Das Kunsthaus Dresden führt mit der Ausstellung „Requiem“ aktuelle Perspektiven zu Trauer und Gedenken in Europa und der Welt zusammen.
Requiem, [das]: die Totenmesse. Das sagt der Duden. Als die Ausstellung „Requiem“ im Kunsthaus Dresden eröffnet wurde, war Corona noch ein Rauschen im Fernen Osten, dessen erstes Plätschern eben erst in Europa ankam. Ein landesweiter Shutdown erschien ungefähr so vorstellbar wie das eigene Ableben in hoffentlich ferner Zukunft, nämlich kaum.
Dazumal hatte die Passionszeit gerade erst begonnen und jeder, der (im weitesten Sinne) in der christlichen Tradition verankert ist, dachte beim Wort „Requiem“ sicherlich zuerst an die großen Chorwerke, die vor dem österlichen Freudenfest in Angedenken des Todes Jesu aufgeführt werden. Und so, nur viel allgemeiner gefasst, wollte auch das Kunsthaus den weiten Oberbegriff ihrer Ausstellung „Requiem“ verstanden wissen: als eine kulturelle Form, die Vergangenheit zu verarbeiten und zugleich eine Botschaft an die Lebenden zu formulieren. Angesichts der gegenwärtigen, weltweiten Präsenz von rassistischer Gewalt, Diskriminierung, Krieg und Flucht stellen die Ausstellungsmacher die Frage, wie sich aktuelle Gedenkperspektiven dazu in Beziehung setzen lassen.
Ziel der Schau ist es, exemplarisch „neue lebendige Formen des Erinnerns und der Trauer“ zu zeigen und in der Tat haben viele der Künstler ganz erstaunliche Ausdrucksmittel gefunden, die sie teilweise in monate- oder jahrelanger konzeptueller Arbeit entwickelt hatten. Dank der beigegebenen, ausführlichen Ausstellungstexte (und des Themas überhaupt) ist die Schau zwar nicht schnell und leicht konsumierbar, dafür lassen sich die oftmals komplexen Arbeiten aber sehr gut erschließen. Zudem sind sie in den einzelnen Räumen stimmig kombiniert.
Gleich im kleinen Eingangsraum mit dem Schaufensterblick zur Rähnitzgasse trifft etwa das „O Crudele Spectaculum“ des Künstlers Simon Wachsmuth, eine historische Handwageninstallation mit Kanonenkugeln und Beinprothese, auf die eindringlich-schlichte Arbeit „A Fragile Sense of Hope“ der bosnischen Künstlerin Šejla Kameric, die Scheiben ausstellt, auf denen kreuzweise die Reste von Klebestreifen sichtbar sind. Stellt ersteres ein an Brechts Mutter Courage angelehntes Mahnmal gegen die archaischen Muster der (Kriegs-)Gewalt aller Jahrhunderte dar, sind Kamerics Scheiben leise Sinnbilder für die kleinen Rettungsmaßnahmen, die Menschen im Krieg ergreifen. Aus ihrer eigenen Jugend in Sarajevo kennt die Künstlerin jene abgeklebten Fensterscheiben, die vor dem Zersplittern schützen sollen. Je länger die Scheiben der Sonne ausgesetzt waren, desto stärker haben sich die Kleberreste schließlich „eingebrannt“ – als fragile Zeichen der Hoffnung.
Eine ganz andere Form des Gedenkens hat die norwegisch-dänische Künstlerin Marit Benthe Norheim im kleinen Gebäudeteil seitlich des offenen Innenhofs gefunden. „My Ship is Full of Memory“ heißt ihre Skulpturen-Installation eines weiblichen Schiffsmodells mit 19 Galionsfiguren, die die Lebenserinnerungen von 19 sehr unterschiedlichen betagten Frauen in sich tragen. Dieselbe Künstlerin war es auch, deren „Rolling Angels“ bereits um den 13. Februar und nun erneut am 9. Mai anlässlich des Endes des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren am Elbufer unterwegs waren. Damit hatte das Kunsthaus Dresden wieder einmal ein eindrückliches Zeichen gesetzt, wie einfach Kunst aus dem White Cube hinausrücken und niedrigschwellig in den Stadtraum eindringen kann. Ein halbes Jahr zuvor, am 9. November, waren ja bereits die „Signals 3.0“ in Form einer partizipativen, blinkenden Riesenbohnen-Performance am Elbufer unterwegs, mit der die Künstler Artúr van Balen und Tomás Espinosa einen Beitrag zum lebendigen Gedenken an die Ereignisse vom 9. November leisteten. Auch die Dokumentation dieser beeindruckenden Choreografie ist nun in der „Requiem“-Ausstellung zu sehen.
Im Obergeschoss des Kunsthauses haben die Ausstellungsmacher noch etliche weitere internationale Kunstpositionen zum Thema Gedenken und zeitgemäßer Denkmalkultur vereint, etwa die wirklich interessante „Augmented Reality“-Idee für ein Mahnmal in Köln zum Gedenken an die NSU-Opfer. Wie das auf dem Kölner Platz in der virtuellen Realität aussehen könnte, können die Besucher mittels eines Pads selbst ausprobieren.
Diese und weitere Beiträge zur Tradition von Denkmalen sowie neuen lebendigen Formen der privaten Trauer und des politischen Erinnerns – zwischen Dresden und Bogota, Kaunas, Katowice, Köln und Sarajevo – von Ulf Aminde, Aram Balakjan, Susan Donath, Karolina Freino, Šejla Kamerić und spot_the_silence (Christian Obermüller und Rixxa Wendland) sind nun nach wochenlanger Schließzeit dank Verlängerung der Ausstellung bis 24. Mai im Kunsthaus Dresden zu sehen.
Text & Fotos: Susanne Magister
Zum Foto: „My Ship is Full of Memory“ der norwegisch-dänischen Künstlerin Marit Benthe Norheim
Eine Ausstellung zu aktuellen Perspektiven zu Trauer und Gedenken in Europa und der Welt anlässlich des 75. Jahrestages der Kriegszerstörung Dresdens im Februar 1945 + Teil des Langzeitprojekts „Ruhe in Frieden“ (entwickelt im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung) bis 24. Mai im Kunsthaus Dresden, Rähnitzgasse 8, Di-Do 14-19 Uhr, Fr-So 11-19 Uhr für ermäßigte 2,50 Euro (freitags Eintritt frei).