Warum studieren? Warum nicht eine Ausbildung oder gleich arbeiten? Für viele der kommenden Erstis ist die Entscheidung gerade gefallen. Studium bedeutet, sich theoretisches Wissen anzueignen. Wissen, das eine*n begeistert. Wissen, das spannend, erstaunlich, aufregend ist und am besten am Puls der Forschung. Damit wird die Universität zu einem Ort, an dem Dozierenden den Studierenden neben dem Inhaltlichen ihre Begeisterung für das eigene fachspezifische Wissen weitergeben können. Ein Ort, an dem die kommende Generation Wissenschaftler*innen ausgebildet wird und Wissenserwerb somit erst einmal dem Selbstzweck dient. Welche Berufe genau mit dem erlangten Wissen ausgeübt werden, ist meist lange nicht klar.
Meist – denn etwas anders ist es bei Lehramt oder Medizin, wo das Studium vorbereitend für relativ spezifische Berufsgruppen ist. Aber es gibt Ausnahmen, nicht alle der Studierenden werden Lehrer*innen oder Ärzt*innen. Und so geht es auch hier im Studium zunächst um den fachspezifischen Wissenserwerb und die Begeisterung dafür. Doch mit dem Zukunftsvertrag will die Universität Leipzig ab 2021 das Lehramtsstudium umgestalten. Das Rektorat der Uni sagt, sie würden mehr unbefristete Stellen schaffen. Die Studierenden und viele Mitarbeitende sagen, die Uni würde Stellen streichen und die Qualität des Studiums und der Lehre gefährden. Ein guter Grund für die Studierenden, das Rektorat zu besetzen. #LehreOhneZukunft ist für die Lehramtsstudierenden ein so wichtiges Thema wie schon lange nicht mehr.
Vom Hochschulpakt zum Zukunftsvertrag
Doch wie kommt es zu dieser Änderung und dem Protest dagegen? Eigentlich sind Hochschulen Ländersache. Doch aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge und deutlich mehr Studienanfänger*innen einigten sich Bund und Länder 2007 auf den Hochschulpakt. Nach diesem stellt der Bund den Ländern – und so direkt den Universitäten – Mittel für die steigenden Studierendenzahlen zur Verfügung. Dieser Pakt wurde mit der weiter ansteigenden Anzahl an Studienanfänger*innen noch zweimal verlängert. Der dritte Hochschulpakt läuft nun aber 2020 aus und da die Studierendenzahlen stagnieren, sollte etwas Längerfristiges her. Das ist der „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“, der weiterhin den Ländern Mittel vom Bund zur Verfügung stellt. Ein ironischer Titel, finden die Studierenden in Leipzig. Denn die Bedingungen, die an das zusätzliche Geld geknüpft sind, haben es in sich oder werden insbesondere an der Universität Leipzig so umgesetzt, dass sie die Lehre schwächen. Dabei soll in Sachsen das Geld vor allem für das Lehramtstudium verwendet werden, weswegen die Umsetzung hier besonders spürbar ist.
Zunächst ist der Zukunftsvertrag dauerhaft angelegt, weswegen Stellen in der Lehre nun auch endlich nicht mehr befristet werden sollen. Toll, denkt sich da das Rektorat der Uni Leipzig. Mit dem Ende des Hochschulpakts zum 31. Dezember 2020 laufen auch zahlreiche befristete Verträge von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen aus. Das ist doch eine gute Chance, die Verträge nicht zu verlängern. Stattdessen soll es nun mehr Stellen für Lehrbeauftrage für besondere Aufgaben (LfbA) geben. Und wo diese Stellen unbefristet sind, kann man gleich – ähnlich wie sonst bei den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen – die Lehrverpflichtung auf 20 Semesterwochenstunden (SWS) hochsetzen. So laufen die Verträge von vielen Arbeitsplätzen aus und es werden weniger neue Stellen geschaffen. Praktisch sind das Stellenkürzungen, sagen die Studierenden. Aber unbefristet, sagt die Uni.
Problematische Umsetzung an der Universität Leipzig
Dass man mit 20 SWS keine Zeit mehr hat zu forschen, zu wissenschaftlichen Kongressen zu fahren oder 10 unterschiedliche Seminare vorzubereiten, lässt sich leicht ausmalen. Aber das sollen die LfBAs ja auch gar nicht. Diese Stellen wurden an der Uni ursprünglich für nicht forschungsbezogene Kurse geschaffen – Sport- und Sprachkurse beispielsweise. Das jetzt 73 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät in Leipzig durch LfBAs ausgefüllt werden sollen, bedeutet eine Entwissenschaftlichung der Lehre. Schon jetzt werden 80 Prozent der Veranstaltungen durch LfBAs gegeben. Die Anzahl wird 2021 weiter steigen. Ganz konkret heißt das für die Studierenden z. B. Multiple-Choice-Tests statt Hausarbeiten oder Probleme, Betreuer*innen für Abschlussarbeiten zu finden. Und für die Dozierenden bedeutet es, das gleiche Seminar mehrmals in der Woche anzubieten. Da wird die Freude am Wissenserwerb und dessen Vermittlung bei allen Beteiligten sicher steigen. Die Kosten pro Student*in im Lehramtsstudium werden so vermutlich aber geringer ausfallen. Und nach wie vor muss an der Hochschule um jeden unbefristeten Vertrag und genügend Mittel für Forschung und Lehre gerungen werden. Es besteht also die Gefahr, dass andere Unis sich die Umstrukturierung bei der Uni Leipzig abgucken werden.
Gründe genug, das Rektorat zu besetzen, sagen die Studierenden. #LehreOhneZukunft lautet ihre Kampagne. So viele Studierende wie schon lange nicht mehr beteiligen sich daran, obwohl das Thema trocken und hochschulpolitisch ist. Am 29. Juli zogen sie für zwei Tage ins Rektorat der Universität Leipzig, wo im Gegensatz zu Dresden sogar die Übernachtung vor Ort stattfinden konnte. Am 31. Juli starteten die Verhandlungen mit dem Rektorat. Die Vorwürfe mit den Stellenkürzungen seien sachlich falsch und die Uni könne versichern, dass alle eine betreuende Person für ihre Abschlussarbeiten finden würden, argumentierte Prorektor Thomas Hofsäss. Die Studierenden hielten an ihrer Perspektive fest und sahen keine weitere Grundlage für Verhandlungen. Daraufhin wurde die Besetzung, ohne Problemlösung, auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Ganz ohne Erfolg war sie dennoch nicht. Immerhin gab es durch die Besetzung Presseberichte und eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Situation.
Den Landtag hatten die Pläne der Universität Leipzig schon vorher erreicht. Hier hatte das Bündnis #LehreohneZukunft, das aus Studierenden und Dozierenden besteht, am 15. Juli während der 12. Plenarsitzung eine Kundgebung abgehalten. In der Plenarsitzung kritisierten SPD, die GRÜNEN und die LINKE das Vorhaben der Uni Leipzig. Ein tatsächliches Überdenken der Pläne durch die Hochschule war aber nicht in Sicht und so sahen sich die Studierenden dazu gezwungen, zu drastischeren Mitteln zu greifen – die Rektoratsbesetzung. Es wird sich zeigen, wie die Studierenden und Dozierenden an der Uni Leipzig weiter agieren werden.
Studieren im Akkord
Gleichzeitig kommt das nächste Problem auf die Studierenden zu. Im Zukunftsvertrag werden nicht wie zuvor im Hochschulpakt die Gelder an die Zahl der Studienanfänger*innen gekoppelt, sondern auch daran, wie viele Studierende ihr Studium in der Regelstudienzeit abschließen werden. Die SPD spricht von einem Belohnungssystem, das Anreize zum Durchpowern des Studiums setzen soll. Für die Studierenden bedeutet das aber auch noch mehr Zeitdruck im Studium als ohnehin schon.
Zugespitzt gesagt haben die neusten Entwicklungen zur Folge: Spaß am wissenschaftlichen Arbeiten und Lernen Ade, Hallo Bulimielernen für Multiple-Choice-Arbeiten. Statt Wissenschaft zum Selbstzweck lieber möglichst schnelle Berufsvorbereitung. Soll so wirklich die Zukunft des Studierens aussehen? Wo bleibt da der Platz für das freie Studileben, von dem die arbeitenden Menschen immer so melancholisch schwärmen? Es ist an uns Studierenden, uns gegen die fortschreitende Effizienzsteigerung des Studiums aufzulehnen. Das heißt aktiv werden – und manche finden es dafür sinnvoll, auch mal ein Unigebäude zu besetzen.
Text: WHAT
Foto: Amac Garbe
Ein Gedanke zu “Mit dem Zukunftsvertrag zum Akkordstudium”