Manchmal kann einem Dresden schon wie ein Dorf vorkommen. Wohnt man in bestimmten Vierteln, sieht man immer wieder dieselben Gesichter. Und das ist auch gut so, meint Uta Gensichen, Organisatorin des Jane’s-Walk-Festivals, das am Donnerstag (2.5.) startet und zu geführten Spaziergängen durch verschiedenste Dresdner Bezirke einlädt – kostenfrei und ohne vorherige Anmeldung.
Das Festival will ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Stadtplanung vor allem Sache der Bewohner_innen ist und nicht allein Politiker_innen vorbehalten sein sollte. Die Stadttheoretikerin Jane Jacobs (1916-2006) hat es vorgemacht: Sie ist mit offenen Augen durch ihr Viertel gegangen und hat die Missstände dokumentiert. „Jane Jacobs war eine der allerersten in den USA, die sich gegen die Stadtplanung in ihrem New Yorker Quartier
gewehrt hat. Zu ihrer Zeit kam es vermehrt zu einem Abriss von Vierteln, in denen arme Menschen lebten. Aus ihnen sollten neue Plattenbausiedlungen entstehen.“ Jacobs war nicht nur in den 1960er-Jahren Initiatorin einer Bürgerbewegung, die sich gegen die Gentrifizierung ihrer Viertel einsetzte, sondern inspiriert auch heute noch Menschen, sich auf die Socken zu machen. Ein Jahr nach ihrem Tod begannen ihr zu Ehren die Jane’s Walks im kanadischen Toronto, wo Jacobs zuletzt gewohnt hatte. Diese Spaziergänge durch die Nachbarschaft sollen dabei helfen, das eigene Quartier und die Menschen von nebenan besser kennenzulernen.
„Es ist wichtig, dass sich die Leute in einem Viertel kennen – um sich zu vernetzen“, sagt die 38-jährige Gensichen. Mal abgesehen von der Wahl unserer politischen Vertreter_innen – die Dresdner Stadtratswahl steht vor der Tür – können einem die Spielräume der Mitbestimmung als Einzelne_r manchmal recht klein vorkommen. Dabei gibt es diese Spielräume. Gensichen rät, sich zum Beispiel an Planfeststellungsverfahren (auch online) zu beteiligen und die Möglichkeit zu nutzen, Stadträt_innen auf die Nerven zu gehen. Sie selbst ist Mitglied der Initiative „Dresden zu Fuß“, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Stadt fußfreundlicher zu gestalten. Will heißen: mehr Zebrastreifen, gerechtere Ampelschaltung, Mitdenken der Bedürfnisse von Fußgänger_innen bei neuen Bauvorhaben etc. Dabei sei es auch wichtig, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Die von besonders jungen oder alten Menschen beispielsweise oder Menschen mit Behinderung. Wer seine eigene Perspektive einbringen möchte, kann sich der Dresdner Ortsgruppe des FUSS e. V. gerne anschließen, sagt Gensichen.
Die Jane’s Walks sollen Lust darauf machen, sich mit Stadtplanung zu beschäftigen. Um so viele Spaziergänge wie möglich erleben zu können, hat die Organisatorin selbst extra Urlaub genommen. Schließlich hat sie das Festival nach Dresden geholt, „weil ich es selbst erleben wollte“, sagt die studierte Politikwissenschaftlerin. Und das sind ihre fünf Tipps von insgesamt 26 Touren:
Donnerstag, 2.5.
16-17 Uhr: Wie kann es gehen? Fußverkehrscheck in Altfranken – eine Tour rund um die Kreuzung Rudolf-Walther-Straße, die zeigt, wie schwer es Fußgänger_innen manchmal gemacht wird, sich in der Stadt zu bewegen.
19-20.30 Uhr: Cineastisches vom Albuminpapier über die „Dresden D 2“ bis heute – ein Spaziergang durch die Antonstadt, der Dresdner Kinogeschichte und Filmkultur in den Blick nimmt.
Freitag, 3.5.
17-20 Uhr: BIER:Löbte – Kneipensuche in Löbtau-Süd – eine Tour durch die vielfältige Kneipenszene Löbtaus mit Stopps in drei unterschiedlichen Lokalitäten.
Samstag, 4.5.
10-12 Uhr: Moderne Frauen damals und heute in Dresden-Löbtau – ein Spaziergang, der die Frauen thematisiert, die Löbtauer Straßen ihren Namen geben.
Sonntag, 5.5.
14-17 Uhr: audioscript. Eine Tour zu zwölf exemplarischen Orten antisemitischer Verfolgung während des Nationalsozialismus in Dresden, beginnend an der Synagoge.
Dass Gensichen gleich zwei Walks durch Löbtau hervorhebt, liegt nicht daran, dass sie dort wohnen würde. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich an den meisten Tagen des Jahres auf die Neustadt, wo sie lebt und arbeitet. Und so bietet sie selbst auch einen Spaziergang ab Ecke Bautzner/Rothenburger Straße an. Während der Tour „Geht ja gar nicht! Zu Fuß unterwegs in der autogerechten (Neu-)Stadt“ (Freitag, 3.5., 17-19 Uhr) darf ruhig gemeckert werden. Beispielsweise darüber: „Es gibt viel zu viele Autos. Vor allem parkende Autos verbrauchen eine enorme Fläche, die man beispielsweise Radfahrer_innen und Fußgänger_innen zugänglich machen könnte“, klagt Gensichen. Es sollen aber auch Lösungsansätze für die Straße der Zukunft gefunden werden. Im Rahmen des Projekts „Autofreie Zukunftsstadt – Die Woche des guten Lebens“ setzt sich Gensichen mit anderen dafür ein, die Äußere Neustadt für sieben Tage autofrei zu machen. Wie das gehen kann? Darüber könnte man sich mal Gedanken machen. Vor allem: Wie kann der frei gewordene Platz genutzt werden?
Wer selbst etwas zu sagen hat über sein Viertel, der kann bis heute noch einen Walk anmelden. Es geht nicht darum, einen Vortrag zu halten, sondern um das Zusammenkommen und das Sprechen über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt und ihrer vielfältigen Bezirke.
Text: Marie-Therese Greiner-Adam
Foto: Amac Garbe