Filmtipp des Monats: Das Ende ist erst der Anfang

Die zwei alternden Männer fürs Grobe, Gilou (Bouli Lanners) und Cochise (Albert Dupontel), fahren mit ihrem Pick-up durch eine verwelkte Ödnis. Ihr Auftrag ist es, ein Handy mit pikanten Informationen zu finden. Dieses wurde zufällig von dem Landstreicherpaar Esther (Aurore Broutin) und Willy (David Murgia) gestohlen, das zwar vor der ganzen Welt auf der Flucht zu sein scheint, doch keine Ahnung hat, was es mit dem Handy auf sich hat. Schließlich ist da noch ein Mann, der sich Jesus nennt (Philippe Rebbot) und mit gänzlich verworrenen Gründen das Nichts durchstreift.

Wie es den meisten durch das Internet befeuerten Diskussionskulturen immanent ist, wird auch der Filmdiskurs von überpopulären Fällen dominiert. Ist das DC Cinematic Universe seit „Batman v Superman“ nun ein Garant für Ramsch oder nicht? Sind die Warnungen vor einem Werther-Effekt, den die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ bewirken könnte, tatsächlich berechtigt? Diese Streitigkeiten haben durchaus ihre Berechtigung, lassen aber die breite Öffentlichkeit für kleinere Werke, die ebenso polarisieren, erblinden. Genauso ein Streifen ist Bouli Lanners’ „Das Ende ist erst der Anfang“ (OT: „The First, the Last“).

Nur schwer ist dieser Film zu greifen. Die Kritiker nennen ihn Tragikomödie, Neo-Western oder Roadmovie, sie sehen ihn in der Tradition von Tarantino, Ritchie bis hin zu Kaurismäki. Sie feiern oder zerreißen ihn. Zwei Prinzipien sind dafür verantwortlich zu machen.

Zum einen verweigert sich der Film jeglicher äußerer Schönheit. Der Himmel ist stets bewölkt, die Pflanzen karg, die Straßen verlassen, alles ist grau, alles liegt brach. Dieses vergessene Hinterland wird ausschließlich von gesellschaftlichen Randfiguren bevölkert. Alte, Arbeitslose, Kleinkriminelle und Einsame, die sich voneinander nur durch graduelle Stufen ihrer Gewaltbereitschaft und sozialen Verwahrlosung unterscheiden. Dieses Setting präsentiert der Film mit einer sehr ruhigen, bedachten Kamera und einer schleppenden Erzählweise. Die spärlichen, häufig wortkargen Dialoge erlauben sehr zögerlich Einblicke in das Innenleben der Figuren, oft sieht man diese nur mit ihrem Schicksal hadernd in die Einöde starren. Die Story enthält zwar durchaus Stereotypen des Tarantino-Kinos, doch rasante Sequenzen oder absurde Situationen, wie sie dieser Vergleich ebenso erwarten lässt, werden nicht geboten. Damit entwickelt der Film eine zurückhaltende Ästhetik, die nicht jedem zuträglich ist, sogar als solche übersehen werden kann. Jedoch schafft sie es, diese langweilige Wirklichkeit mitteleuropäischer Dörfer und Landstraßen absolut überzeugend in Szene zu setzen. Das Trostlose dieser Orte ist real und benötigt keine Stilisierung. Wer sich auf diesen dokumentarischen Anspruch einlässt, findet an den Bildern auch Gefallen.

Zum anderen versucht Lanners, in all diesem Harten und Abgestumpften ein Plädoyer für die innere Schönheit einzubetten. Dafür arbeitet er mit einer Symbolik, die sich recht schnell entschlüsseln lässt. So wird etwa Jesus, welcher Willy zu helfen versucht, von diesem ausgerechnet durch die Hand geschossen. An anderer Stelle findet Gilou, der seinen nahenden Tod befürchtet, die Mumie eines einsam verstorbenen Obdachlosen und setzt sich selbstlos für dessen späte, würdevolle Begräbniszeremonie ein. Der Film wird mit solchen Szenen von einer offensichtlich christlichen Botschaft der Nächstenliebe durchtränkt, welche von manchen Kritikern als pseudophilosophisch und oberflächlich bemängelt wurde. Es stimmt, es ist keineswegs das Kino der großen Gedanken und tiefen Gefühle, auch wenn der Streifen dies gern sein würde. Doch obwohl  er dieses Ziel verfehlt, scheitert er trotzdem nicht. Diejenige Zuschauerschaft, welche die Ästhetik des Öden auf sich wirken lässt, die sich von dem Unbeeindruckenden beeindrucken lassen kann, wird schlichte aber herzliche Freude an der Kontrastierung durch die ebenso schlichte, weil so bestechend bodenständig inszenierte zwischenmenschliche Wärme finden.

Fazit: Ein gutmütiger Film, dem sich vorwerfen lässt, dass er mehr Komplexität von sich behauptet, als er tatsächlich bietet. Doch braucht er diese überhaupt? Nicht zwingend, doch von der Entscheidung dieser Frage hängt das gesamte Filmerlebnis ab. Er ist also jedem empfohlen, denn er zwingt den Zuschauer dazu, sich mit seinen Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen zu beschäftigen. Und dies darf ruhig auch abseits der Blockbuster-Superlative geschehen.

Text: Alexander Stark

Foto: NFP marketing & distribution

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