Faden für Faden

Für manche ist es ganz einfach: Den Faden um den Finger wickeln, die Nadel in eine Schlaufe stecken und durchziehen. Wahlweise von vorne oder hinten, gemeinsam, einsam, verschlingend, vermehrend, wie Zellteilung. Und für manche ist es die einfachste Methode, sich mindestens vier Finger zu brechen. Oder das Unlogischste, das man sich vorstellen kann. Was vorn und hinten mit rechts und links zu tun haben, das weiß ich bis heute nicht. Aber ich weiß: Stricken ist eine sehr kommunikative Tätigkeit.

Anfangs fand die Kommunikation zwischen mir und meiner Erzieherin statt, die mir erklärte, man müsse den Faden holen und dann nach unten drücken. Vielleicht war die Beschreibung „reinstecken und rüberholen“ nicht kindgerecht genug, aber dieses prägende Erlebnis erschuf in mir den Mythos „Stricken“ und dass ich handwerklich wohl nie etwas anderes hinbekommen würde als ein belegtes Brötchen mit Schnittkäse.

Den zweiten Versuch startete ich am Anfang meiner Ausbildung. Getrieben von dem Gefühl, nach meinem Abi noch größere Herausforderungen zu bewältigen, wagte ich mich erneut heran. Irgendwie musste das magische Wollknäuel der Grausamkeit doch zu bezwingen sein! Mein Kommunikationspartner hier – der Klassiker: meine Mutter. Meine Mutter besitzt mehr Talente, als in eine RTL-Castingshow passen. Sie ist ein magisches Mischwesen aus dreizehn Feen, Gandalf und Hedwig, der Eule. Sie kann kochen, backen und trösten, und wahrscheinlich kann sie alles Unmögliche möglich machen, auch wenn sie das gut versteckt. Mir Stricken beizubringen, das zählte nicht dazu. Vielleicht war sie selbst darin zu clever und ich einfach zu doof. Statt eines schönen Pullis erschuf ich nur ein n-förmiges Stück Maschenhaufen, das selbst als Topflappen nicht zu gebrauchen war.

Aber meine Niederlage war nur vorläufig, denn mit Pauken, Trompeten und einem Panda-Video erhob sich YouTube aus den Tiefen des pubertierenden Internets. Ein Portal, auf dem ich von nun an jungen und alten Strickern und Strickerinnen verschiedenster Sprachen lauschen konnte. In verschiedenen Lautstärken und Pixelgrößen lernte ich, das europäische vom amerikanischen Stricken zu unterschieden, dass man den Faden von links und rechts wickeln und holen kann, und dass man der Größte ist, wenn man sogar beidhändig stricken kann. Und warum mit zwei Nadeln stricken, wenn es auch mit fünf geht? Sieht leicht aus, ist es aber nicht. Noch heute fühlen sich die ersten Runden mit dem sogenannten Nadelspiel an, als würden sich meine Finger verknoten, während die Holzstäbchen Halt in meinem Oberschenkel, meinem Auge oder schlimmerem suchen.

Aber trotz aller Technik: Stricken ist eine wundervolle, rhythmische Tätigkeit. Nicht umsonst nennt man es auch liebevoll „mit den Nadeln klackern“. Es braucht seine Zeit, und wenn ich drei Anläufe brauche, um ein neues Muster zu lernen, dann ist das frustrierend. Aber umso schöner, wenn ich es geschafft habe. Erst kürzlich habe ich meinen Freund als eindeutig „meins“ markiert, indem ich ihm eine Wendemütze mit zweifarbigem Muster geschenkt habe. Sie sieht ein bisschen aus wie der Pilz aus Mario Kart, aber wenn er „All you need is love“ anstimmt, dann kullern die Tränen noch etwas ergriffener über meine Wangen.

Stricken ist etwas, das ich überall machen kann – Bahn, Bus, manchmal auch, während ich mich unterhalte. Es beruhigt mich, gibt meinen Händen eine Beschäftigung und lenkt mich davon ab, nervös zu sein. Nur mein Zahnarzt sieht das anders und verweigert seine Mitarbeit an meinem neuen Projekt.

Und was mich am meisten erstaunt: Durch das Stricken kommt man gut mit anderen in Kontakt. Schon mehrmals wurde ich in der Bahn angesprochen, ob das nicht kompliziert sei – und schon entspinnt sich ein kleines Gespräch über die Vergangenheit und den Stolz, etwas geschafft zu haben. Ich mag das sehr. Letztlich ein Gewinn, von vielen Seiten. Nur mein Konto mahnt mich, dass ich weniger Geld für Wolle und mehr für Essen ausgeben sollte. Aber Leiden macht mehr Spaß, wenn man einen schönen Schal dabei trägt.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

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