Kunst und Politik auf der Straße

Was für ein Theater! Von Juni bis Juli verwandeln sich die Straßen in Ostsachsen in einen Zirkus. Erst das Zirkustheaterfestival des Societaetstheaters Dresden, dann das Via Thea Straßentheaterfestival in Görlitz und Zgorzelec sowie der Gassenzauber in Meißen, schließlich der Schaubudensommer auf der Hauptstraße in Dresden. Wer will, kann also fast einen Monat voller Straßenkünste genießen, und das oft für lau – auch wenn Spenden und Hutgeld mehr als willkommen sind.

Vorspiel in Meißen

Beim Gassenzauber gab es am 28. und 29. Juni einen Vorgeschmack auf den diesjährigen Schaubudensommer. Die fast identischen Straßenacts machen nicht nur für die Künstler:innen Sinn, sie sind wohl der Tatsache geschuldet, dass Helmut Raeder seit fünf Jahren neben dem Schaubudensommer auch die künstlerische Leitung in Meißen innehat. Naturgemäß läuft alles etwas gediegener in Meißen. Die Große Kreisstadt im Nordwesten von Dresden zählt 30.000 Einwohner:innen, die malerische Altstadt erstreckt sich auf wenigen hundert Metern zwischen Triebisch und Schloßberg. Kleine und größere Plätze wechseln sich mit malerischen Gässchen ab, allein die Architektur ist einen Besuch wert.

Auf den Plätzen der Stadt sammeln sich schon einige Zeit vor den etwa 30-minütigen Aufführungen die Menschen – möglichst auf den bereitgestellten Bänken und Stühlen im Schatten, so lange das überhaupt möglich ist. Die Sonne brennt, der Bedarf an Eis ist groß. Strange Comedy betreten pünktlich zur Vorstellungszeit die Bühne. Sie standen teilweise schon mit dem Cirque Du Soleil in Las Vegas auf der Bühne, in Meißen lassen Shelly Mia Kastner aus Montreal und Jason McPherson aus San Francisco Körperteile fliegen und Superman-Unterhosen Kopf stehen. Dass sich selbst ein kurzes Programm zum Ende hin steigern muss, ist ein ungeschriebenes Gesetz. Und so übernimmt am Ende eine gefräßige Puppentheaterbühne die titelgebende „The Show“.

Wiedersehen mit alten Bekannten

Apropos Cirque Du Soleil: Aaron Dewitz spielte als bisher einziger deutscher Clown und Komiker in zwei Shows des weltbekannten Zirkus mit. Und sein Talent wird in den ersten Augenblicken im Hof der Roten Schule deutlich. Selbst wenn man sein Clown-Alter-Ego Herr Kasimir schon beim Schaubudensommer 2018 an der Scheune gesehen hat, springt der Funke über. Jeder Blick, jedes Wort sitzt. Das ist perfekt einstudiert und wirkt trotzdem immer erfrischend neu. So findet er nicht nur in Meißen viel Zulauf, sondern auch beim Schaubudensommer auf der Hauptstraße.

Von dort kennen pendelnde Meißner Zuschauer:innen vielleicht auch schon Juan Manuel Gomez alias El Goma. Der Argentinier baut sein Programm komplett auf die Interaktion mit dem Publikum auf. Wenn das nicht mitmacht, funktioniert seine „Atari Show“ mit passenden Musikschnipseln vom Band nicht.

Straßenkunst darf politisch sein

Einen spannenden Kontrapunkt bildet die Cie Bolbol mit dem Ein-Frauen-Zirkusstück „Omâ“. Die deutsch-iranische Zirkuskünstlerin Roxana Küwen Arsalan bringt dabei ihre ostfriesische mit der iranischen Großmutter bei einer Teezeremonie zusammen, die es im echten Leben nie gegeben hat. Dabei jongliert sie nicht nur mit den Füßen, sondern auch mit Herkunftsklischees. Dass die Kartoffel nicht aus Deutschland kommt, sollte mittlerweile jede:r wissen. Doch der Granatapfel wird viel öfter als „exotisch“ beäugt. Die Künstlerin selbst würde keinen Rassismus erfahren, weil man ihr die teils iranische Herkunft nicht wirklich ansehe. Aber sollte Zugehörigkeit überhaupt eine Frage der Herkunft sein? Eine normalerweise sehr einfach zu beantwortende Frage, die dennoch mitunter auf rassistischen Boden fällt.

Neben diesen politisch angehauchten Auftritten der Künstlerin in Meißen und Dresden kam auf der Hauptstraße Anfang Juli noch die Performance der Artistin Eliana Pliskin Jacobs hinzu. Ihre Urgroßmutter Gertrud Epstein lebte als Kind einst Ende des 19. Jahrhunderts auf der Hauptstraße im Haus mit der Nummer 13. Ihre Großmutter kam nach Erlass der Nürnberger Gesetze mit einem sogenannten Kindertransport nach England. Die Urgroßmutter überlebte den Holocaust nicht. Mit „Das atmende Haus“ kehrt die Künstlerin nun sozusagen zu den Wurzeln und Narben ihrer Familie zurück und setzt damit ein ruhiges, aber wichtiges Statement im Trubel der Hauptstraße. Nicht umsonst findet die Aufführung nur einmal am Tag im Rahmen des dreitägigen Schaubudensommers statt – zumal es die Künstlerin sichtlich mitzunehmen scheint.

Großes Finale

Den dramaturgischen Höhepunkt des Schaubudensommers bildet aber die allabendliche einstündige Artistikshow des internationalen Ensembles Common Ground. Im Abendlicht am Goldenen Reiter positioniert, stapeln sich die sechs Artist:innen selbst oder auf Kisten, springen Salti, fangen sich gegenseitig auf oder schaukeln atemberaubend auf dem Trapez. Das verursacht jede Menge Staunen, dürfte aber auch aufgrund der weniger gemütlichen Steh- oder Sitzplätze auf dem blanken Boden zehn Minuten kürzer sein.

Wer sucht, wird also mehr als Klamauk bei der Straßenkunst finden. Lachen und weinen gehören dort wie im wahren Leben zusammen. So dürfen wir also die Tage zählen, bis es wieder heißt: „Hereinspaziert!“

Text: Nadine Faust

Fotos vom Schaubudensommer 2025: Amac Garbe

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