Frust und Lust

Beim Fachschaftsrat der Philosophischen Fakultät der TU Dresden blickt man mit Unbehagen auf die studentische Beteiligung. Doch diesen Pessimismus teilt man nicht überall.

Kein freier Platz, nirgends. Der Raum ist berstend voll. Der Geräuschpegel so hoch, dass man schreien müsste. Die Zahl der Mate-Flaschen übersteigt die der Wasserflaschen um Längen. Klingt nach Wohnzimmerparty — und ist etwas komplett anderes. Hier, im Raum 122 des Seminargebäudes 1 der TU Dresden, wird der Ernst des studentischen Lebens verhandelt: Es ist die Sitzung des Fachschaftsrates der Philosophischen Fakultät, kurz und bündig FSR Phil.

Stolze 23 Fachschafsräte gibt es an der TU Dresden — sie alle eint ihr Ziel: die Interessen der Studenten vertreten. So entsenden sie beispielsweise Studenten in höhere Gremien wie die Fachstudienkommissionen, die unter anderem Vorschläge für die Studien- und Prüfungsordnungen machen. Oder in Institutsräte, wo alle für das Institut wichtigen Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel zur Änderung von Lehrveranstaltungen. Doch FSRs wollen den Studenten auch ganz einfach das Leben leichter machen — Stichwort Erstiwoche.

Allein: Die Sache hat einen Haken. Den Studenten liegt nicht allzu viel an ihrer Interessenvertretung. Als die Fachschaftsräte im November gewählt wurden, lag die Wahlbeteiligung für die Philosophische Fakultät unter dem Durchschnitt aller Fachschaftsräte von immerhin 23,61 Prozent: Nur 13,1 Prozent der Studentenschaft gingen zur Urne. Macht Platz 22 von 23. Und das, obwohl es zur Belohnung Kekse gab. Studenten zum Wählen zu bewegen ist schwer. Studenten dazu zu bewegen, sich wählen zu lassen, ist schwieriger: 20 Bewerber für 20 Plätze. Glück gehabt. „Wir hatten auch schon weniger Bewerber als Plätze“, sagt Thea Stapelfeld, die im fünften Bachelorsemester Politikwissenschaft studiert und jetzt, in ihrer zweiten Legislatur im FSR Phil, dessen Sprecherin ist.

Dabei mangelt es gerade an der Philosophischen Fakultät nicht an Problemen. Die Studenten werden „systematisch benachteiligt“, meint Thea Stapelfeld. Sie spricht von der Bereichsbildung, also der Zusammenlegung von Fakultäten, die zum Abbau ganzer Institute zu führen drohe. Viel zu intransparent sei die, viel zu schlecht kommuniziert: „Da wird kaum über Vor- und Nachteile diskutiert.“
Paolo Le Van, assoziiertes — also nicht gewähltes — FSR-Mitglied und Philosophiestudent im fünften Mastersemester, fällt ihr fast ins Wort: Auch bei der Exzellenzinitiative sei die Philosophische Fakultät „überhaupt nicht berücksichtigt“ worden. Man merkt: Da ist Verdruss, da ist Wut.

Doch offenbar teilen die Studentenvertreter diese Gefühle nicht mit der Studentenschaft. Für die meisten sei Hochschulpolitik erst dann interessant, wenn sie direkt selber betroffen sind, meint Paolo Le Van. So wie bei dem drohenden Wegfall der Überlaststellen Ende 2016 — doch auch dann laute ihre Frage nicht: „Was kann man gegen Stellenkürzungen tun?“ Sondern: „Wie kriege ich meine Prüfungsleistungen noch zu Ende?“ Statt dem Gesamtproblem zähle nur das eigene Studium.

Dem würde Robert Schlick wohl widersprechen. Er ist Mitglied des FSR Hydrowissenschaften und studiert im dritten Mastersemester, genau, Hydrowissenschaften. Er glaubt nicht, dass es am Desinteresse hapert — sondern am Unwissen. Aber genau dagegen sei der FSR doch das beste Mittel. „Die Studierenden kommen bei uns mit hochschulpolitischen Themen in Kontakt. Und ihre Resonanz ist wirklich positiv.“ Das gilt nicht nur für die Veranstaltungen des FSR Hydro: Die Wahlbeteiligung lag mit 36,91 Prozent weit höher als die beim FSR Phil.

Auch dort sieht man in den Studenten keine desinteressierten Egoisten. Gerade der kurze Bachelor mache die Arbeit im FSR nicht attraktiver. Im ersten Jahr hat man andere Probleme, im zweiten will man vielleicht ins Ausland, im dritten das Studium zu Ende bringen. „Man hat überhaupt keine Möglichkeit mehr, sich länger zu engagieren“, findet Paolo Le Van, der allerdings selbst schon drei Jahre im FSR aktiv ist. Bologna ist nicht an allem schuld.

Was also tun gegen die Misere der studentischen Beteiligung? Wer das fragt, blickt in ratlose Gesichter. Ihnen selbst ist natürlich klar, warum sie im FSR sind: Weil sie nicht stillsitzen wollen. Sie wolle nicht nur zuschauen, wie die Philosophische Fakultät sich immer wieder behaupten müsse, sagt Thea Stapelfeld. Sondern die Stellschrauben finden, „um zumindest die richtigen Fragen zu stellen.“ Simon Hebebrand, der im ersten Semester Politikwissenschaft studiert, macht es kurz: „Ich wollte mich unbedingt politisch engagieren.“

Als wären es zwei Sphären: Studentenvertreter hier, normale Studenten dort. Hinzu kommen gerade beim FSR Phil strukturelle Hindernisse, vor allem die Breite der Fachschaft: Neun Institute vertreten die 20 gewählten Mitglieder, von der Politik- bis zur Musikwissenschaft. Viele FSRs hingegen vertreten nur eine Fachrichtung — so wie der FSR Hydrowissenschaften: Hydrowissenschaften ist Hydrowissenschaften bleibt Hydrowissenschaften. Keine Missverständnisse mit Lehramtsstudenten, die gar nicht wissen, zu welcher Fachschaft sie eigentlich gehören; Raumunion von FSR und Studenten im Chemiegebäude statt Pendelei zwischen Hörsaalzentrum und Falkenbrunnen. Durch die breite Aufstellung hat der FSR Phil aber nicht nur Koordinationsprobleme. Er muss auch in mehr Institutsräten und Berufungskommissionen Posten besetzen —  jedoch: „Es gibt einfach zu wenig Bewerber für zu viele Posten“, meint Paolo Le Van. In der Folge sitzen die FSR-Mitglieder in mehreren Gremien, müssen auf allen Festen gleichzeitig tanzen. Und ganz nebenbei, ergänzt Thea Stapelfeld, studieren sie ja auch noch. Zum Vorbereiten der Sitzungen fehle dann oft die Zeit. „Aber erst, wenn man mehr Ahnung hat, kann man die richtigen Fragen stellen.“

Insgesamt sei die Arbeit „zermürbend“, meint Thea Stapelfeld. Und doch ist die Stimmung während der Sitzung locker, es wird viel gelacht und auch mal zehn Minuten über das neue Sofa im FSR-Büro diskutiert — um dann nahtlos zum Bericht des letzten Fakultätsrates überzugehen. „Wir gehen viele Sachen an“, findet Thea Stapelfeld. „Der FSR Phil ist ein guter FSR.“ Sie ist sich mit den anderen einig: Kein Engagement ist auch keine Lösung.

Text: Luise Martha Anter

Foto: Amac Garbe

11 Gedanken zu “Frust und Lust

  1. Ein guter und wichtiger Artikel. Die studentische Selbstverwaltung sollte eigentlich viel mehr Anerkennung unter den Studierenden erfahren.

    Was mich an diesem Artikel jedoch stört und was ich kritisch sehe ist die konsequente Verwendung von „Studenten“ statt „Studierenden“. Ich bin kein Student*, ich bin Studentin*. Ich würde mich freuen, wenn ich mich auch in der Formulierung wiederfinden könnte.

    1. Liebe Nathalie,

      wir diskutieren das noch mal intern. Fakt ist aber, dass doppelte Formulierungen, Partizipien und verschiedene Zeichen nicht nur den Lesefluss stören, mitunter sehr kryptisch sind oder – wie im ersten Fall – wiederum auch Menschen ausschließen können. Sie beheben auch das Problem der Ungleichbehandlung oder Diskriminierung nicht. Bei uns bezieht die männliche Bezeichnung jedenfalls immer alle Menschen ein – unabhängig von der sexuellen Identität.

      1. Ich stimme Nathalie zu. Dies ist ein wichtiger und wirklich gut geschriebener Artikel, jedoch hätte ihn die Verwendung von „Studierende“ noch besser gemacht. Nicht zuletzt weil es im Studentenrat (der ja leider auch immer noch so heißt) an weiblicher Partizipation fehlt, somit also das Thema auch inhaltlich Anschluss an den Artikel findet. Obwohl ich ihn nicht teile, verstehe ich generell den Einwand zum Lesefluss – bei der Frage „Studenten“ oder „Studierende“ ist das für mich jedoch nur ein Vorwand, denn hier ändert sich am Lesefluss rein gar nichts. Wie gesagt, der Artikel ist sonst super!

        1. Liebe Gesine,

          die Autorin hatte das Wort „Studierende“ eigentlich verwendet, ich habe das als Chefredakteurin geändert. Es gibt also auch innerhalb der Redaktion Diskussionen über dieses Thema.
          Dass das Wort „Studierende“ auch weibliche Personen meint, ist aber eine reine Festlegung. Sprachlich meint es etwas anderes. Student zu sein ist ein Status, Studierende tun dies tatsächlich gerade.

          1. Ich möchte mich da der Autorin, Gesine und Nathalie anschließen: Ich halte „Studierende“ für die bessere Wahl. Es macht keine Aussagen zum Geschlecht. Eine Festlegung ist es von euch, dass „Student“ auch weibliche Personen einbezieht, obwohl das die Bezeichnung „Studentin“ erfordert. Die offizielle Statusbezeichnung halte ich hier für irrelevant – von Alumni grenzt sich „Studierende“ deutlich ab und dass es im Artikel um Student*innen als Statusgruppe geht wird im Kontext deutlich.
            Diskriminierung lässt sich durch Sprache allein vielleicht nicht beilegen. Aber: Sprache formt Denken. Warum sich also nicht um eine diskriminerungsfreie Sprache bemühen?

      1. generation offended by everything. Ein Blick an die Uni Leipzig zeigt: „Student_innenRat“ sieht nicht nur sch**** aus, es spricht mich auch nicht an.
        Nun zum Thema.
        Die Hochschulpolitik an der TU Dresden hat ein weit schwerwiegenderes Problem als das Desinteresse der Studenten, nämlich den Studentenrat selbst. Mir ergab sich im Dezember die – sagen wir mal – Not als Gast einer Plenumssitzung Einblick in die Arbeit des Sturas zu bekommen. Und was soll man sagen, es war eine Katastrophe. Es herrschen Prinzipienreiterei und Antipathie zwischen Sitzungsvorstand und Plenum. Beim anschließenden Aschenbechergespräch mit Plenumsmitgliedern berichteten mir viele, dass Sie froh sind mit Legislaturende den Stura zu verlassen.
        Bevor die Studentenvertretung sich wieder gegenüber den Studenten präsentieren kann, gibt es noch viel Arbeit in eigenen Reihen zu erledigen.

  2. Ich wollte nur kurz etwas Ordnung herstellen.
    Also der FSR entsendet:
    1. …keine Mitglieder, weil alle Studierenden in die Gremien entsandt/vorgeschlagen werden können.
    2. … nicht in höhere Gremien, sondern in Universitätsgremien. Der FSR oder der Stura sind dagegen Gremien der studentischen Selbstverwaltung.
    3. … auch nicht in den Fakultätsrat, da die studentischen Mitglieder jedes Jahr parallel zu den FSRen, genauso wie die studentischen Mitglieder für den Senat und erweiterten Senat, direkt von der Studierendenschaft gewählt werden.
    4. … Studierende in Fachstudienkommissionen (FSKs), wo Studien- und Prüfungsordnungen entstehen. Also nicht in den Fakultätsräten.
    Hoffentlich helfen die Anmerkungen und verwirren nicht noch mehr^^

  3. Übrigens sieht man an den verbleibenden Diplom-Studierenden in der Soziologie, dass die Bologna-Reform tatsächlich einen negativen Einfluss auf die studentische Gremienbeteiligung hat: Die wenigsten aktiven Vetreter*innen aus diesem Fach studieren auf Bachelor, Master-Studierende sind gar nicht involviert.

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