Ein letztes Mal gehe ich den mir vertrauten Weg, überquere an der Haltestelle die Straße, laufe über den Campus. Es ist ruhig heute, nur ein paar Vögel singen zu meinem Abschied. Ihr Lied klingt fröhlich, mich aber beschleicht ein mulmiges Gefühl. Knapp zwei Jahre ist es her, dass ich hier mein Masterstudium begonnen habe, nun halte ich meine Abschlussarbeit in den Händen. Ruhig sehe ich mich um, lasse die vergangenen Jahre noch einmal an mir vorüberziehen und frage mich, wo die Zeit geblieben ist.
Bis hierhin ist mein Leben lückenlos: Abitur, Bachelor, Master. Eins nach dem anderen, alles so schnell wie möglich. Vielleicht zu schnell, denke ich im Nachhinein manchmal.
Immer wieder wurde ich gefragt, was ich nach dem Studium machen will, was man mit einem Bachelor in Kunstgeschichte und Germanistik, einem Master in Angewandter Linguistik machen kann. Von den vielen verschiedenen Optionen habe ich dann geschwärmt. Doch nach und nach kamen die Zweifel und jetzt frage ich mich selbst: „Und, was machst du nun?“
Für jemanden, der das Gefühl braucht, alles unter Kontrolle zu haben, der alles durchdenkt, jede Möglichkeit, die eintreten könnte, schon im Vorfeld abwägt, ist diese Ungewissheit, die sich gerade vor mir ausbreitet, beängstigend. Während der vergangenen Monate hatte ich eine Aufgabe. Eine Aufgabe, die ich auch mal vor mir herschieben konnte, die mir aber dennoch immer im Nacken saß. Diese Aufgabe ist von einem Moment auf den anderen einem großen Nichts gewichen. Einem Fragezeichen, das mich hämisch anlacht. Schon mein Orgellehrer sagte mir vor einigen Jahren, ich hätte ein „horror vacui“ – Angst vor der Leere. Er bezog es allerdings darauf, dass ich dazu neigte, in der Notation vorgeschriebene Pausen zu ignorieren.
Natürlich wusste ich von Anfang an, dass Geisteswissenschaftler auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade heiß begehrt sind. Habe ich mich dadurch von meinem Studium abhalten lassen? Nein. Jetzt kämpfe ich also mit vielen anderen um die wenigen Stellen. Was sie alle eint: die Forderung nach mehrjähriger Berufserfahrung. Frisch gebackenen Absolventen will hier keiner eine Chance geben. Zu groß scheint vielleicht die Verantwortung, zu langwierig der Prozess der Einarbeitung. Doch wo fängt man dann an, wenn man die Uni verlässt? Wer wird mir die Chance geben, mich zu beweisen?
Mit diesen Gedanken setze ich mich in den Zug. Er bringt mich zurück in die Stadt, in die ich mich vor ein paar Jahren, während meines Bachelorstudiums, verliebt habe. Ich weiß, wo ich aussteige. Was ich nicht weiß, ist, wo ich in den nächsten Monaten ankommen werde.
Text: Marie-Luise Unteutsch
Foto: Amac Garbe
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