Online, offline, Schuh mein!

Es ist Samstagmorgen. Wie viele Menschen habe ich die Woche damit verbracht herauszufinden, was dieses mysteriöse „Meet & Collect“ überhaupt ist. Zuerst dachte ich, es sei eine neue Form des Online-Datings – den potentiellen Partner in möglichst kurzer Zeit abfertigen und dafür Bonus-Punkte bekommen. Oder eine Variation von „Pokémon Go!“, bei der man ein tiefsinniges Gespräch mit seinem digitalen Tier führt, bevor man es in seine Galerie sperrt.

Doch die täglichen Meldungen über Lockerungen in verschiedenen Bundesländern ließen mich bald auf das wahre Wesen des Anglizismus schließen: Einkaufen mit Termin. Was in Brautmodengeschäften oder Läden der höheren Preisklasse normal ist, ist nun auch für die gemeinen Bürger:innen möglich. Für Menschen, die Probleme mit persönlichen Kontakten haben, eher semi-optimal, aber welche Hürden haben uns zwei Shutdowns nicht schon überwinden lassen. Sofern der Einzelhandel mitmacht. Denn so schön die Theorie ist, so schwierig die Praxis. Manche Ketten bieten ein kleines Kontaktformular auf ihrer Website an, bei anderen Geschäften kann man Termine nur telefonisch oder persönlich vereinbaren. Und einige Läden haben ausgerechnet in Sachsen nicht geöffnet. Mir tun die Verkäufer:innen leid, die hunderte Male am Tag die Frage beantworten müssen, wie denn das Procedere genau abläuft.

Es ist also Samstagmorgen, ich habe ausführlich gefrühstückt, meine Maske eingepackt und eine Stofftüte mitgenommen, um frohen Mutes den Schuhladen zu stürmen. Mittlerweile geht mir die Frage, was ich genau beachten muss, leichter über die Lippen. Aber einen Security-Mitarbeiter, der aussieht, als würde er einen Chihuahua in die Riemchen-Sandalen-Abteilung brüllen, empfinde ich immer noch als sehr einschüchternd. Ich gebe dem Laden meine Adressdaten, desinfiziere meine Hände und stürme los.

Und plötzlich bin ich überfordert. Schuhe links, Schuhe rechts, Winterschuhe, Turnschuhe, Sommerschuhe, Hausschuhe, oben, unten, überall. In den letzten Monaten sah „Shoppen“ bei mir ganz anders aus. Ich ging auf eine Website, versuchte die Auswahl mittels Größe, Form und Farbe von 1.200 auf 1.000 Möglichkeiten einzugrenzen, lernte nebenbei, dass Ballerinas auch nur eine andere Variante des Turnschuhs sind, und versuchte dann, anhand dreier verschwommener Produktfotos abzuschätzen, ob die Schuhe mit meinen Füßen kompatibel sein könnten. Meistens habe ich mich dagegen entschieden, weil ich den Gedanken befremdlich fand, mehrere Paar durch Deutschland fahren zu lassen, bei denen ich nach drei Minuten weiß, dass wir keine langfristige Beziehung eingehen werden. Sowas wie Schuh-Speed-Dating.

Immerhin hat das Internet den Vorteil, dass mir die Artikel geordnet und in kleinen Kästchen auf einem etwas größeren Bildschirm angezeigt werden. In realen Läden hatte ich mir über Jahre einen Scanner-Blick antrainiert, bei dem ich Regale und Ständer durchgucke und mir alle Artikel zusammensuche, die ich interessant finde. Doch diese Fähigkeit ist verkümmert und ich muss sie wieder aufwecken. Dazu kommt die Enge. Obwohl weniger Kund:innen im Laden sind, muss ich ständig anhalten und überlegen, wie ich die anderen mit Sicherheitssabstand umgehe. Oder ich muss reden. Es ist eine innere Unruhe, die ich beim Schuh-Tinder online nicht habe. Dafür ist die Auswahl potentieller Partner offline geringer – das bedeutet statt 1.000 nur 50 Modelle, aber auch eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass ein passendes und schönes Exemplar dabei ist. Trotzdem bin ich erstaunt, wie schnell Shoppen geht, wenn ich mich nicht durch all die Nieten kämpfen muss, die dank den falschen Schlüsselwörtern in meinen Suchergebnissen gelandet sind. Außerdem sind meine Füße ein eingespieltes Team: Wenn der Schuh an einem nicht passt, muss ich den anderen gar nicht anprobieren.

Am Ende gehe ich mit drei Kartons zur Kasse, deren Ausbalancieren zu einer physikalischen Meisterleistung wird. Ich komme mir ein bisschen dekadent vor, weil ich statt zweier geplanter noch ein drittes Paar gekauft habe. Obwohl alle reduziert waren und ich nach Monaten täglicher Spaziergänge mit meinen auf Corona-Niveau geschrumpften sozialen Kontakten tatsächlich neue Treter brauchte, die Wind, Regen und Granitplatten trotzen. Aber ich frage mich, ob das wirklich notwendig war, ob ich das kontaktloser hätte machen können und ob ich nicht eine konsumgeile Bürgerin bin, die ihr eigenes Bedürfnis nach Schönheit über die Gesundheit der Menschen in ihrem Umfeld stellt.

Und erst zuhause, als ich die Schuhe auspacke, die Schnürsenkel durch die Löcher ziehe und sie sorgfältig auf das Plastik-Regal stelle, da wird mir klar, wie erfüllend das ist. Binnen einer Stunde Schuhe gefunden zu haben, die sich an beiden Füßen anfühlen, als würden sie zu mir gehören, und mit denen ich meinem Arbeitsoutfit eine persönliche Note geben kann, das hat etwas Erlösendes. Manchmal brauche ich einfach ein bisschen Schönheit in meinem Leben.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

2 Gedanken zu “Online, offline, Schuh mein!

  1. Hallo,
    es geht sicher vielen von uns so, dass das Einkaufen im Geschäft wesentlich erfüllender und „sicherer“ – im Sinne von passend – ist, als nur im Shop elektronisch zu ordern. Verführerisch ist es schon, doch passt es, hat es die gewünschte Qualität oder das Aussehen?
    Vor Ort zu kaufen ist sicherlich eine sehr gute Angelegenheit, die auch (nach meiner Meinung) nicht nur mehr Sicherheit und Freude bringt, sondern auch eine bestimmte innere Befriedigung beinhaltet.

    1. Erfüllend sind für mich Online-Shoppen und Offline-Einkaufen gleichermaßen. Aber der Auswahlprozess ist einfacher und ich mag die Bewegung und den Blickkontakt mit den anderen Samstags-Einkäufern.

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