Wenn Ihr diesen Text lest, dann seid Ihr in meinem persönlichen Alptraum gelandet – dem Kolumnenteil. Obwohl ich sehr gerne diskutiere, ist es eine große Überwindung für mich, meine Meinung so öffentlich darzustellen; einzubrennen in die unendlichen Weiten des Internets. Immer im Hinterkopf all die Schreiber, die ihre Texte witzig und klug tippen, die Diskussionen anregen, auf deren Meinung man baut. Leute, auf die man sich jede Woche freut, deren Beiträge zum Leben dazugehören wie die Marmelade aufs Brötchen. Und ich? Ich bin ein kleines Licht. Und trotzdem schreibe ich – weil ich stolz bin auf das, was wir tun.
Mein Weg zu Campusrauschen war einem Zufall geschuldet. Ich war vor drei Jahren auf einem Bloggertreffen, unsere Chefredakteurin drückte mir ein Kärtchen in die Hand. Und ein Traum, der viele, viele Jahre in mir schlummerte, erwachte zum Leben – „Journalistin“ sein. Obwohl ich nur eine vage Vorstellung davon hatte.
63 Artikel später stelle ich fest: Es ist viel Verantwortung, aber es gibt viele Freiheiten. Ich bin an keinen Plan gebunden, ich kann tippen wann und wie ich will, ich kann mir Themen aussuchen. Ich muss aber auch vieles selbst organisieren. Gesprächspartner finden, Termine vereinbaren – für jemanden wie mich, der gern auf Bühnen steht, aber schon Probleme hat, Bekannte zur neuen Trend-Sportart „Spazieren“ auszuführen, eine Überwindung. Denn ich habe erst 63 Artikel geschrieben. Weder einen Preis gewonnen, noch einen Skandal aufgedeckt und gut fälschen kann ich auch nicht. Ich bin nur jemand, der gern schreibt.
Wenn ich mich überwunden habe, dann muss ich all die Informationen sortieren und Artikel strukturieren. Sich Aufzeichnungen von 20 bis 70 Minuten anzuhören und aus all den spannenden Puzzleteilchen die wichtigsten herauszusuchen, ist nicht immer einfach. Es fühlt sich so an, als müsste ich meinen Schrank mit den geliebten Klamotten auf die 100 wertvollsten verkleinern. Aber ich sehe mich in diesen Momenten weniger als Künstler, denn als Entdecker, der Schicht für Schicht ein Artefakt freilegt und nicht aufgibt, bis alles so verständlich ist, dass Ihr es versteht. Egal, welchen Hintergrund Ihr habt. Danach muss der Artikel noch aufgebaut werden. Idealerweise hat er eine Dramaturgie. Etwas, das Euch animiert, immer weiterlesen zu wollen. Ein Suchtfaktor der Sprache. Und Zitate müssen sein. Sätze, die Menschlichkeit vermitteln oder so knackig sind, dass man sie sich an die Wand klebt oder auf Twitter teilt.
Danach ein erster Blick von mir auf das fertige Werk – um Fehlstellen zu finden. An welchen Punkten sind die Fakten noch unklar? Habe ich das Thema objektiv genug betrachtet? Gibt es Aspekte, die interessant sein könnten, die ich noch nicht beleuchtet habe? Für welche Teile muss ich noch mal recherchieren oder nachfragen? Und selbstverständlich ein kritischer Blick auf die Sprache. Wie nah bin ich dem Thema? Wahre ich die journalistische Distanz? Klingt der Text gut oder so, als hätte ihn ein 90er-Jahre-Lerncomputer zusammengebastelt?
Wenn ich glücklich bin, geht er in die Chefredaktion. Von dort kommen Anmerkungen zur Sprache, aber auch zum Inhalt. Wenn etwas unstimmig erscheint, wird es markiert. Wenn etwas noch nicht tief genug ist: auch. Wenn Namen falsch geschrieben sind: selbstverständlich. Aber abgesehen vom Fachlichen: Mein Text bleibt, wie er ist – es werden keine Absätze herausgekürzt, Sätze gestrichen oder umgestellt. Es sei denn, ich stelle nach der ersten Korrekturrunde fest, dass ich mich verrannt habe und noch mal komplett neu schreibe. Allein in meinem kleinen Kämmerlein kann ich mich gut über mich oder die Anmerkungen aufregen. Ich werde zum feuerspeienden Drachen, der jegliche Kritik in ein Häufchen Asche verwandelt und unter mein Sofa kehrt. Aber als Journalisten sind wir der Objektivität verpflichtet und ein „Das muss so sein, weil es in meinem Kopf so ist!“ ist kein Argument für einen Artikel. Ich bin sehr froh darüber. Ich werde immer besser, aber es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass noch mindestens ein Augenpaar mitliest.
Und: Kein Artikel ohne Foto! Sobald ich eine grobe Vorstellung habe, was und wer passt, beauftrage ich unseren Fotografen und vergieße danach ein Freudentränchen, weil das Bild so hübsch geworden ist.
Und warum das alles? Die Zeit, die Selbstzweifel, das Ringen um Worte? Weil es erfüllend ist. Weil ich Menschen zu dem befragen kann, was sie bewegt. Dinge so tief betrachten kann, bis ich auf dem Grund angekommen bin. Weil ich aus meiner Filterblase herauskomme und Menschen erlebe, die andere Berufe, andere Leidenschaften haben. Weil ich hinter die Kulissen gucken kann und spüre, was notwendig ist, damit unser Alltag so alltäglich bleibt. Weil ich gezwungen bin, aus mir herauszugehen. Und weil es Leute gibt, die mich dabei unterstützen.
Text: Vivian Herzog
Foto: Amac Garbe