Ein Ausstellungsspaziergang durch die diesjährige Diplomausstellung der Hochschule für Bildende Künste Dresden.
Nichts ist wie es scheint. Gleich im „Auge des Ausstellungsorkans“, dem Oktogon und seinen angrenzenden Räumen, fällt eines auf: Viele der insgesamt 46 Absolvent*innen der Dresdner Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden spielen mit unserer Vorstellung von Materialität und Materiallogik. Aus (teilweise) glasierter Keramik statt aus Latex oder Gummi bestehen die wie skurrile Fetischspielzeuge aussehenden Skulpturen von Grit Aulitzky.
Keramik scheint in diesem Jahr ohnehin das Material der Stunde zu sein. Auch die glasierten Bruchstücke und der gebrochene Löwenkopf (als originalgetreue Nacharbeitung des Wächtertiers, das dereinst auf dem Dach der Kunsthochschule stand) von Tatsuma Takeda bestehen aus dem glasierten Werkstoff und wirken auf den ersten Blick wie mitten ins Oktogon hingeworfene Teerfragmente oder Gummigemische.
Aus Brotteig sind die tonnenartigen „Laibe“ von Daniel Grams. Hier hätte man eher mit ausgeformtem Ton in Brotoptik gerechnet. Doch Grams verweist stattdessen mit seinen lebensmittelverschwenderischen Skulpturen, die er in alten Ölfässern gebacken hat, auf die Absurdität, die aus der Überproduktion eines Grundnahrungsmittels erwächst, das dann sogar als Brennstoff verwendet wird.
Auch Sophie Altmanns mehrteilige Installation hinterfragt unsere Vorstellungen von Materialität und Form. Ist das wie hingeworfen wirkende graue Knäuel aus Papier oder doch aus Gips wie die schiefe Vase daneben? Hier zeigt sich, was sich durch die ganze Ausstellung zieht: Die Grenzen zwischen Objekt und Umgebung sind fließend. Auf einem Sims der Backsteinmauer liegen weitere Vasenfragmente, die man kaum noch als zugehörig wahrnimmt.
Auf einem der Atelierfußböden in den angrenzenden Gängen der Hochschule steht ein kleines Dach aus zwei aneinandergestellten Fliesen, davor eine mit Farbe beschmierte Tasse – wie zufällig stehen gelassen und doch Teil der Installation der Künstlerin Elisa R.
Retrospektiv fühlt sich der Besucher vielleicht etwas beobachtet, wenn die in allen Räumen teils deutlich sichtbar, teils versteckt zwischen Heizkörpern hängenden Keramikmasken sich in einem Ausstellungsraum zu einer Maskengalerie des Diplomanden Lars Frohberg verdichten (folgerichtig betitelt mit „masken, überall“).
Die archaischen Formen erinnern an kolonialherrschaftliche Devotionalien, wären da nicht hervorstehende Streifen, die an die Schilde heutiger Basecaps erinnern. Aber wer hält hier wem die Maske vor?
Wie schon in der HfBK-Jahresausstellung gesehen, zieht sich auch in der Diplomschau die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, mit Körperlichkeit und Sexualität durch viele Arbeiten. Vivien Schlecht hinterfragt zum Beispiel unser Bild von Schönheit in eindringlichen Frauenporträts aus verschiedenen Perspektiven. Künstlerin Anna Erdmann wiederum lotet verschiedene Formen lesbischer Selbstbestimmung aus.
Auch Elisa-Marie Floarei reiht sich hier mit ihrem vollgestellten, zettelbehangenen „Kabuff“ als eine Art Hochbett-Schreibtischkonstruktion voller sexualisierter Symbolik und Gender-Klischees ein.
Anja Herzogs 14-teilige Ölporträtserie „Familie Kniff“ persifliert mit einer guten Portion Humor hingegen unser genealogisches Zusammenrottungsbestreben, indem sie comicartige, außerirdische Wesen stammbaumartig anordnet und eine „Legende der Beziehungen“ (von apathisch über harmonisch bis manipulierend) beilegt.
Von Euiyoung Hwang kommt die wohl vielteiligste und mediendiverseste Installation. Zu Videoarbeiten, Zeichnungen und einer 99-teiligen Analyse des Ich-Begriffs zwischen Kakerlaken und Oktopus gesellt er auch die dreibeinige, kniende Figur „Wesen im Raum A“ inklusive Perücke aus eigenem Haar hinzu. Eine nicht nur dem Motiv nach kafkaeske Zusammenstellung, deren Erörterung mit dem Künstler sicher sehr denkanstoßend sein dürfte.
Und schließlich wäre da noch der Raum, in dem die Arbeit von Raiko Sánchez „Hally-Gally, all together“ ausruft – mit einem unbespielbaren Klettergerüst und ausgestopften, fleischfarbenen „Kleinkindern“ sowie den „Design-Bodys“ aus dem 3-D-Drucker von Meltem Arslan.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Susanne Greinke. Die meisten Positionen sind stimmig und intelligent zusammengestellt, viele Diplomanden konnten ihre Wünsche einbringen oder sich auf bestimmte Räume bewerben.
Nicht ganz passend wirkt es nur selten. Beispielsweise wenn die filigranen Grafiken von Darja Eßer im kleinen Atelierraum gegenüber den 23 Porträts mit starker Mimik und Gestik und teils verstörenden Körperdetailansichten in Öl von Helena Zubler etwas unterzugehen drohen. Überhaupt ist der Gang durch die diesjährige Diplomausstellung außergewöhnlich vielschichtig und intensiv.
Ein Highlight in all den raumgreifenden Installationen und Positionen ist die Arbeit von Jion Kiim, die vermeintlich kontemplativ „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ serielle, pastose Horizontverläufe auf handyartige Holztafeln malt. Was ohne Kontext einfach an den letzten Ostseeurlaub erinnert, darüber hinaus vielleicht noch die Omnipräsenz der Smartphones und den durch sie verschobenen Blickwinkel auf das Leben um uns herum wachruft, ist eigentlich eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung der mobilen Endgeräte für Flüchtlinge auf ihrer unwegsamen Flucht. Ein gutes Beispiel dafür, wie viele Bedeutungsebenen ein Kunstwerk haben kann, wovon jede ihre Daseinsberechtigung hat.
Diplomausstellung der Hochschule für Bildende Künste Dresden bis 3. September, Di. bis So., 11 bis 18 Uhr, im Oktogon (Georg-Treu-Platz) und angrenzenden Ateliers für ermäßigte 3,50 Euro Eintritt. Immer mittwochs, 16.30 Uhr, führen Diplomand*innen durch die Ausstellung. Den diesjährigen Diplomkatalog mit inspirierenden Vorworten des ehemaligen Dresdner Stadtschreibers Peter Wawerzinek (2016) und HfBK-Mitarbeiterin Friederike Sigler zum Thema Freiheit gibt es an der Kasse für zehn Euro.
Text: Susanne Magister
Fotos: Amac Garbe