Mit „Deutschstunde“ bringt Christian Schwochow einen Klassiker der deutschen Nachkriegsliteratur auf die Leinwand.
Möwen kreischen, Wellen rauschen im Hintergrund, die Sonne bringt das Watt zum Leuchten. Eine scheinbar friedvolle Szenerie. Doch was sich gleich abspielt, ist alles andere als das. Über die Dünen nähern sich zwei Personen einem Maler, der in der Nordseelandschaft vor seiner Staffelei steht. Der Dorfpolizist Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) ist in Begleitung seines Sohnes Siggi (Levi Eisenblätter) gekommen, um seinem Jugendfreund Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti) ein Malverbot zu überbringen. Die Nationalsozialisten halten dessen expressionistische Kunst für krank und entartet.
Einige Jahre später, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erinnert sich der herangewachsene Siggi (Tom Gronau). In einer Strafanstalt soll er einen Aufsatz zum Thema „Die Freuden der Pflicht“ schreiben. Aber sein Blatt bleibt leer. Am nächsten Tag muss er die Aufgabe in einer Zelle nachholen. Ein Heft nach dem anderen füllt er nun mit den Erinnerungen an seinen Vater, für den die Pflicht immer an oberster Stelle stand. So auch die Überwachung des verhängten Malverbots. Helfen soll ihm dabei sein Sohn. Doch auch Nansen setzt auf die Hilfe seines Patenkindes Siggi, dem er fortwährend das Malen beibringt. Der Junge gerät so zwischen die sich immer weiter verhärtenden Fronten und sieht sich schließlich zwei Möglichkeiten ausgesetzt: anpassen oder Widerstand leisten?
„Deutschstunde“ basiert auf dem gleichnamigen Weltbestseller von Siegfried Lenz aus dem Jahr 1968, der in über zwanzig Sprachen übersetzt wurde und jahrzehntelang als Lektüre im Deutschunterricht diente. Nachdem der Stoff bereits 1971 als zweiteiliger Fernsehfilm umgesetzt wurde, hat sich nun Regisseur Christian Schwochow an den Klassiker der deutschen Nachkriegsliteratur gewagt. Zum fünften Mal arbeitete er dafür mit seiner Mutter Heide Schwochow zusammen, die das Drehbuch für den Film verfasst hat.
Herausgekommen ist ein Film, der nicht nur auf inhaltliche, sondern ebenso auf atmosphärische Weise wirkt. Etliche Szenen in dem rund zweistündigen Werk kommen ohne große Worte aus, umso mehr treten hier Landschaft und Musik in den Vordergrund, die Stimmungen und Emotionen vermitteln. Die Weite der Nordsee, die Geräusche von Wind und Wasser, alles trägt seinen Teil zur Wirkung der Geschichte bei. Auch die zuweilen düstere Atmosphäre im Hause der Familie Jepsen – wenig Licht dringt in die niedrigen Räume – untermauert den Grundtenor des Films. Der Nationalsozialismus selbst ist dabei jedoch kaum präsent. Oder zumindest nicht in den typischen Bildern und Symbolen, wie man sie aus anderen Filmen über den Zweiten Weltkrieg kennt. Angelegt war dies schon so von Lenz in seinem Roman, im Drehbuch wurde es noch einmal verstärkt. Das Ziel, der Geschichte so einen universellen Charakter zu verleihen und sie in die Gegenwart zu holen, wird damit gekonnt erfüllt. In Zeiten des politischen Umbruchs, in denen ein deutlicher Rechtsruck in der Gesellschaft zu verspüren ist, scheint es besonders wichtig, Geschichte lebendig zu halten, Geschehenes nicht einfach ad acta zu legen und immer wieder vor Augen zu führen, wohin Intoleranz und Diskriminierung führen können. „Deutschstunde“ leistet dazu 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seinen Beitrag.
Text: Marie-Luise Unteutsch
Zum Foto: Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) und sein 11-jähriger Sohn Siggi (Levi Eisenblätter) im Watt.
Foto: Network Movie/Wild Bunch Germany 2019/Georges Pauly