Filmtipp des Monats: Die andere Seite der Hoffnung

In der trocken-melancholischen Tragikomödie „Die andere Seite der Hoffnung“ geraten zwei sehr unterschiedliche Männer aneinander, die die Sehnsucht nach einem neuen Leben teilen.

Es ist Nacht im Hafen von Helsinki. Ein Frachtschiff liegt ruhig am Kai, in seinem Inneren lagern große Mengen Kohle. Plötzlich entsteigt ein junger Mann einem dieser Kohleberge wie ein neugeborener, aber rußschwarzer Phoenix der Asche und verlässt den Hafen Richtung Stadt. Erst nachdem er eine öffentliche Dusche besucht hat und wieder menschlicher aussieht, wird sich herausstellen, dass es sich um Khaled handelt. Der junge Mechaniker aus Aleppo hat eine irrwitzige Reise hinter sich, halb auf der Flucht vor dem Krieg in seinem Heimatland, halb auf der verzweifelten Suche nach seiner Schwester, die auf dem Weg nach Europa von ihm getrennt wurde. Eigentlich weiß Khaled (Sherwan Haji) gar nicht mehr, wohin mit sich. Es soll nur irgendwie besser werden und das möglichst gleich hier im fortschrittlichen Finnland.

Schnell stellt sich jedoch heraus, dass auch hier nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, denn Khaled fällt mit seinem Asylantrag sang- und klanglos durch das Auswahlraster. Darüber hinaus scheinen die Finnen selbst auf der rastlosen Suche nach ihrer Heimat zu sein. Diese allgemeine Sehnsucht nach einem Zuhause verbindet letztlich alle Figuren in „Die andere Seite der Hoffnung“, dem neuesten Werk des finnischen Filmemachers Aki Kaurismäki, das seit 30. März in den deutschen Programmkinos läuft. Es ist ein Film voller Lieder, die genau dieses Sehnsuchtsgefühl widerspiegeln. Sie werden auch nicht einfach nur als Soundtrack über die Bilder gelegt, sondern durch Musiker vor Ort aufgeführt. Ob in den Kneipen der Stadt oder auf deren Straßen: Alle singen von Friede, Natur und Einklang. Auch Khaled singt einmal ein Lied aus seiner verlorenen Heimat und lässt diese stimmlich und instrumental wieder aufleben.

Ein Heimatloser ist auch Waldemar Wikström, der andere Protagonist des Films. Wikström (Sakari Kuosmanen) ist quasi das finnische Pendant zu Khaled, nur dass er bereits seine besten Jahre hinter sich zu haben scheint, gerade erst von seiner Frau rausgeschmissen wurde und auch mit seinem Job als Handelsvertreter für Krawatten einfach nichts mehr anfangen kann. Doch Wikström will sich nicht einfach so geschlagen geben und erfüllt sich stattdessen einen lang gehegten Traum: ein eigenes Restaurant. Auf ihrer jeweiligen Suche nach einem besseren Leben, nach der richtigen Heimat, begegnen sich Khaled und Wikström, und obwohl sie einander irgendwie auch ausnutzen, sind sie doch füreinander da. Khaled arbeitet schwarz in Wikströms Lokal und Wikström hilft Khaled dafür mit Unterkunft und Verpflegung.

Die Geschichte dieser beiden tragischen Figuren hätte leicht mit großem Pathos erzählt werden können, doch Aki Kaurismäki inszeniert sie stattdessen mit dem für ihn so typischen trockenen Humor. Es gibt viele skurrile Szenen und absonderliche Momente, bei denen zwischen Ernsthaftigkeit und Komödie nicht immer eindeutig unterschieden werden kann. Sowohl die Szenengestaltung als auch die Schauspielanleitung erinnern zumeist an eine Theaterinszenierung, es wird nicht vor Verfremdungen zurückgeschreckt. Aber gerade aus dieser theatralen Grundlage stechen die wirklich menschlichen Momente eindrücklich hervor, wirken schlicht und ergreifend glaubwürdig. Keiner ist hier einfach nur Opfer des eigenen tragischen Schicksals, sondern alle haben stets auch eine eigenwillige Persönlichkeit mit Charakter.

Leider gibt es auch den einen oder anderen überzeichneten Moment im Film. Die mehrfach auftretenden Nazi-Schlägertrupps wirken beispielsweise ebenso wenig überzeugend wie Wilkströms kurzer wie klamaukiger Versuch, eine finnische Traditionskneipe in ein Sushi-Restaurant umzuwandeln. Diese wenigen Schwachpunkte zerstören aber nicht das beeindruckende Gesamtbild, das Kaurismäki in „Die andere Seite der Hoffnung“ geschaffen hat. Es überwiegt darin am Ende ein zwingender humanistischer Appell: Gerade in einer Gesellschaft, in der sich alle irgendwie ein bisschen Fehl am Platz, unzufrieden und heimatlos fühlen, darf kein Ruf nach Unterstützung und Halt je überhört werden – egal von wie weit weg dieser auch kommen mag.

Text: Carl Lehmann

Foto: Sputnik Oy/Fotograf Malla Hukkanen

Trailer:

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