In seiner Campuskolumne blickt Tobias Alsleben auf den Klimaprotest zurück, den End Fossil und die Letzte Generation Anfang Dezember am Campus der TU Dresden organisierten.
Der Beamer hält nicht, was er verspricht. Die CO₂-Uhr, die unübersehbar auf das Hörsaalzentrum der Technischen Universität projiziert werden sollte, geht unter im Grau der Wand. Studierende gehen vorbei, ihr Blick fällt auf den Beamer, sie folgen dem Lichtstrahl und wenden sich dann irritiert ab: Man sieht ja gar nichts. Frustrierend, denn die Botschaft müsste eigentlich wachrütteln. Sechs Jahre, sieben Monate, dreizehn Tage, drei Stunden: Das ist die Zeit, die nach Berechnungen des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change an diesem 8. Dezember bleibt, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
End Fossil Age, Start System Change
Sofort fällt heute immerhin das Banner ins Auge, das seit den frühen Morgenstunden vor der Glaswand des Hörsaalzentrums befestigt ist. „End Fossil Age, Start System Change“ steht in großen Buchstaben darauf. Darunter prangt das Hashtag #endfossil. Es verweist auf einen Newcomer in der Welt des Klima-Aktivismus: Die Bewegung „End Fossil: Occupy!“. Weltweit sind unter diesem Namen Ortsgruppen entstanden, die die Besetzung von Schulen und Hörsälen als Mittel wählen, um ihren Forderungen Gewicht zu verleihen und gleichzeitig einen Raum für klimapolitische Bildung und Diskussion zu schaffen.
Auch in Dresden hat sich ein Ableger von End Fossil gebildet. Besetzt werden soll vorerst nicht. Ausgedrückt wird dafür Solidarität mit denen, die Zeichen setzen gegen eine Politik, die an einer fundamentalen Menschheitskrise vorbei zu regieren scheint.
Aktiv gegen den Frust …
Zwar tun alle Parteien außer der AfD so, als sei Klimaschutz für sie eine Selbstverständlichkeit. Doch lässt – um bei einem Beispiel zu bleiben – bisweilen auch die Ampelregierung ein Neun-Euro-Ticket kommen und wieder verschwinden. Langfristig sei das zu teuer, ist das Argument. Was unangenehm aufstößt: Umwelt- und klimaschädliche Verhaltensweisen wurden zuletzt jährlich noch mit 65,4 Milliarden an Steuergeldern künstlich vergünstigt, also belohnt. In das Neun-Euro-Ticket steckte der Bund von Juni bis August hingegen 2,5 Milliarden Euro.
Wer sich damit auseinandersetzt, was die rasant steigende CO₂-Konzentration in der Erdatmosphäre für menschliches (Zusammen-)Leben auf unserem Planeten bedeutet, kann an dieser politischen Realität verzweifeln. Wer nicht verzweifeln möchte, kann sich in Ignoranz üben. Wem das aufgrund besseren Wissens auf Dauer nicht gelingt, dem bleibt weiter zu hoffen – und sich konsequenterweise für den Wandel einzusetzen.
… auch in Dresden
Eine Gruppe Studierender steht also am 8. Dezember als End Fossil Dresden vor dem Hörsaalzentrum und versucht, vor Ort einen kleinen Beitrag zu leisten. Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das Klimabewusstsein aus dem Winterschlaf zu wecken.
Ich bin auch dabei. Erst in der Woche zuvor bin ich durch eine Freundin auf die Gruppe aufmerksam geworden und unterstütze nun die letzten Vorbereitungen. Noch erkältet, wie viele von uns, versuche ich, ebenjenen Beamer aufzubauen, und verteile Sticker. Auf diesen sind die Forderungen abgedruckt, die End Fossil Dresden an die Universität, die Stadt Dresden und das Land Sachsen sowie die Bundesregierung richtet. Es geht – natürlich – um schnelle Klimaneutralität und Klimabildung in jedem Studiengang.
Radikalere Proteste
Pünktlich zum angekündigten Aktionsbeginn um 10 Uhr sind Prof. Roswitha Böhm, Prorektorin für Universitätskultur, und Alexandra Seifert als Koordinatorin des Green Office der TU Dresden vor Ort. Sie signalisieren ihre Gesprächsbereitschaft, während wir noch mit dem Aufbau beschäftigt sind. Angekündigt waren per Pressemitteilung „radikalere Protestformen“ – kein Wunder, dass die Unileitung nervös wird.
Weitgreifender als die Solidaritätsaktion sind dann aber doch die Formen des Klimaprotests, denen die Solidarität der Dresdner Ortsgruppe von End Fossil gilt. Neben Besetzungen sind das vor allem die Phänomene „Klimakleber“, Tomatensuppe und Kartoffelbrei. Ob von der Letzten Generation, Extinction Rebellion oder eben End Fossil organisiert: Den Aktionen ist gemein, dass sie störend in den Alltag eingreifen. Ausstellungsgegenstände werden beschmiert (genauer: die Scheiben, die sie schützen), Straßen werden blockiert. Der Unmut, den solche Aktionen erzeugen, ist entsprechend groß.
Straße blockiert
Auch in Dresden ist das nicht anders. Um kurz vor 15 Uhr, als die Aktion von End Fossil offiziell seit fast einer halben Stunde vorbei ist, kommt Bewegung in die noch vor dem Hörsaalzentrum weilende Menschentraube. Aktivist*innen, spontan Dazugestoßene und Journalist*innen bewegen sich in Richtung Fritz-Foerster-Platz. Geführt werden sie von Christian Bläul, bekannter Aktivist der Letzten Generation in Dresden. Die haben um 15 Uhr eine Straßenblockade am Uni-Campus angekündigt.
Kurz danach sitzen Bläul und vier weitere Aktivist*innen bereits auf der Nürnberger Straße. Drei Menschen haben sich mit einer Hand am Teer festgeklebt. Die Polizei ist vor Ort, bereits jetzt stauen sich Autos bis zum Nürnberger Platz zurück. Und nur wenige Minuten dauert es, bis die ersten Autofahrer*innen aus ihren Wagen steigen, sich umsehen und schließlich nach vorne zu den Aktivist*innen laufen.
Schnell wird es hitzig. Lautstark schimpft ein Familienvater, er müsse seine kranke Tochter aus dem Kindergarten in Prohlis abholen. Eine ältere Dame bleibt in ihrem Auto sitzen, erzählt aber niedergeschlagen, sie sei auf dem Weg zu einem Termin beim Facharzt, auf den sie seit über drei Monaten warte.
Vom Bürgersteig schallt parallel Musik aus den Boxen, die für die End-Fossil-Aktion organisiert worden sind. „Klimaschützen ist kein Verbrechen“, rufen Studierende den Autofahrer*innen entgegen und den Blockierer*innen zu. Ein Spruch, der auf die strafrechtliche Verfolgung anspielt, mit der diese – wegen Nötigung – zu rechnen haben. Ich stimme in den Sprechchor ein und verstumme dann wieder. Mir fällt es schwer, die herrschende Spannung auszuhalten. Ich teile die Sorge, die die Letzte Generation antreibt, und verteidige die Aktionen grundsätzlich. Gleichzeitig tut es mir leid um den Arztbesuch der Dame und auch den Frust des Lastwagenfahrers, der aufgrund der Blockade nun Überstunden leisten muss, kann ich nachempfinden.
Die größere Blockade
Dass ziviler Ungehorsam den gesellschaftlichen Rückhalt für Klimaschutz zerstöre, ist wohl die populärste Kritik an Protestformen wie dieser. Die These lautet: Das Mittel schadet dem Zweck. Wenn ich die Reaktionen der Autofahrer*innen so beobachte, finde ich das zunächst einleuchtend.
Nur – beginne ich zu denken, während ich die aufgestauten Autos entlangspaziere – warum sollten Klimaaktivist*innen eigentlich dafür zuständig sein, für die nötige Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen zu sorgen? Ihr Ziel ist es jedenfalls nicht – vielmehr geht es um Aufmerksamkeit. Selbst die globalen Klimastreiks generieren diese nach vier Jahren Fridays for Future nicht mehr – Letzte Generation, Extinction Rebellion und Co. sind da bedeutend erfolgreicher. Gegenstand der Debatte ist in der Folge jedoch stets die Methode des Protests, kaum die Forderungen selbst – was dann irritierenderweise oft den Aktivist*innen selbst angelastet wird.
Insbesondere Politiker*innen üben sich hier in scharfer Kritik. Wenn etwa Konstantin Kuhle (FDP) die Bewegung im Bundestag als „antidemokratisch, totalitär und autoritär“ betitelt, wirkt das aber doch eher wie ein Ablenkungsmanöver: Davon, dass man selbst seit Jahren daran scheitert, effektive klimapolitische Maßnahmen zu verabschieden, die so sozialverträglich konzipiert sind, dass sie Rückhalt in der Bevölkerungsmehrheit finden – und damit dafür zu sorgen, dass sich nicht erst eine ganze Reihe junger Menschen zu Straßenblockaden gedrängt fühlt.
Strohhalm aus Pappe
Es scheint zu funktionieren. Der Aufschrei, der durch die Gesellschaft geht, gilt den Aktivist*innen, nicht der Regierung, die drauf und dran ist, neben den internationalen Klimaverträgen auch die eigenen Gesetze gehörig zu verletzen. Das finde ich bizarr: Nur ein Bruchteil der Bevölkerung ist von den Blockaden betroffen und auch der materielle Schaden von Soße-gegen-Glas meist überschaubar, während sich Klimaschäden dauerhaft keiner entziehen kann und diese immens teuer werden (siehe Ahrtal).
Überrascht bin ich trotzdem kaum. Denn auch 2022 scheint Klimafreundlichkeit vor allem noch als Herausforderung des individuellen Lifestyles und der privaten Konsumentscheidungen betrachtet zu werden. So ist unser Alltag durchtränkt von Greenwashing-Kampagnen, die letztlich aus einem oberflächlichen Nachhaltigkeitsbewusstsein Gewinne zu generieren suchen. Ein wohliges Gefühl von Umweltbewusstsein schleicht sich so beinahe schon ein, wenn von der Fast-Food-Verpackung der Strohhalm nicht aus Plastik, sondern Pappe ist. Dem nicht genug wird oft genug signalisiert, dass sich das Leben in Deutschland nicht grundsätzlich ändern müsste: Es rollen nun halt bald elektrische Autos auf unseren Autobahnen.
Dass es irritiert, wenn gleichzeitig dazu die Protestformen immer drastischer werden, ist kein Wunder. Es scheint ja bereits alles unter Kontrolle und im Allgemeinen auch nur halb so wild.
Olivenöl und Wattestäbchen
Die Letzte Generation blockiert die Nürnberger Straße nun schon beinahe eine Stunde. Am Ort des Geschehens versammeln sich immer mehr Polizist*innen, lassen die Klebenden aber kleben. Ich nippe an meiner Tasse Tee, den die Prorektorin für Universitätskultur, Prof. Roswitha Böhm, gekocht und für die Aktivist*innen bereitgestellt hat.
Die Polizei beginnt inzwischen, den Kleber behutsam mit Olivenöl und Wattestäbchen von der Straße abzulösen. Ich beginne zu denken, dass die lückenhafte und manipulative Art der Klimakommunikation die gesellschaftliche Akzeptanz für echte Klimaschutzmaßnahmen in viel bedeutenderem Ausmaß gefährdet, als es die Aktionen jener Klimaaktivist*innen tun, die dort in Eiseskälte auf der Straße sitzen.
Bevor ich mich auf den Heimweg mache, fällt mein Blick ein letztes Mal auf die Schilder, die Mitglieder der Letzten Generation in den Händen halten. Gefordert werden ein Tempolimit und die Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets. Ich muss grinsen. Dass junge Erwachsene sich für solch zahmen Wünsche, die mit einem Systemwechsel erst mal gar nichts zu tun haben, auf die Straße kleben und Festnahme und Gefängnis auch kurz vor Weihnachten in Kauf nehmen, offenbart die Absurdität des politischen Umgangs mit einer existentiellen Menschheitskrise.
Etwas Sinnvolles tun
Apropos absurd. Gerade, beim Schreiben dieses Texts, twittert Luisa Neubauer, dass 2022 in Bayern dreimal mehr Klimaaktivist*innen festgenommen als Windräder gebaut wurden. Söder fordert derweil, Klimaaktivist*innen sollten doch was Sinnvolles tun, Bäume pflanzen etwa, Moore renaturieren. Ich seufze. Vielleicht sollten Söder und politisch Verantwortliche im Allgemeinen aufhören, sich über eine härtere Gangart gegen Klimaaktivist*innen den Mund fusselig zu reden. Vielleicht könnten sie stattdessen ein Windrad bauen.
Text & Fotos: Tobias Alsleben
Titelfoto: Amac Garbe
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