Campuskolumne

„Du hast doch noch nie richtig gearbeitet!“ Das ist nur einer der Kommentare unter einem Video, in dem eine YouTuberin weinend einen (vermeintlichen) Nervenzusammenbruch erleidet, weil sie den Druck, täglich produzieren zu müssen, nicht mehr aushält. Ähnliches unter Artikeln, in denen Blogger beklagen, wie sich das Hobby zum Beruf zum Muss gewandelt hat. Statt Verständnis und Respekt nur Häme und Größenvergleiche.

Wie viel ist künstlerische Arbeit wert?

„Lern was Ordentliches!“ Damit meinten unsere Großeltern einen Beruf, der finanzielle Sicherheit versprach. Und auch heute fühlen sich Eltern gut, wenn das Kind etwas studiert, mit dem sie später unabhängig sind. Im öffentlichen Bild kommt noch die soziale Komponente hinzu – sich für Menschen aufopfern, viel leisten. Viel leisten, auch wenn es gerade nicht passt.

Selbstständig Videos drehen, Schulungen geben oder bloggen, das ist doch der Himmel auf Erden. Selbst entscheiden, wann man arbeitet. Nur vier Tage in der Woche arbeiten und stattdessen auf schicken Events Häppchen futtern und schöne Klamotten tragen – und nebenbei Geld verdienen. Außerdem: Sie haben das doch selbst entschieden!

Viele Menschen arbeiten in einem Beruf, auch wenn die Bedingungen schlechter geworden sind. Weil sie ihn lieben. Weil sich das richtig anfühlt. Manche Kreative tun genau das – sie tun, was ihren Fähigkeiten entspricht. Sie sorgen dafür, dass es Menschen besser geht. Und sie haben das Glück, dafür bezahlt zu werden. Gleichzeitig kämpfen sie manchmal um ihre Existenz. Sie nehmen Jobs an, weil sie Geld bringen, damit sie Herzensprojekte finanzieren können. Sie zahlen Steuern, Sozialversicherungen, manchmal unterstützt durch die Künstlersozialkasse. Aber was passiert, wenn sie krank sind? Oder Urlaub brauchen? Wer kümmert sich um die gesetzlichen Rahmenbedingungen? Viele Kreative, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben, arbeiten sich in Regeln ein, die sich schnell ändern können. Sie verhandeln Verträge. Sie haben keinen Chef, der ihnen manches abnimmt.

Und der innere Chef kann strenger sein als ein „richtiger“ Chef. Eine Ausfahrt verpasst, eine falsche Entscheidung getroffen, an einem Tag weniger geleistet – die Angst, dass es vorbei sein kann, ist da. Manche Blogger nehmen sich daher bewusst eine Auszeit und kommunizieren das ihren Lesern. Sie erleben, dass sie auch in schlechten Zeiten unterstützt werden.

Trotzdem wurmt mich die Frage, warum jemand, der (angestellt) viel arbeitet, „richtig“ arbeitet, eine Person, die kreativ arbeitet, aber nicht. „Neid“ wäre die einfache Antwort. Dass man sich unterdrückt fühlt von jemandem, der viel Spaß hat. Dass man sich nicht wertgeschätzt fühlt. Aber vielleicht geht das tiefer. Vielleicht mögen es Konsumenten nicht, wenn die schöne Welt zerstört wird. Wenn nicht alles unterhaltsam und lustig ist, sondern hinter der Fassade genauso traurig wie das eigene Leben.

Aber Sätze wie „Du hast noch nie richtig gearbeitet!“ befeuern den inneren Chef, egal ob selbstständig oder nicht. Darf ich mich beklagen, wenn es Leute gibt, denen es noch schlechter geht als mir? Warum beklage ich mich überhaupt? Ich könnte mir die Mundwinkel an den Wangen festtackern und alles wäre in Ordnung. Das kann heilsam sein. Es kann auch dafür sorgen, dass man sich noch schlechter fühlt. Aber was andere sagen, soll uns egal sein.

Das Schlusswort lautet daher: Wir sollten die Arbeit anderer anerkennen, egal ob selbständig oder angestellt, in der Öffentlichkeit oder nicht, ob kreativ oder sozial oder wirtschaftlich.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe


Ein Gedanke zu “Campuskolumne

  1. Das „Schlusswort“ möchte ich unkommentiert ohne Einschränkungen unterstützen und habe es deshalb kopiert übernommen.
    Anerkennung und Zuspruch kann man zu jeder Zeit gebrauchen und es kann sehr positiv wirken.
    „“““Das Schlusswort lautet daher: Wir sollten die Arbeit anderer anerkennen, egal ob selbständig oder angestellt, in der Öffentlichkeit oder nicht, ob kreativ oder sozial oder wirtschaftlich. „“““

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