leute, die uns als Paar belächeln und ablehnen würden, weil wir dann gegen den Strom schwimmen oder der Abend nicht lustig wird.  Oder die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Vielleicht erwarten manche auch, dass ich meinen Partner umstimmen würde. Und die Frage ist, was ich auf solche Ansagen entgegnen würde.

Wer wen braucht

Umgekehrt besteht die Frage, warum man die Unterstützung seines Partners oder seiner Partnerin braucht. Ist es eine Schwäche, dass man seine Entscheidungen nicht gegen den Freund oder die Freundin verteidigen kann? Müsste nicht alles einfacher sein, wenn man nur die richtigen Argumente für den Verzicht hat? Ich glaube, dass das nicht so einfach ist. Denn eine Beziehung bedeutet immer Kompromisse, ein Aushandeln eines Zustandes. Wenn ein:e Partner:in plötzlich etwas ändert, kann das erst mal stören. Weil der Fernsehabend ohne Wein ungewohnt ist. Weil man nicht weiß, ob die Stimmung noch gut ist. Weil man herausfinden muss, wie sich der Partner oder die Partnerin mit seiner Entscheidung verändert. Und ob sich dadurch das Leben des oder der anderen mit verändert. Die Angst, dass der Verzicht auf Alkohol einen Verzicht auf einen Teil der Beziehung bedeutet, verstehe ich. Und dass man keine Lust auf Streit hat. Oder dass man tatsächlich nicht weiß, ob es eine gute Idee war und Bestätigung braucht.

Und manchmal versteht der Freund oder die Freundin tatsächlich nicht, warum einem das so wichtig ist. Man hat das Gefühl, Alkohol hätte einem bisher nicht geschadet, warum sollte es jetzt? Zu erkennen, was im Partner oder der Partnerin vorgeht, das ist schwer. Selbst wenn man darüber redet, kann es sein, dass es der oder die andere nicht erfassen kann. Aber vielleicht ist das egal.

Die positive Seite

Außerdem können Änderungen auch gut sein. Es kann sein, dass sich nicht nur der Mensch, sondern auch die Verbindung zum Positiven verändert, man neue Dinge an sich kennenlernt und froh ist, dass man das gemeinsam gemacht hat.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

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