Alles begann an einem lauschigen Sommertag vor acht Jahren. Ich stand im Bad, vor mir ein orangenes Farbnäpfchen mit einer babyblauen Masse, und ich schrie so laut, dass der Spiegel kurz davor war, aus dem Fenster zu springen, es sich aber anders überlegte und mir beistand.
Wie eines der Mädchen aus dem Fernsehen wollte ich aussehen, mit ein paar hellen Strähnen im aschbraunen Haar. Die Haare bepinseln, 30 Minuten warten, spülen, schütteln und dann lasziv mit den Wimpern klimpern. Jetzt sah ich aus wie eine Mischung aus Toast und Streifenhörnchen. Dicke Strähnen waren über meinen Oberkopf verteilt und statt gold-braun waren sie vanillepuddinggelb. Später sollte ich lernen, dass das völlig normal ist, weil die Fertig-Blondierungen stärker konzentriert sind als nötig. Jedenfalls waren die 90er vorbei und ich hatte meinen Glauben sowie fünf Euro an die Haarfärbe-Industrie verloren – und wusste nicht, wie ich das Problem beheben konnte. Vorläufig konnte ich mir mit ein paar Flechtfrisuren behelfen, aber meine Fähigkeiten waren begrenzt und meine Kreativität auch.
Die Lösung kam ein paar Wochen später in Form einer Trennung. Tränen der Wut pflasterten ihren Weg und würden später ganze Städte errichten, aber es half mir, etwas mit meinen Händen zu tun. Denn mein damaliger Partner wollte sich schon immer die Haare färben, traute sich aber nicht, weil er befürchtete, später berufliche Nachteile zu erleiden. Wir beide wussten, dass er auch in einem Clownskostüm oder im Borat-Look arbeiten könnte, solange er Zeichen in seinen Computer hackte und Skype-Gespräche vermied. Aber Scham ist eine gute Hürde, Wut ein besserer Bulldozer und Trotz nur ein unlogischer Versuch, sein Krönchen zu richten – ich war gebrochen, aber ich tat etwas, das er niemals tun würde. Also ging ich in einen Haarladen und kaufte mir ein dunkles Grün. Was mir keiner gesagt hatte: Viel hilft viel – bei der Einwirkzeit. Mindestens 30 Minuten sollte die Farbe draufbleiben. Viel hilft nicht viel, wenn man die Tönung im ganzen Bad verteilt und sie sich überall festsetzt. Mein Haar strahlte Grün, meine Fliesen auch. Selbst nachdem ich sie mit einem Schwamm bearbeitet hatte. Es sah immer noch etwas komisch aus, aber nicht mehr so auffällig.
So kämpfte ich mich durch die Monate, bis von meinem Färbeunfall nicht mehr viel zu sehen war. Eine zwiespältige Bindung entwickelte sich. Einerseits nervte mich die Unberechenbarkeit der Farbe, dass sie soviel Dreck machte. Andererseits stellte ich fest, dass „bunt“ für mich gar nicht so ungewohnt war. Ich begann, mich ins Thema zu gucken und zu lesen und ich lernte, mit der Unberechenbarkeit zu leben. Jedes Haar ist anders, aber auch eine Blondierung folgt Regeln – je höher der Qxidant (der Anteil des Wasserstoffperoxids), desto stärker wirkt sie. Je heller die Naturhaarfarbe, desto niedriger muss sie konzentriert sein. Und sie macht die Haare kaputt, weil sie die äußere Schicht zerstört, damit sie die Farbpigmente aus dem Naturhaar klauen kann. Man kann dafür sorgen, dass sich das Haar besser anfühlt, aber man kann es nicht heilen.
Die künstlichen Pigmente der Tönung wiederum halten in jedem Haar anders. Meist wäscht sich Rot schneller raus als Blau. Blaue Pigmente halten sich bei mir hartnäckig, sodass das Haar nach einiger Zeit verschimmelt aussieht. Eine weitere Blondierung kann das Haar aufhellen oder die Pigmente noch tiefer ins Haar einlagern. Rasieren ist eine Lösung, cleverer ist es aber, den Farbkreis aus Klasse 2 hervorzuholen und mit der Gegenfarbe zu übertönen, bei Grün mit Rot. Oder man nimmt die nächste Farbe. Wenn man sich dieser Stolpersteine bewusst ist und was man dagegen tun kann, hat man viele Freiheiten.
Manchmal sagen enge Freunde und Fremde, sie würden sich über meine „bunten“ Haare freuen. Ich kann damit wenig anfangen, weil sie mittlerweile zu mir gehören wie meine Augenbrauen oder die Härchen auf meinem Knie. Oder die Form meiner Lippen. Obwohl ich stundenlang grübeln kann, welche Farbe die nächste ist, erfreut mich der Blick in den Spiegel. Es wäre komisch, komplett Natur zu sein, aber es wäre okay. Doch nicht alles ist positiv. Besonders in meiner Bewerbungsphase machte ich mich mit meinen Haare angreifbar. Von allen Dingen, die in einem Bewerbungsgespräch schiefgehen können – schlechte Vorbereitung, schweißige Hände, falscher Job oder einfach die fehlende Chemie –, sind Äußerlichkeiten das einfachste. Mehrmals wurde mir gesagt, meine Chancen stünden besser, wenn ich mir die Haare nicht „bunt“ färben würde. Und einmal erklärte man mir, dass es trotz der fachlichen Eignung nicht reiche und ein Grund dafür die Farbe sei. Trotz Duttkissen, Blazer und 12-cm-Pumps, mit denen ich jeden Taschendieb in die Flucht schlagen und bei denen jeder Bordstein eine Massenkarambolage meines Körpers auslösen konnte.
Es hat mich traurig gemacht, abwägen zu müssen zwischen meiner beruflichen Zukunft und einem Teil von mir, der mir so wichtig ist. Es ging weniger um die Frage, wer ich bin, als der Mensch, der ich sein kann. Wenn ich nicht frei entscheiden kann, ob ich mir die Haare färbe, wer bin ich? Werde ich vom Sekretariat in die Besenkammer versetzt? Bin ich vorübergehend nicht erreichbar? Verringert die falsche Haarfarbe meine Konzentration oder fühlen sich Kollegen an Feuer erinnert, wenn ich Rot trage? Wirkt Blau einschläfernd? Könnte ich Kunden ablenken, weil sie so auf meine Haare fixiert sind, dass sie überhören, dass ich sie übervorteile?
Ich habe mich für mich entschieden, aber lange damit gehadert. Und erst später realisiert, dass bei vielen Bewerbungsgesprächen die Erwartungshaltungen unterschiedlich waren, auf beiden Seiten, und dass keine Einhorn-Glitzer-Farbe der Welt meine Chancen erhöht hätte.
Mittlerweile habe ich einen Job, in dem das egal ist. Und wenn ich nett frage, darf ich vielleicht im Clownskostüm arbeiten.
Text: Vivian Herzog
Foto: Amac Garbe