Ich schreibe für ein Jugendmagazin. Am liebsten über Dinge, die mich bewegen. Wie zum Beispiel Feminismus. Neulich war es mal wieder so weit. Das Thema: Toxische Männlichkeit. Dabei geht es darum, schädliche Konzepte von Männlichkeit in unserer Gesellschaft zu hinterfragen, sichtbar zu machen und diese dadurch aufzubrechen. Zum Beispiel das Unterdrücken von Gefühlen. Stichwort: „Echte Männer weinen nicht.“ Oder Gewalt als Konfliktlösung.
So weit, so gut. Spannend wurde es dann in den Instagram-Kommentaren zu meinem Artikel. Der Aufreger: Männer sterben durchschnittlich fünf Jahre früher als Frauen. Das ist erst mal ein Fakt, den jede*r mit einem kurzen Blick auf die Seite des Statistischen Bundesamtes überprüfen kann.
Ich jedoch hatte die Dreistheit (Wie auch viele andere. Ich wünschte, ich wäre da selbst drauf gekommen, aber es ist leider nicht mein eigenes Gedankengut.), die Gründe für das verfrühte Ableben mit dem gesellschaftlichen Bild von „Männlichkeit“ in Verbindung zu bringen: höheres Risikoverhalten, schlechtere Lebensweise (mehr Alkohol, Drogen, Zigaretten), weniger Besuche bei Ärzt*innen und Therapeut*innen und eine dreimal so hohe Suizidrate wie bei Frauen.
Das sahen die männlich gelesenen Personen in meiner Kommentarspalte anders. Dort, auf den weiten Fluren der sozialen Medien, tobten sie sich nun richtig aus.
Sozialisation oder Pseudo-Biologie?
Ein Benutzer erklärte, die niedrigere Lebenserwartung läge daran, dass sich Männer im Gegensatz zu Frauen aufopfern und stressen, um beruflich erfolgreich zu sein. Das sei ein Urinstinkt. Stimmt, solche Argumentationen lassen mich die Gender-Pay-Gap und die geschlechterspezifische, unbezahlte Care-Arbeit direkt vergessen.
Warum ist es den Männern in meiner Kommentarspalte nicht egal, weswegen sie fünf Jahre weniger leben? Klingt zunächst vielleicht hart, aber am Ende läuft es eben darauf hinaus, dass ihre Lebenserwartung niedriger ist als die von Frauen. Und es ist doch schön, wenn diese Ursachen teilweise auf die Sozialisation zurückgeführt werden können und nicht nur auf die Biologie. Dann kann man nämlich etwas daran verändern. Aber dafür müsste man sich mit den eigenen internalisierten Glaubenssätzen auseinandersetzen. Und das wäre unbequem.
Also doch lieber wilde „biologische“ Theorien: Ein Kommentierender erklärte mir, ich interpretiere die Zahlen falsch. Frauen würden länger leben als Männer, weil sich einmal pro Monat fünf Prozent ihres Blutes durch die Periode erneuern würden. So unterhaltsam wurde ich tatsächlich noch nie gemansplained. Mansplaining bezeichnet die Erklärung eines Mannes, der davon ausgeht, er wisse mehr über den Gesprächsgegenstand als seine weiblich gelesene Gesprächspartnerin.
Ein anderer wütender Mann beschuldigte mich zunächst des Lügens. Auf eine Nachfrage hin regte er sich völlig am Thema vorbei darüber auf, dass es zu einem „Konkurrenzkampf“ in „traditionell langlebigen Beziehungsgefügen“ kommt, wenn Frauen plötzlich Macht ausüben.
Das Schöne an dem Ganzen: Ich gehe davon aus, dass keiner der Menschen in meiner Kommentarspalte sich meinen Artikel tatsächlich durchgelesen hat. Ja, noch nicht mal die Beschreibung des Posts wurde meines Erachtens nach rezipiert. Hätten sie das getan, wüssten sie nämlich: Es ging nie darum, Männer zu diffamieren. Es geht um ein Konstrukt von Männlichkeit, das uns allen schadet, aber am meisten ihnen selbst.
Stattdessen boten sie ein Paradebeispiel von toxisch männlichem Verhalten.
Erkenntnisse nach dem Kommentar-Kampf
Was ich aus dieser Situation gelernt habe? Erstens: Kommentarmoderation ist wichtig und sollte in seinem Zeit- und Kraftaufwand auf gar keinen Fall unterschätzt werden. Zweitens: Wenn Menschen wütend und emotional auf Dinge reagieren, hat man einen Nerv getroffen. Drittens: Destruktive Menschen sind am lautesten. Man sollte ihnen nicht die Macht über die Situation überlassen, sondern sich auf die Menschen konzentrieren, die die eigenen Worte wirklich lesen, liken und abspeichern. Und viertens: Es ist unsere Aufgabe als Individuen und als Gesellschaft, besonders aufmerksam dahin zu blicken, wo es wehtut. Wo Glaubenssätze und vielleicht sogar unser Verhalten selbst hinterfragt werden. Nur so können wir wachsen und einen Unterschied machen.
Text: Naomi Asal
Foto: Amac Garbe