Literaturtipp des Monats: Prima Facie

Ende Januar 2024 veröffentlichte der Kjona Verlag Suzie Millers Roman „Prima Facie“, übersetzt von Katharina Martl. Was in dem Buch am Anfang als Hommage an das Gesetz und die Justiz verstanden werden kann, schlägt im Verlauf der Geschichte in Machtkampf und Demütigung um.

Über das Anpassen und Verteidigen

Tessa ist eine junge Strafverteidigerin in einer angesehenen Kanzlei. Sie ist stolz auf ihre Arbeit und auf das, was sie bisher geleistet hat. Nicht ohne Grund wurde sie für den Award „Strafverteidiger des Jahres“ nominiert. Sie ist die einzige in der Familie, die es mit Hilfe eines Stipendiums aus der Unterschicht herausgeschafft hat. Neben dem Studium an der Cambridge-Universität hat sie aber vor allem diejenigen studiert, die durch ihr Elternhaus einen erleichterten Start auf der Karriereleiter hatten. Tessa lernte sich anzupassen, sei es ihr Gang, ihre Haltung oder ihr Dialekt. „Ich bin eine geschickte Imitatorin, bis ich irgendwann besser bin im Anwältesein als jene, denen es angeboren ist.“

Ihre Mandanten sind überwiegend Männer, die wegen sexueller Gewalt angeklagt sind. Ihr Arbeitsfokus auf solche Fälle hat keinen bestimmten Grund, denn als Strafverteidigerin ist sie Sprachrohr für alle Mandanten und sie hat keine Kenntnis darüber, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht. Ihr geht es darum, dass jeder Mensch einen ordnungsgemäßen Prozess verdient. Das Vertrauen in die Gerechtigkeit zeichnet die Anwältin aus.

Von der Anklagebank in den Zeugenstand

Nach einer Nacht unter Kollegen und Kolleginnen kommen sich Tessa und Julian nah. Julian ist der Sohn vom Kronanwalt und Tessa fühlt sich neben ihm machtlos, obwohl sie nicht weniger schlau ist. Dennoch unternehmen sie etwas, gehen zusammen im Restaurant essen und verbringen die Nacht miteinander. Am nächsten Morgen sagt sie zu Julian „Nein“, was er nicht hören will oder kann.

Obwohl Tessa oft mit Missbrauchsfällen zu tun hat, weiß sie nicht, wie sie sich verhalten soll. Denn Tessa kennt das Gesetz und auch die Tatsache, dass man eher die Opfer hinterfragt statt die Zahnräder des Justizsystems. Doch sie hat sich entschieden und nach 782 Tagen ist ihre Zeugenaussage gegen Julian. „Ich muss beweisen, dass das Gesetz am Ende zu Gerechtigkeit führt. Denn wie soll ich sonst weiter darauf vertrauen?“

Gerechtigkeit und Ohnmacht

Suzie Miller, geboren in Melbourne, arbeitet selbst wie ihre Protagonistin als Strafverteidigerin mit Fokus auf Fälle sexueller Nötigung. Sie entschied sich nach einem weiteren Studium am National Institute of Dramatic Art in Sydney für eine Vollzeitkarriere als Drehbuchautorin und Dramatikerin. Ihr Roman „Prima Facie“ basiert auf ihrem gleichnamigen Theaterstück, das im Mai 2025 auch nach Dresden ins Staatsschauspiel kommt.

Ihr Debütroman schildert nicht nur eindrücklich, wie sich Opfer sexueller Nötigung fühlen und deren Ohnmacht in Bezug auf den eigenen Körper und das Verhalten gegenüber anderen. „Prima Facie“ ist auch ein Meisterwerk, das die Chancen und Tücken des Gesetzes aufweist. Es gibt einen Unterschied zwischen juristischer und erlebter Wahrheit. Miller hat damit ein Buch geschrieben, das hart, ehrlich und unverkennbar ist.

Text: Alexandra Caspar

Foto: Amac Garbe

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