Am gestrigen Sonntag flimmerten die letzten Programme des 29. Filmfestes Dresden über die Leinwände dieser Stadt – Zeit also für ein Resümee.
Das Fest ist aus. Die Gäste gehen heim. Und was bleibt? Diese Frage sollte sich ein so renommiertes Kurzfilmfestival wie das Filmfest Dresden stets stellen, bevor es dann im kommenden Jahr wieder in eine neue Runde geht. Der Geist dieser einwöchigen Veranstaltung sollte sich wohl in dessen Preisträgern zeigen, schließlich handelt es sich hierbei im Kern um einen Wettbewerb um hochdotierte Preise. Aus der nationalen und der internationalen Konkurrenz wurden bereits am Samstag die jeweiligen Preisträger ausgezeichnet, weshalb es sich lohnt, einen kurzen abschließenden Blick auf die wichtigsten Vertreter zu werfen. Wie es jedoch bei jeder Art von Wettbewerb nun einmal so ist, gab es weitere herausstechende Beiträge, die letztlich leider ohne Auszeichnung geblieben sind und von denen deshalb hier wenigstens einer ebenfalls Erwähnung finden soll.
Ein Film, der sogar noch zwischen den ganzen anderen Preisträgern herausstechen konnte, war ganz klar „Cipka“ von Renata Gąsiorowska. Dieses Werk hat ganze drei Auszeichnungen im Wert von insgesamt 13.500 Euro abgeräumt: Den Goldenen Reiter für den besten Animationsfilm des Internationalen Wettbewerbs, den ARTE Kurzfilmpreis und eine lobende Erwähnung für den Filmton. Der kurze Animationsfilm, der ins Englische übersetzt „Pussy“ heißt, zeigt mit simpel anmutender Tricktechnik eine junge Frau, die sich genüsslich selbst verwöhnen möchte, was aber zunächst nicht so recht klappen will. Weder bei Kerzenlicht in der Badewanne noch ganz selbstreflexiv vor dem Spiegel vermag sie es, sich vollends zu entspannen und den gewünschten Höhepunkt zu erreichen. Spätestens, als dann auch noch der neugierige Junge aus dem Nachbarhaus vor der Tür steht und sich ihre Intimzone überraschenderweise auch noch selbstständig macht, ist sowieso nichts mehr, wie es eigentlich geplant war. Erfrischend unverkrampft und mit ungewöhnlichen Bildern thematisiert „Cipka“ eine ebenso alltägliche wie auch unverändert tabuisierte Angelegenheit: die weibliche Sexualität. Es kann dabei gut und viel gelacht werden, wobei jedoch nie die Sinnlichkeit verloren geht, was vor allem an der vielschichtigen Klangwelt liegt, welche die Bilder untermalt.
Ebenfalls hervorgehoben werden muss auch der Film „Ein Aus Weg“ von Hanna Stragholz und Simon Steinhorst, welcher ebenfalls als bester Animationsfilm einen Goldenen Reiter erhielt, nur eben im Nationalen Wettbewerb. In einer Explosion aus verschiedenen kunstvollen Tricktechniken haben die Filmemacher versucht, ihren vielschichtigen, mitunter auch widersprüchlichen Protagonisten Alex einzufangen. Alex ist ein Härtefall, der sein Leben zwischen Knast und Freiheit auf Bewährung verbringt. Trotz des tristen, monotonen Alltags im Gefängnis können sich seine Gedanken frei bewegen und offenbaren so seine Wünsche und Gefühle. Es zeigt sich, dass es sich bei diesem Härtefall immer noch um einen Menschen handelt, mit dem sich die Gesellschaft auseinandersetzen muss, so schwierig das auch sein mag. Einfach wegsperren hilft nicht. Vorlage für „Ein Aus Weg“ waren übrigens Interviews mit dem echten Alex und dem zuständigen Kriminaloberkommissar.
Ein Film, welcher leider mit keinem Preis bedacht wurde, der aber dennoch aus dem Internationalen Wettbewerb herausgeragt hat, ist „Las cosas simples“ (oder auch „Die einfachen Dinge“) von Álvaro Anguita. In diesem kurzen Spielfilm geht es um Demenz und den drohenden Verlust der eigenen Identität und dennoch ist es ein wunderbar leichtherziges und schönes Werk. Im Mittelpunkt steht Penelope, welche neben ihrer Arbeit in der Ausweisbehörde auch noch einen weiteren Vollzeitjob leistet, indem sie sich um ihre an Alzheimer erkrankte Mutter kümmern muss. Man kann ihr also nachsehen, dass sie es ausnutzt, als ein verirrter älterer Herr in ihrer Behörde gemeldet wird. Penelope gibt dem betagten Obdachlosen kurzerhand ein neues Zuhause und ihrer einsamen Mutter den eigentlich bereits verstorbenen Mann zurück. Das Ganze entwickelt jedoch eine ungewollte Eigendynamik und schnell wird klar, dass dieser Idealzustand seine Grenzen hat. Mithilfe der großartigen Darsteller, der beeindruckend realistischen Inszenierung und einer genau abgestimmten Situationskomik fängt „Las cosas simples“ gefühlvoll schön-traurige Lebensmomente ein.
Zu guter Letzt muss festgehalten werden, dass man sich über die Relevanz aller durch die Jury ausgezeichneten Filme immer streiten kann und auch sollte. Es wird unter den Zuschauern genauso viel Zustimmung wie auch Unverständnis über die Preisträgerfilme geben, denn was einen guten Kurzfilm ausmacht, das ist und bleibt Geschmackssache. Genauso sollte auch über die Qualität der Wettbewerbsauswahl insgesamt diskutiert werden, denn auch darüber wird es geteilte Meinungen geben. Nur durch eine kritische Auseinandersetzung mit sich selbst hat ein derart etabliertes Festival wie das Filmfest Dresden auch in seiner bereits 30. Ausgabe im kommenden Jahr noch die Chance, entscheidende und wichtige Tendenzen in der Welt des Kurzfilms einzufangen. Und auch dann wird wieder darüber zu reden sein, ob dies gelungen ist oder nicht. Die besondere Stärke des Filmfestes bleiben indessen die thematischen und länderbasierten Schwerpunkte, bei denen es gar nicht erst um irgendwelche Goldenen Reiter geht, sondern ganz allein um das wirklich Wesentliche: die Filme.
Text: Carl Lehmann
Foto: Amac Garbe