Wie Pilze wachsen neue Parteien aus dem Boden und versuchen, sich aus dem Dickicht der Kleinstparteien ans öffentliche Licht zu bringen. Wie die erst im April 2017 gegründete Partei Demokratie in Bewegung das schaffen will, das beantwortet Parteimitglied Sven Bauer – bis Januar 2018 Stellvertretender Landeschef in Sachsen.
Erst mal ganz generell: Für was steht Ihre Partei? Was ist die neue Idee?
Begonnen hat alles mit einer Petition bei change.org. Dort haben wir gefragt, ob aus der Initiative für mehr direkte Demokratie eine Partei werden soll, die zur Bundestagswahl 2017 antreten kann. Die Initiatoren hatten sich das Ziel gesetzt: Wenn mehr als 100.000 Leute dafür stimmen, dass aus der Bewegung eine Partei wird, dann machen wir es. Es hat geklappt. Gleich danach, Ende April 2017, fand die Gründung statt. Der Landesverband Sachsen wurde Ende Mai in Leipzig gegründet.
Und was ist das Neue an der Partei? Schließlich fordern ja auch andere mehr direkte Demokratie.
Wir hatten und haben das Gefühl, dass in Deutschland starker Lobbyismus herrscht. Entscheidungen werden nicht volksnah getroffen, sondern nach Einflussnahme von bestimmten Interessen. Daher war die Idee, dass wir eine Partei gründen könnten, die direkte Demokratie dahingehend mehr lebt und umsetzt.
Diese Kritik ist doch nicht neu!
Ja, aber wir wollen einen demokratisch legitimierten strukturellen Wandel. Die demokratische Mitbestimmung wollen wir revolutionieren. Daher haben wir über unseren Internetauftritt einen sogenannten Marktplatz der Ideen geschaffen. Dabei kann jeder mitmachen und auch abstimmen, man muss kein Mitglied sein. Wenn genügend Menschen sagen „Ja, das finden wir gut!“, dann wird diese Forderung in unser Programm genommen und die Abgeordneten unserer Partei sollen es in einem Beschluss umsetzen.
Die Abgeordneten werden gezwungen, einen solchen Beschluss durchzusetzen? Auch gegen eigene Ansichten?
Die Abgeordneten sollen sich moralisch dazu verpflichtet fühlen, nur jene Beschlüsse umzusetzen, die von der Basis legitimiert wurden. Auf dem Papier werden wir aber weiterhin frei nach Gewissen abstimmen dürfen. Heute ist es so, dass Abgeordnete frei sind und auf Grundlage des Grundgesetzes abstimmen können. Es muss aber schon erstaunen, was Abgeordnete für Positionen mittragen. Denken wir zum Beispiel an das Handelsabkommen TTIP. Das riecht zum Teil nach Machtmissbrauch. Durch unsere Ideen versuchen wir, den Einfluss des Lobbyismus, aber auch Repräsentationslücken zurückzudrängen.
Wie wollen Sie die Abgeordneten denn verpflichten?
Sie haben sich in unserer Partei selbst verpflichtet, die Beschlüsse der Basis auf der Grundlage unseres Ethik-Kodex umzusetzen.
Na gut, aber was ist mit Forderungen, die gegen das Grundgesetz verstoßen?
Unser Ethik-Kodex geht ja noch weiter! Es dürfen keine Beschlüsse gefasst werden, die undemokratisch sind und gegen die Menschenwürde verstoßen. Unsere Werte lassen sich mit den Schlagworten Demokratie, Gerechtigkeit und Transparenz, Weltoffenheit und Vielfalt, Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung zusammenfassen. Keine Beschlüsse dürfen auf elementare Weise gegen diese Werte verstoßen.
Kann man dennoch zugespitzt sagen, dass die Partei Demokratie in Bewegung gar keine Partei ist, sondern nur ein Vermittler von der im Wahlvolk herrschenden Meinung? Eine „Volksveredlung“ also?
Ja, eine Organisationsstruktur, die dennoch Grenzen setzt. Wir machen aber grundsätzlich auch Dinge, die auf den Parteitagen beschlossen werden.
Was stört an der bisherigen Demokratie in Deutschland außer dem Lobbyismus?
Man hat das Gefühl, wenig Einfluss nehmen zu können – außer aller vier Jahre mal ein Kreuzchen zu machen. Das reicht aber nicht mehr. Ich kann dem Abgeordneten meines Wahlkreises was sagen, aber der ist an die Linie seiner Partei sowie an den Fraktionszwang gebunden. Die Mitbestimmung erscheint mir gering. Ich hatte schon immer das Gefühl, irgendwo mitmachen zu wollen, aber keine Motivation. Bei den bisherigen Parteien sind die Strukturen so fest. Man muss opportun und angepasst sein, um Einfluss nehmen zu können. Es gibt etablierte Menschen, die bestimmen, wo es langgeht. Das kann doch nicht sein. Demokratie in Bewegung ist eine wirkliche Alternative!
Wir kommt Ihre Partei auf den Gründungsmythos, nämlich den Ruf nach mehr direkter Demokratie? Haben Sie die politische Stimmung aufgesogen und die Schlachtgesänge der AfD antizipiert?
Also ich möchte persönlich nicht mit der AfD verglichen werden. Wir finden Vielfalt positiv, die AfD nicht. Es gibt auch Menschen, die keine Veränderung haben wollen – auch dafür steht Demokratie in Bewegung, wie der Name schon sagt, nicht. Ein großer Unterschied zur Forderung direkter Demokratie seitens der AfD ist der Ethik-Kodex und die Werte, die wir vertreten. So einige Forderungen, nach denen die AfD im Wahlkampf rief, wären bei uns grundsätzlich ausgeschlossen. Wir haben zudem den Marktplatz der Ideen, die AfD hat nichts dergleichen. Auf dem Gebiet der direkten Demokratie ist die AfD nur eine Schein-Konkurrenz.
Beweist nicht das Beispiel Schweiz, dass es den Leuten gar nicht wirklich um mehr Mitspracherecht geht? Die Teilnahme an Volksentscheiden ist doch stets gering, nur eine Minderheit interessiert sich für Politik. Wollen die Leute wirklich mehr Verantwortung übernehmen? Ich habe das Gefühl, dass die meisten, gerade in Dresden, nicht unzufrieden mit der „Dienstleistungsdemokratie“ sind, sondern nur damit, dass mal Beschlüsse gefasst werden, die ihnen nicht schmecken.
Ja, das ist richtig. Das sehe ich persönlich auch so. Wie man diese Herausforderung angeht, muss man sehen. Wir brauchen eine andere politische Kultur!
Merken Sie das hier in Sachsen und Dresden, dass es schwierig ist, Leute für Politik stark zu machen? Oder haben Sie diesen Straßenwahlkampf, diese Graswurzelarbeit noch gar nicht gemacht?
Um bei der Bundestagswahl antreten zu können, mussten wir auch in Sachsen 2.000 Unterstützerunterschriften sammeln, was teilweise sehr schwierig war. Wenn die Leute hören, dass da eine Partei dahintersteht, winken viele ab. Innerhalb Sachsens ist die Situation sehr verschieden. Leipzig hat eine andere Kultur. Die Menschen sind viel offener, man kommt anders ins Gespräch. In Dresden ist es ehrlich gesagt ein bisschen schwieriger. Hier habe ich auch Ablehnung erfahren. Wir waren im Großen Garten und haben versucht, Leute für uns zu begeistern. Das war nur mäßig erfolgreich. In der Neustadt ist es viel leichter, produktiv ins Gespräch zu kommen. Dresden kann froh sein, eine Neustadt zu haben! In anderen Stadtteilen Dresdens findet man auch offene Menschen, aber es ist dort tendenziell schwerer.
In Sachsen haben Sie das Quorum von 2.000 Unterstützern dennoch locker geschafft?
In Sachsen war es knapp, in den meisten Ost-Bundesländern haben wir es nicht geschafft. Erst am allerletzten Wochenende haben wir in Sachsen die nötige Anzahl erreicht. Wir haben am besagten Wochenende 500 Stimmen bekommen. Zum Glück war schönes Wetter und viele Leute unterwegs.
Wo in Dresden haben Sie vor allem Unterschriften gesammelt?
In der Neustadt ist es am einfachsten. Daher haben wir vorrangig im Alaunpark Leute angesprochen. In der Neustadt gibt es eine ähnlich offene Kultur wie in Leipzig. Der Unterschied ist halt nur, dass in Leipzig viel mehr Stadtteile ein Klima besitzen wie das in der Dresdner Neustadt. Daher ist es in Leipzig viel einfacher, dort haben wir auch dreimal so viele Mitglieder wie in Dresden.
Was sind die nächsten Ziele der Partei?
Wir haben viele Landtagswahlen vor uns, auf die wir uns konzentrieren wollen. In Sachsen gibt es 2019 Landtagswahlen. Dazu bedarf es eines starken Mitgliederzuwachses. Geplant ist zudem ein Stammtisch alle zwei Wochen um 19.30 Uhr in der Neustädter Scheune, um Interessierten unsere Ideen zu erklären. Wer sich angesprochen fühlt, möge sich auf unserer Internetseite auf dem Laufenden halten.
Interview: Martin Linke
Foto: Amac Garbe