Was hat man in der Schule über Kolonialismus gelernt? Was ist mir davon noch im Kopf geblieben? Ja, Deutschland hatte zwar Kolonien und war auch beteiligt, aber nicht „so schlimm“ wie Großbritannien, Portugal oder Frankreich. Manche meinen sogar, Deutschland müsse sich schon genug mit seiner Geschichte auseinandersetzen. Die Schuld von ZWEI Weltkriegen und EINES Völkermordes ist für einige schon zu schwer zu ertragen.
Doch die fehlende Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit Deutschlands ist laut der Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette der Grund für das Überleben von Rassismus in unseren Systemen und Institutionen. Um sich auseinanderzusetzen ist es wichtig, die Entstehung von Rassismus zur Legitimierung des Kolonialismus zu verstehen und sich über den Eurozentrismus bis hin zum Völkermord an den Hereros zu informieren. Wieso findet sich die europäische Kolonialgeschichte und deren Reflexion nur so wenig in den Schulen oder Universitäten wieder?
Das erste Mal von Postkolonialismus hörte ich in einem durch Zufall gewähltem Seminar in Soziologie. Zuerst konnte ich nichts mit dem Begriff postkoloniale Soziologie anfangen, doch schnell merkte ich, dass damit keine neue Großtheorie gemeint ist, sondern eine Befragung und Kritik der bestehenden Wissensbestände der Soziologie aus postkolonialer Perspektive. Unter anderem wird dabei die Perspektivgebundenheit der soziologischen Theorien vom Westen, der Eurozentrismus, kritisiert.
Als Alternative dazu nutzt die postkoloniale Theorie das Verflechtungsmodell, welches die Entstehung der Moderne durch die Beziehungen zwischen Kolonialmächten und Kolonien erklärt. Die Moderne ist aus dieser Sicht also nicht europäisch zu denken, sondern global. Europa hat sich durch das koloniale System erst erfunden. In fast allen wissenschaftlichen Themen wird aus der Perspektive Europas oder des Westens argumentiert oder geforscht. Bei der postkolonialen Theorie geht es darum, auch andere Perspektiven zu berücksichtigen und Europa nicht als Zentrum von allem zu sehen.
Nur durch die Reflexion der Vergangenheit und der bis heute existierenden kolonialen Strukturen kann Rassismus nachhaltig entgegengetreten werden. Wieso also wird diese Perspektivverschiebung nicht überall in der Bildung verwendet? Wieso wird die postkoloniale Kritik nicht in jeden Bereich der Forschung und Bildung mit eingebunden? Wieso stellt sie, wenn überhaupt, nur einen Teil einer Vorlesung dar?
Wie wichtig das heutzutage noch ist und wie wenig postkolonial reflektiert wird, kann man anhand der Eröffnung des Humboldt Forums an der Stelle des ehemaligen Berliner Schlosses sehen. In den Ethnologischen Sammlungen sollen vor allem außereuropäische (Raub-)Kunstwerke, die im Zuge von „Strafexpeditionen“ in ehemaligen Kolonien geraubt wurden, ausgestellt werden. Zuletzt sorgte eine erneute Forderung der Rückgabe der Benin-Münzen an Nigeria für große Kritik, da die das Humboldt Forum betreibende Stiftung keine Anstalten macht, die geraubten Stücke zurückzugeben oder wenigstens gezielt Provenienzforschung zu betreiben, also herauszufinden, woher die Kunst- und Kulturgüter kommen und wie sie nach Deutschland gebracht wurden. Das wird auch nicht durch den eingerichteten „Raum der Stille“ zum Gedenken des deutschen Kolonialismus ersetzt.
Solange diese postkoloniale Perspektive nicht in jeden Bereich eingebunden ist, können rassistische und Abhängigkeitsstrukturen nicht bekämpft werden. Deswegen ist es umso wichtiger, sich selbst zu befähigen, die eurozentristische Perspektive andauernd zu hinterfragen und zu verschieben. Denn je mehr man über Rassismus und andere Diskriminierungsformen weiß, desto besser können diese bekämpft werden.
Tipps für rassismuskritisches Denken finden sich z. B. in „exit racism“, „Deutschland Schwarz Weiß“, „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“, dem Podcast „Feuer & Brot“ oder auch in der „ZDF Magazin Royal“-Folge vom 11.12.2020. In Dresden beschäftigt sich unter anderem die Gruppe Dresden Postkolonial mit dem Thema. Wer sich für die postkoloniale Theorie interessiert, kann auf dem Instagram-Kanal erklaermirmal für hilfreiche Begriffserklärungen vorbeischauen.
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Text: Lisa von WHAT
Foto: Amac Garbe