Lasst uns auf dem Rasen sitzen!

Da ist der Sommer doch noch einmal zurückgekehrt – und das schöne Wetter will genutzt werden. An einem sonnigen Morgen, der einem Tag am See folgt, schlendere ich nach spätem Frühstück mit Freund*innen durch die Dresdner Altstadt. Viel zu selten bin ich hier und umso schöner erscheint es mir, auf dem weiten Neumarkt zu stehen, die Treppen zu den Brühlschen Terrassen hinaufzusteigen, den Blick über die altehrwürdigen Gebäude und die Elbe schweifen zu lassen. Alleine sind wir hier aber nicht – vielmehr ist es voll, und, da auch sonnig und heiß, auf Dauer anstrengend.

Pause im Schatten

Um uns etwas auszuruhen, steuern wir also den Zwingerteich an, dessen umliegende Wiesen uns auch aufgrund einiger schattenspendender Bäume locken. Wir fläzen uns hin, zücken unsere Wasserflaschen – unser Platz erscheint uns ideal.

Minuten später wendet sich jedoch ein uniformierter Herr uns uninformierten jungen Leuten auf dem Gras zu. Mit einer Handbewegung bedeutet er uns zu gehen. Wir schauen ihn erst irritiert an und fragen dann zurück. Wie, wir müssen hier weg? Wir sitzen doch nur im Schatten, schauen auf den Teich und unterhalten uns – nicht einmal laut. „Steht so in der ‚Besucherordnung“, wird uns entgegnet, die könne man an jedem zweiten Eingang zum „Park“ lesen.

Rasen betreten verboten

Wir wollten ohnehin bald aufbrechen, haken jetzt aber einmal mehr nach als nötig. Es fällt doch schwer zu begreifen, warum auf einer einfachen Grünfläche inmitten der Dresdner Altstadt das Sitzen verboten ist. Die Regeln gölten dem Schutz der Pflanzen. Aha! Aber mal ehrlich: Weder sind hier Beete angelegt noch Blumen gepflanzt. Neben Gras wächst vor allem Spitzwegerich. Das seien ja auch Pflanzen, entgegnet der arme Parkwächter, der für die Regeln ja auch nichts kann, und ist damit faktisch sicherlich im Recht.

Als wir, etwas genervt, unseren Platz aufgegeben haben, gehen wir noch einmal um den Teich und stoßen tatsächlich auf ein Schild, auf dem die Bedingungen für den ordnungsgemäßen Besuch dieses „Denkmals der Bau- und Gartenkunst“ festgeschrieben sind. Dass der Zwinger samt Innenhof ein solches ist, versteht sich ja von selbst, aber das bisschen Gras und Gewässer darum herum? Ein Bild auf dem Schild symbolisiert hier jedenfalls das genannte Rasenbetretungsverbot. Verboten sind auf der Anlage außerdem: Picknick, Feuer, „organisierter Sport“, das Durchfahren mit dem Fahrrad. Ähnliches gilt offiziell übrigens auch für die Rasenflächen im Großen Garten, seufzt ein Freund.

(K)ein Raum für alle

Hinter unserer Empörung steckt mehr als die Aufregung um unser verlorenes Schattenplätzchen: In der Dresdner Altstadt gibt es neben einigen Bänken, die für längere Aufenthalte und Gespräche mit mehr als zwei Personen eher ungeeignet sind, kaum öffentliche Sitz- und Verweilgelegenheiten. Es bleiben die meist teuren Restaurants und Cafés. Bedingung für einen Aufenthalt dort ist aber: Konsum. Für den braucht es Geld, das viele (gerade bei den steigenden Preisen) nicht tagtäglich ausgeben können (oder wollen).

Wenn man die Flächen, die man kostenfrei betreten und nutzen könnte, sperrt, werden also bestimmte Bevölkerungsgruppen subtil aus dem Stadtkern verdrängt, der doch Raum für alle bieten sollte. Dass sich zwischen den deutschlandweiten bekannten Barockbauten der Landeshauptstadt typischerweise etwa kaum junge Menschen und Familien aus Dresden aufhalten, ist also nicht naturgegeben, sondern auch Ergebnis solcher Regeln wie jener, die rund um den Zwingerteich gelten. Das ist nicht nur schade, sondern sozial ungerecht.

Spießige Ordnung: Was Städte (nicht) lebenswert macht

Auf dem besucherordnungskonformen Weg zurück zum Postplatz müssen wir lachen. Wir können uns nicht daran erinnern, dass uns eine Stadt jemals besonders attraktiv vorgekommen wäre, weil abgesehen von einigen Senior*innen auf am Gehweg platzierten Bänken keine Menschenseele auf den öffentlichen Grünanlagen zu sehen gewesen wäre. Ich kenne auch keine*n, die*der sich ernsthaft über eine Partie Wikingerschach oder eine picknickende Familie (geschweige denn sich unterhaltende Vierergruppen) am Zwingerteich beschweren würde. Im Gegenteil: Uns Coronaerfahrenen dürfte doch nichts lieber sein als eine lebendige Innenstadt und ein genutzter öffentlicher Raum.

Also, liebes Schlösserland Sachsen: Lasst uns auf dem Rasen sitzen! Flunky Ball darf meinetwegen verboten bleiben.

Text: Tobias Alsleben

Foto: Amac Garbe

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