Zwei Perspektiven der Liebe

„Ich liebe dich nicht. Aber ich hab’ dich lieb, das weißt du doch“, sagte Dennis und blickte auf die Sandsteinbögen über der malerischen Elbe irgendwo in der Altstadt. „Ach so“, erwiderte ich in Striesen und zählte die Flecken an der Raufasertapete über mir. So beendet man eine Casual-Dating-Phase von ein paar Monaten, dachte ich. Telefonisch und mit einer Casual-Phrase wie aus dem Lehrbuch. Vielleicht hätte Dennis noch hinzufügen sollen, dass es nicht an mir liege. Dass wir uns auseinandergelebt hätten. Dass unsere gemeinsame Zeit einfach vorbei sei. Dann hätte ich wenigstens ein Bullshit-Bingo spielen und die Flasche Apfelsaft im Kühlschrank dabei leeren können. Aber er verwehrte mir das. Kühl und routiniert warf er mir die Worte entgegen, als seien sie eine unwiderlegbare Tatsache. Der Himmel ist blau, Hummeln sind dick, die Waldschlösschenbrücke ist hässlich und „Ich liebe dich nicht“. Aber immerhin: Lieb hatte er mich ja.

Trennungs-Wirrwarr

Im Laufe der nächsten Monate sollte ich Dennis durch all die Phasen einer Trennung begleiten, und noch mehr. Die Selbstverständlichkeit, mit der er unsere Gespräche führte, als wäre nichts passiert. Zwei Jobwechsel. Erste erfolglose Dates. Erste erfolgreiche Dates. Die ständigen Aufs und Abs. Wenn Dennis am Boden war, hatte er mich lieb, weil ich ihn respektierte. Weil ich der Rettungsring war, an den er sich klammern konnte, inmitten eines unendlichen Meeres aus Frauen, die ihn zu wenig oder zu sehr begehrten.

Wenn es Dennis gut ging, hatte er mich auch lieb, weil er mir von seiner Quelle des Glücks etwas abgeben wollte. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, er wollte mich damit loben: Wenn ich vorangekommen war und wieder etwas für mich getan hatte, dann hatte er mich auch lieb. Ich kam mir in diesen Momenten wie ein Hund vor, den man mit Futter dressiert. Dennis hat nie gefragt, ob ich das haben will. Und er hat mich nie gefragt, wie ich zu ihm stehe. Dennis hat die Kunst, nur das hören zu können, was man will, perfektioniert. Ich beneide ihn darum.

Definitionen der Liebe

Für mich war „lieb haben“ eine Form der Abwertung. Die kleine, nervige Schwester von „lieben“. Oder irgendwas auf einer Skala zwischen „Ich möchte Job, Würde und Sparbuch für dich aufgeben.“ und „Ich hasse dich mehr als Grünkohl, tote Oma, meine noch lebende Oma und den Geruch künstlicher Vanille.“. Irgendwo weit oben auf dieser Skala war „lieb haben“. Aber nicht ganz oben.

Ich wusste nicht, was „lieb haben“ für ihn bedeutet. Für unsere Beziehung bedeutet. Wir konnten nie über die Zukunft reden, „weil die sich schon ergeben würde“, sagte er. Obwohl ich es hasse, einfach abzuwarten, sondern klare Ansagen präferiere. Ich wollte wissen, wo unsere Beziehung anfing und endete. Wie weit ich gehen, was ich ihm geben konnte. Dass ich ihm mit dieser Forderung vor allem Macht gab, übersah ich einfach. Eine Beziehung ist ein Gemeinschaftsprojekt. Mit den Gefühlen danach kommt man allein klar. Dennis gab mir nie eine Definition. Er warf mir Halbsätze entgegen wie schlechte Tagebucheinträge. Er hatte die Kunst perfektioniert, schmerzhafte Sachverhalte prägnant zu skizzieren, aber so viel Raum für Spekulationen zu lassen, dass meine Gedanken implodierten.

Eine Schuld ist eine Lösung

Daher bastelte sich mein Herz inmitten dieses Vakuums eine Erklärung zusammen und setzte sie als unabänderliche Wahrheit: Ich bin nicht gut genug. Irgendetwas an mir ist falsch. Ich kann nicht gut genug kochen. Ich bin nicht nähebedürftig genug, ich brauche Freiraum und nehme ihn mir. Mein Sinn für romantische Liebesbeweise ist unterentwickelt. Ich bin einfach so schlecht darin, andere zu lieben, dass ich es nicht anders verdient habe. Obwohl mir in den Momenten, in denen ich klar denken konnte, bewusst war, dass wir wirklich nicht zueinander passten. Aber wenn man einen Körper in Bewegung anhält, muss die Energie irgendwo hin. Und meine richtete sich gegen mich selbst. In Selbstzweifeln, die immer im Hintergrund herumlagen. Gedanken, die irgendwie jeden stören, die aber keiner wegräumt.

Zwischen Vater und Tochter

Es hat einige Monate gedauert, bis ich die Perspektive wechseln konnte. Ich beobachtete einen guten Bekannten und seine Tochter auf einem Geburtstag. Er, Anfang 40 und ein geläuterter Karrieremensch. Sie, Mitte 20 und Scheidungskind, das zwischen seinen zwei neuen Elternpaaren hin- und hergeschoben wurde. Ich hatte ihn als klugen Mann wahrgenommen, der sich für unsere gemeinsamen Projekte aufopferte und dabei immer bemüht war, dass es allen gut ging.

Auf dieser Party erlebte ich ihn anders. Als hätte er den Anzug ausgezogen und das Kampfkostüm übergeworfen. Während sich die beiden in großer Runde unterhielten, spürte ich, wie sie ihn abwertete. Seine Meinung belächelte, kleinredete. Worauf er mit Abwehr oder Schweigen reagierte. Den Blick senkte oder über sie hinweg gestikulierte. In anderen Momenten schienen die beiden eins zu sein. Wenn sie über gemeinsame Momente philosophierten, Sätze des anderen ergänzten. Wie ihre Hand auf seinem Unterarm landete und er das mit einem zaghaften Nicken erwiderte. Bis zum nächsten Konflikt.

Von außen betrachtet

Das Schauspiel der beiden erinnerte mich an einen Boxkampf, bei dem man taktierte und dann im richtigen Moment brutal zuschlug. Die beiden schenkten sich nichts. Auf der einen Seite ihre unbewussten Vorwürfe, dass er zu wenig getan hätte, kein guter Mann und Vater gewesen war. Auf der anderen Seite seine Schuld, die nur durch Reue, Vergebung und Zeit verschwinden würde. Ich verstand die Leere, die durch den steten Liebesentzug und die Unsicherheit, dass man nirgendwo hingehörte, entstand. Ich sah aber auch, dass er nicht wusste, wie er ihr geben konnte, was sie brauchte. Dass sie momentan nicht fähig waren, über ihre Wünsche zu reden. Oder dachten, dass der andere sie nicht hören wollte.

Irgendwie haben sich die beiden auch lieb. Sie verbindet ein tiefes Gefühl der Zuneigung, Geborgenheit. Sie funken auf einigen Wellenlängen gleich. Hinter all der Enttäuschung und den Ängsten glauben sie daran, dass sie wieder zusammenfinden. Dass sie eine einzigartige Bindung haben, die alles übersteht.

Schlussfolgerungen

Und während ich die beiden betrachtete, realisierte ich mehreres. Dass eine Beziehung, die man kaputtgemacht hat, nicht durch mehr Schmerz geheilt wird, sondern auf der Stelle tritt. Wie gut man sich in seinem Schmerz verstecken kann. Aber vor allem: Dass „lieb haben“ keine mindere Variante von „lieben“ ist, sondern nur eine andere Form der Zuneigung. Dass es genauso tief gehen, genauso lang andauern kann wie „lieben“.

Und letztlich ging es bei diesem Erlebnis auch um die Liebe zu mir selbst. Denn zum ersten Mal seit Monaten bemerkte ich, dass ich mich nicht mehr dadurch definierte, dass ich von jemandem verlassen wurde. Sondern dass ich als Person fähig war, andere wahrzunehmen. Mich in sie hineinzufühlen und ihre Meinungen zu durchdenken. Dass mir so viele Dinge nicht egal sind, das zeichnet mich als Mensch aus.

Und manchmal denke ich sogar darüber nach, wen ich in welcher Form „lieb habe“ und wie dankbar ich bin, dass das erwidert wird.

Text: Vivian Herzog

Foto: Amac Garbe

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