Die TU Dresden tritt dem neuen Rahmenvertrag zur Abrechnung digital zur Verfügung gestellter Texte nicht bei. Auf OPAL könnte es deshalb bald still werden.
Mit OPAL, der Online-Plattform für Akademisches Lehren und Lernen, ist es ja ein bisschen wie mit dem allweihnachtlichen Familientreffen: Man mag es nicht und braucht es doch. Man mag die Fragerei nicht, wie die Karriereplanung so aussehe und was denn die Lebensplanung so mache. Aber die Geschenke will man schon. Genauso mit OPAL: So unübersichtlich und benutzerunfreundlich das Portal auch ist – Pflichttexte mit drei Klicks statt mit drei Stunden Bibliotheksrecherche besorgen zu können, das hat schon was. Doch damit könnte es bald vorbei sein.
Denn ab dem 1. Januar 2017 wird die Praxis illegal, Studenten lizenzrechtlich geschützte Texte über OPAL zur Verfügung zu stellen – wenn dafür nur im Nachgang eine Pauschalzahlung der Länder an die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) erfolgt. Stattdessen soll ab sofort jeder hochgeladene Text einzeln vergütet werden. So sieht es der Rahmenvertrag zum Urheberrechtsparagraphen 52a vor, mit dem die Kultusministerkonferenz und die VG Wort auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 2013 reagieren. Dieses hatte ebenjene Pauschalzahlungen für rechtswidrig erklärt: Eine angemessene Vergütung müsse nutzungsbezogen erfolgen. Vorausgegangen waren dem jahrelange Streitigkeiten um das Abrechnungsverfahren für online bereitgestelltes Material. Seit 2003 ist es legal, Artikel, Bilder oder Videos auf Plattformen wie OPAL den Studenten zur Verfügung zu stellen – sofern diese nicht bereits anderweitig abrufbar sind, zum Beispiel über lizenzierte Datenbanken. Und seit 2003 konnte man sich nicht auf ein Abrechnungsverfahren einigen.
Indes: Auch die neue Einzelvergütung löst heftigen Protest aus. Im Einvernehmen mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) treten zahlreiche Hochschulen dem Vertrag nicht bei. So auch die TU Dresden. Deren Pressesprecherin Kim-Astrid Magister begründet das mit den „nachteiligen rechtlichen, finanziellen und administrativen Folgen“, die ein Beitritt hätte. Vom sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst erntet sie Verständnis für diese Entscheidung: „Ich kann den Unmut der Hochschulen verstehen“, erklärt Ministerin Dr. Eva-Maria Stange (SPD). Sie spricht von einem „unzumutbaren Mehraufwand.“
So müsste künftig für jeden auf OPAL hochgeladenen Text einzeln die Zahl der Studenten ermittelt werden, die den Text nutzen. Pro Seite und Student würden dann 0,008 Euro von der Uni an die VG Wort fließen – auch wer genau den Betrag bezahlt, müsste erst noch geregelt werden. In einer Rundmail, erzählt Magister, habe das Rektorat daraufhin die Mitarbeiter aufgefordert, „die rechtlichen Vorgaben einzuhalten“. Im Klartext heißt das: zu depublizieren. Wer nicht zahlt, darf nichts hochladen. OPAL-Ordner könnten also bald so leer sein wie die Keksdose nach den Festtagen.
„Grundsätzlich“, meint Cathleen Bochmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich am Institut für Politikwissenschaft, könne sie die Entscheidung der Universitätsleitung nachvollziehen. Nur stelle sich die Frage: Wie kommt der Text jetzt zum Student? Wie viele andere Lehrstühle auch haben Bochmann und ihre Kollegen die Studenten in einer Rundmail aufgefordert, noch benötigtes Material zeitnah herunterzuladen. Damit ist zumindest für dieses Semester das Lesevergnügen gesichert. Danach wollen Bochmann und ihre Kollegen versuchen, vor allem über Datenbanken oder E-Abos verfügbare Artikel und (Lehr-)Buchtexte zur Pflichtlektüre zu machen. Auf OPAL würde es dann nur noch die entsprechende Linkliste geben.
Vielleicht erlebt ja auch der analoge Semesterapparat sein Comeback: Dozenten stellen Kopiervorlagen zur Verfügung, sodass sich jeder Student in der Bibliothek seinen Reader selbst zusammenkopiert. Alles in allem hält Bochmann die neuen Verfahrensweisen für „zumutbar“. Und TUD-Pressesprecherin Magister will im Nicht-Beitritt gar kein Hindernis für Lehre und Forschung sehen, wäre die Alternative doch eine umständliche Einzelregistrierung gewesen. Man setze vielmehr auf die „Rückkehr“ zu einer pauschalen Abrechnung – und das nicht ganz unberechtigt: Am 9. Dezember verkündeten die Kultusministerkonferenz, die HRK und die VG Wort die Gründung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe. Deren Ziel ist es, noch in diesem Jahr eine einvernehmliche Lösung für die Urheberrechtsfrage zu finden. Eine Lösung, die eben nicht nur mit der aktuellen Rechtssprechung vereinbar, sondern ganz einfach auch praktikabel ist.
UPDATE: 15.12.2016
OPAL bleibt voll
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: Gestern hatten wir an dieser Stelle noch von einer drohenden Leere auf OPAL berichtet, von Pflichtliteratur-Ordnern, die ab 2017 regelrecht leer geräumt sein könnten. Und heute? Heißt es erstmal: Aufatmen! Es gibt ein Moratorium.
Auf dieses hat sich die erst am 9. Dezember gegründete Arbeitsgruppe aus Vertretern der VG Wort, der HRK und der Kultusministerkonferenz geeinigt. Bis zum 30. September des nächsten Jahres werden vorerst keine Materialien gelöscht, sagt Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange, die auch davon ausgeht, dass die Info bald an die Hochschulen weitergegeben und dort zeitnah bekannt gemacht wird.
Der OPAL-Alltag geht also vorerst seinen gewohnten Gang, Hamster-Downloads sind abgewendet. Warum aber war nun binnen Tagen möglich, woran langwierige Verhandlungen scheiterten? Die Ministerin wundert das nicht: „Da so viele Unis den Beitritt verweigert hatten, wäre der Vertrag ohnehin ins Leere gelaufen.“ Bis Ende Februar soll nun ein Modell entwickelt werden, welches dann ab 30. Juni pilothaft an fünf bis sechs Standorten dem Praxistest unterzogen und ab 1. Oktober bundesweit implementiert wird. Wie genau diese Lösung aussehen könnte, das freilich ist weiter unklar. Fest steht nur: Es muss ein Kompromiss gefunden werden zwischen den Interessen der Verlage, Autoren und Universitäten – ein Kompromiss also zwischen Pauschal- und Einzelvergütung. Dass es trotzdem zu einer Lösung kommt, hält die Ministerin für durchaus wahrscheinlich. „Alle Seiten stehen unter hohem Einigungsdruck.“ Sie sei „sehr optimistisch“.
Text: Luise Martha Anter
Foto: Amac Garbe
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