Campuskolumne

Wer einmal in der vorlesungsfreien Zeit vier Wochen Praktikum gemacht hat und nebenbei noch Hausarbeiten schreiben musste, der weiß, was Stress bedeutet. Auch wer mal mehrere Klausuren in der Woche hatte, weiß, was Stress bedeutet. Wer zwei Vorträge in Gruppenarbeiten absolvieren und das mit dem Nebenjob jonglieren musste, weiß, was Stress bedeutet. Wer eine Familie hat, das Kind krank wird und man kurz vor den Prüfungen steht, auch der weiß, was Stress bedeutet. Oder besser: Alle Studierenden kommen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen in solche Situationen, die das genaue Gegenteil dessen beschreiben, was von vielen als „das Studentenleben“ beschmunzelt wird.

Wir alle kennen doch Sprüche wie „Studieren ist wie arbeitslos sein – nur dass Deine Eltern stolz auf Dich sind.“ So richtig darüber lachen kann nicht jeder. Verständlich, denn wer neben dem Studium noch einen Nebenjob erledigt, ehrenamtlich im Fachschaftsrat oder politisch engagiert ist, Kinder hat oder einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt ist, hat keine Lust auf das Klischee vom faulen Studierenden, der BAföG schmarotzt, ausschläft und feiert.

Denn so ist das Studentenleben einfach nicht. Und auch die Zahlen sagen etwas anderes: Eine Studie der Uni Hohenheim in Kooperation mit der Uni Potsdam fand 2016 heraus, dass 53 Prozent von 18.000 befragten Studierenden ihr Stressniveau als hoch einschätzen. Laut Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse ist ca. ein Fünftel der Studierenden gefährdet, einen Burnout zu erleiden. Die Symptome zeigen sich durch emotionale und körperliche Entkräftung, Entfremdung vom Studieninhalt, Rückzug von sozialen Kontakten und ein mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Uni-Psychologe Wilfried Schumann beobachtet folgendes Phänomen: „Freizeit zu haben macht Studenten ein schlechtes Gewissen. Sie sehen sie als verlorene Zeit an.“ Und wer von Euch hat noch nie auf die Frage „Wie geht’s?“ mit „Ach, der gewöhnliche Unistress eben.“ geantwortet und innerlich gedacht „Wie soll ich all das nur schaffen?“…

Doch was brennt Studierende eigentlich aus?

Neben Studieninhalten und der Studienorganisation ist ein wichtiger Punkt die Finanzierung. Vom BAföG-Höchstsatz kann man vielleicht in einer Stadt mit normalen Mieten gut auskommen, ohne einen Nebenjob auszuüben. Doch all diejenigen, mit denen es das elternabhängige BAföG nicht so gut meint, sind grundsätzlich auf einen Nebenjob angewiesen, um sich das Studium finanzieren zu können. Ob Minijob auf 450-Euro-Basis, Teilzeitjob auf 20-Stunden-Basis oder als Werkstudent – ein Nebenjob kostet Zeit, Verantwortung und Energie. Dann sitzt einem natürlich noch die Regelstudienzeit im Nacken, denn sobald sie überschritten ist, gibt es kein BAföG mehr. Das kann Angst machen. Doch die Regelstudienzeit bedrückt nicht nur diejenigen, deren Finanzierung davon abhängig ist, denn auch generell scheint es auf manche makelhaft zu wirken, wenn eine Person „ein paar Semester zu viel“ studiert.

Hinzu kommen meist auch noch anstrengende Verwandte oder Bekannte, die ständig nachfragen, wie lange man denn noch studiere. Oder noch besser: „Du studierst doch auch schon ganz schön lange, oder?“ Meist klingt das recht vorwurfsvoll. Und dann beginnen die Rechtfertigungen und wie viele Nicht-Studierende können schon komplexe Probleme wie Kurse, die 0,2 Sekunden nach Beginn der Einschreibung voll sind, Stundenplanüberschneidungen, nicht vorhandene Praktikumsplätze oder ähnliche organisatorische Hürden nachfühlen?

Außerdem können Leistungsdruck und die Studienintensität stark belasten. Wer beispielsweise ein Masterstudium anstrebt, hat in vielen Studiengängen einen Numerus clausus über sich schweben wie ein Damoklesschwert. Mediziner wiederum wissen oft nicht, wo sie anfangen sollen zu lernen, weil sich die Arbeit bergeweise auftürmt. Außerdem fließt ja bereits die erste Studiennote in die Abschlussnote ein. Das baut Druck auf. Ebenso wie das Praktikum, das in der langersehnten vorlesungsfreien Zeit stattfindet; alle Klausuren geschafft, den letzten Beleg oder die letzte Seminararbeit abgegeben und schon warten vier Wochen meist unbezahlte Praktika, die auch einer ausführlichen Dokumentation und eines Berichtes bedürfen.

Und dann noch das Ehrenamt, das Engagement: all die Dinge, die so wichtig sind, aber auch viel Zeit kosten. Sei es die Tätigkeit im Fachschaftsrat, im Studentenclub oder politisches Engagement in Bündnissen und Co. Manches tun Menschen einfach, weil es ihnen am Herzen liegt, weil es notwendig für den gesellschaftlichen Wandel oder für den Umweltschutz ist. Schaut man sich genau um, entdeckt man viele Baustellen, an denen freiwillige Unterstützung dringend benötigt wird. Neben Uni und Minijob bleibt dafür zwar Zeit, wenn man gut plant, aber leider nicht so viel wie wünschenswert wäre. Dann kommt das schlechte Gewissen.

Das schaltet sich auch ein wenn die Eltern sich beschweren, dass wir sie mal wieder besuchen könnten, oder alte Schulfreunde anfragen, ob wir am Wochenende mal wieder Zeit haben. Tendenziell natürlich genau dann, wenn gerade zwei Vorträge anstehen. Freunde und Familie zu vertrösten bleibt nicht aus und dennoch sorgt es für schlechtes Gewissen. Und das belastet.

Wenn Euch das nächste Mal jemand wegen Eures Studentenstatus als Faulenzer*in oder Nichtsnutz belächelt, dann denkt dran: Wir kennen das alle. Ihr müsst Euch nicht rechtfertigen! Wer sich nicht mit Eurer Situation beschäftigt und auf Konfrontationskurs geht, der hat Eure Energie nicht verdient.

Und habt kein schlechtes Gewissen, wenn Ihr den Nachmittag auf Netflix verbringt oder beim Sport oder bei Eurer Familie … oder wo auch immer Ihr Euch grade wohlfühlt: Denn nicht alles ist immer gleich prokrastinieren: Manches ist einfach notwendiger Selbstschutz vor dem Stress.

Text: Emilie Herrmann

Foto: Amac Garbe

Ein Gedanke zu “Campuskolumne

  1. Danke für diesen Text, der mich auch zum Nachdenken anregt. Viele angesprochene Situationen habe ich auch selbst erlebt – Kopf hoch und daran denken, dass andere es auch geschafft haben, die Situationen zu meistern.

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