Campuskolumne

Neulich in einer Gaststätte: Ich unterhalte mich. Der Kellner steht auf der anderen Seite der Tafel. Er will meine Bestellung aufnehmen, aber nicht um den langen Tisch herumlaufen. Da ich im Gespräch bin, bemerke ich ihn nicht. Es entsteht kein Blickkontakt. Er könnte sagen: „Entschuldigung, was möchten Sie essen?“ Tut er aber nicht. Stattdessen ruft er über den Tisch: „Hallo, Blondi!“ Ich blicke auf und weiß nicht so recht, wie ich reagieren soll. Seine Ansprache finde ich unhöflich und respektlos. Mit so offenem Sexismus wurde ich lange nicht mehr konfrontiert. Der Kellner hat mich auf mein äußeres Erscheinungsbild reduziert: weiblich, jung und blonde Haare. Aufgrund dieser Eigenschaften glaubt er scheinbar, dass er mich auf diese Weise ansprechen darf.

Weil mir so schnell nichts Schlagfertiges einfällt, schaue ich den Kellner böse an. Das halte ich so lange, bis die Situation für alle am Tisch unangenehm ist. Er murmelt schließlich eine Entschuldigung. Ich halte meinen Blick einige Sekunden länger, schüttle mit dem Kopf und sage, was ich essen möchte.

Noch heute werde ich ein bisschen wütend, wenn ich an diese Situation denke. Denn sie beschreibt ein Problem, das sich durch die ganze Gesellschaft zieht: Menschen werden aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Eigenschaften zugeordnet. Diese Eigenschaften werden dann genutzt, um Menschen ungleich zu behandeln. Einige Beispiele: Frauen verstehen nichts von Technik, Männer sind eher handwerklich „begabt“. Beides ist natürlich Quatsch. Denn es geht um Dinge, die man lernen kann. Niemand wird mit einem technischen Verständnis geboren.

Wenn man sich sexistische Zuordnungen ansieht, geht das in der Regel so: Mann = stark, rational, aktiv. Die Frau wird dann als binäre Opposition dazu definiert: schwach, emotional, passiv.

Seitdem das Hashtag #meetoo die Runde macht, weisen immer mehr Frauen darauf hin, dass sie Sexismus oder sexuelle Gewalt erlebt haben. Nun sind eine Vergewaltigung oder sexuelle Belästigung natürlich viel schlimmer, als einen doofen Spruch reingedrückt zu bekommen. Aber die Mechanismen, die wirken, sind die gleichen: Es geht immer um Macht. Wer in der höheren Position ist, muss sich weniger Gedanken um die Folgen seines Handelns machen. Denn im Zweifelsfall kann er seine Macht nutzen, um Schaden gegen sich selbst abzuwenden. Diese Macht ist strukturell verankert und oft nicht auf den ersten Blick sichtbar. Michael Kimmel erklärt das in wenigen Minuten wunderbar witzig.

Wer sich nicht mit dem Thema beschäftigt hat, hat vielleicht auch kein Bewusstsein dafür, dass sein Handeln andere verletzen könnte. Ich vermute, so ging es auch dem Kellner. Trotzdem: Es ohne Absicht zu tun, rechtfertigt diskriminierendes Verhalten nicht. Ein Grund mehr also darüber zu sprechen, lesen, schreiben.

Text: Sabrina Winter

Foto: Amac Garbe

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