Der russische Regisseur Andrei Konchalovsky arbeitet in „Paradies“ die NS-Vergangenheit eindrucksvoll in Schwarz-Weiß-Bildern auf – und unter Mitwirkung eines Dresdner Schauspielers.
Braucht es noch einen Film über die Gräueltaten Nazideutschlands, der aufzeigt, wozu Menschen fähig sind und welche Abgründe sich in ihrem Sein auftun, wenn Hass das Leitmotiv einer Kultur wird?
Der 79-jährige Regisseur und Drehbuchautor Andrei Konchalovsky zeigt mit „Paradies“ in eindringlichen Schwarz-Weiß-Bildern, wie jeder von uns zum Täter, Mitläufer oder Widerstandskämpfer werden kann. Denn er pickt sich drei Protagonisten heraus, die stellvertretend für diese Personengruppen stehen und doch nicht nur diese sind. Die überleben wollen, obwohl sie Widerstand leisten. Die lieben, obwohl sie Täter sind. Die fürchten, was sie nicht beeinflussen können. Konchalovsky lässt sie an einem kargen Tisch Monologe führen, als würde sie jemand verhören. Doch wer ist ihr Interviewer? Vor wem rechtfertigen sie sich?
Diese Monologsituationen können zu Beginn etwas verwirren, denn sie werden in den Fortgang der Geschichte hineingeschnitten. Die Exilrussin und Moderedakteurin Olga muss sich vor dem französischen Kollaborateur Jules verantworten, weil sie zwei jüdische Kinder bei sich versteckt haben soll. Ihr Arrangement – sexuelle Gefälligkeiten gegen mildernde Umstände – platzt, weil Jules nicht mehr auftaucht. Olga kommt ins Konzentrationslager und trifft dort SS-Offizier Helmut, den sie aus friedlicheren Zeiten kennt. Doch kann man jemanden lieben, gegen den man eigentlich kämpft? Und was ist das überhaupt, dieses Paradies?
Konchalovsky reduziert die Geschehnisse rund um den Zweiten Weltkrieg und den Mord an Millionen von Menschen in dieser russisch-deutschen Koproduktion im Kern auf diese drei – seine Ehefrau Julia Vysotskaya als Olga, Christian Clauß als Helmut sowie Philippe Duquesne als Jules. Konchalovsky ging es dabei weniger um berühmte Namen, sondern mehr um passende Schauspieler, um Authentizität. Der Zuschauer soll das Gesicht nicht sofort mit anderen Produktionen verbinden.
Christian Clauß ist Ensemblemitglied beim Staatsschauspiel Dresden, hat an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig Schauspiel studiert. „Paradies“ ist sein erster Spielfilm. Zu Beginn des Jahres war der Kurzfilm „Papagei“ von Andreas Rajchert fertig, der zu großen Teilen in der Dresdner Neustadt gedreht wurde und für den Clauß sich ebenfalls als Hauptdarsteller zur Verfügung stellte. Zeitgleich stand „Paradies“ auf der Shortlist für den Oscar, schaffte es letztlich aber nicht unter die finalen Nominierungen. Dennoch: Clauß referiert als Helmut derart überzeugend über seine Begeisterung für Hitler und sein Reich, dass dem Zuschauer mitunter übel wird.
Andrei Konchalovsky, der auch schon Filme wie „Tango und Cash“ mit Sylvester Stallone und Kurt Russell drehte, gewann andere Preise, unter anderem den Silbernen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig – so eindringlich und überzeugend ist der dokumentarische Charakter von „Paradies“. Denn: Solche Filme braucht es immer noch.
Text: Nadine Faust
Foto: Sveta Malikova