Erst Prüfungsphase, dann Arbeiten schreiben. Für mich bedeutet das: Noch mehr Pizza und noch weniger frisch kochen als sonst schon, Augenringe und schlechte Laune. Deswegen sinkt meine Laune, wie man sich vorstellen kann, mit jedem Tag, und mit ihr leider auch die Freude, die ich habe, wenn ich an einem Spiegel vorbeikomme. Ich sehe scheiße aus. Augenringe und Pickel, ungeschminkt, für Frisuren oder solche Banalitäten wie Haare waschen habe ich keine Zeit und statt einem Lächeln bekomme ich höchstens noch ein irres Lachen heraus. Und an sich ist mein Aussehen auch kein Problem: Wer freiwillig mit mir zusammenwohnt, ist selbst Schuld. In der Bibliothek ist das Licht gedimmt, und wenn ich sie verlasse, ist es draußen längst dunkel. Bis dahin alles gut. Aber dann muss ich in den Bus nach Hause einsteigen. In den hellen Bus nach Hause. In den Bus nach Hause, der, wenn man aus der Bibliothek und der dunklen Nacht kommt, so hell ist, dass man die erste halbe Stunde nach dem Einsteigen noch blinzeln muss. Ziemlich hell.
In diesen Bus steige ich also ein, zucke innerlich kurz zusammen und halte den Kopf immer schön gesenkt. Keiner sieht mich. Keiner kennt mich. Ich bin gar nicht da. Normalerweise funktioniert das in Deutschland super: In der Öffentlichkeit so zu tun, als wäre man alleine. Denn es tun alle. In öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn jeder gezwungen ist, mit vielen fremden Menschen auf engem Raum zusammen zu sein, kann man dennoch durch sie hindurchschauen. Oder auf sein Smartphone. Oder aus dem Fenster. Einfach so mit der Person neben dir reden? Machen Omis, die zu Hause nur noch mit ihren Katzen reden können. Die Devise für alle anderen scheint zu heißen: Nicht auffallen, still sein, ignorieren! Sehr deutsch. Daran halte auch ich mich, sitze auf dem ergatterten Fensterplatz und halte den Kopf gesenkt. Igitt, ist das hell hier.
Aber diesmal funktioniert es nicht. „Sfklghwlkrhzlw warm hjsdkhgjsdhg“, sagt ein Typ neben mir, der im Gang steht und offenbar keinen Sitzplatz mehr abbekommen hat. Er ist Student, schätze ich, vielleicht ein, zwei Jahre älter als ich. Naturwissenschaftler, würde ich sagen. Sieht sympathisch aus, irgendwie geordnet. Ich habe Kopfhörer in den Ohren und deswegen quasi nix verstanden, lächele kurz und schaue wieder aus dem Fenster. Keine Gespräche, keine Menschen jetzt. Er lässt sich davon offensichtlich nicht beunruhigen, sagt noch mal etwas, eindeutig an mich gerichtet, und legt seine behandschuhten Finger auf den Automaten zur Fahrkartenentwertung. Ich nehme einen Ohrstecker raus und frage: „Was?“ „Der Automat hier: Er ist ganz warm. Fass mal an!“ Ich finde, das ist ein eigenartiger Satz, um ihn zu einer Fremden im Bus zu sagen. Trotzdem lasse ich meine Finger flüchtig über die glatte Oberfläche gleiten. „Hmm, warm“, sage ich, „zumindest ein bisschen.“ „Angenehm, wenn es draußen so kalt ist“, entgegnet er. „Wird Zeit, dass Frühling wird.“ Es stimmt, es hatte am Morgen geschneit und war sehr kalt. Ein Grund für mich, mit dem Bus zu fahren statt mit dem Rad. Vielleicht war das eine Fehlentscheidung. „Na ja, direkt frühlingswarm ist es aber jetzt auch nicht, das Gerät“, erwidere ich und muss nun doch ein bisschen lächeln. Komischer Kauz. Aber irgendwie nett. Wirkt nicht so, als ob er mich verschleppen will, sobald ich aussteige, denke ich.
Er schaut mich ernst an und plappert vor sich hin: „Aber die Farbe, die passt doch irgendwie zum Frühling. Schau Dir das mal an, so ein leuchtendes Orange!“ Der will mich doch verarschen, denke ich, während ich unwillkürlich grinsen muss. Reden wir gerade wirklich über die Farbe des Entwertungsautomaten, dieser Fremde und ich? Ich weiß nicht so recht, was ich entgegnen soll. „Du magst also orange?“, kommt meine Antwort schließlich. „Ja, ich glaube, orange ist sogar meine Lieblingsfarbe von allen Farben“, reagiert er, „die leuchtet so schön. Also, vielleicht würde ich jetzt nicht sagen … Also, wenn man mich fragen würde, was ist denn Deine Lieblingsfarbe, dann würde ich vielleicht nicht orange sagen. Aber so ein schönes, leuchtendes Orange, das ist schon wirklich eine schöne Farbe!“
Mittlerweile halte ich meinen Kopf nicht mehr gesenkt. Ich lache, schaue ihm ins Gesicht und stelle fest, dass dieses Gespräch mir Freude bereitet. „Eigentlich“, beginnt er erneut und muss jetzt selbst kurz lachen, „eigentlich war das andersherum. Also, ich mochte die Farbe zuallererst. Und dann haben die den Automaten orange gemacht. Ich habe orange zuerst gemocht.“ Ich grinse. Der Bus hält. Menschen strömen heraus und er setzt sich etwas hektisch seine Mütze wieder auf – draußen steht kein wärmender Entwertungsautomat –, ruft „Na gut … wir sehen uns!“ und springt davon. Ich bleibe zurück, etwas verblüfft. Ich mag Menschen, denke ich schließlich und lächele.
Text: Alisa Sonntag
Foto: Amac Garbe
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