Der aktuelle Entwurf zur Urheberrechtsreform schlägt — begrenzt — die erlaubnisfreie Nutzung von Publikationen vor. Doch nicht nur diese Regelung sorgt für Kontroversen.
Schranken sind ja eigentlich etwas ziemlich harmloses. Bahnschranken zum Beispiel. Man steht, wartet, guckt. Schönes Wetter heute. Bisschen langweilig vielleicht. Es gibt aber auch andere Schranken, solche, die ganz und gar nicht langweilig sind. Ja, die regelrecht die Fetzen fliegen lassen: Wissenschaftsschranken. Sie regeln die erlaubnisfreie Nutzungen von Publikationen im Dienste der Wissenschaft. Eine solche Schranke sieht auch der aktuelle Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium zur Reform des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes (kein Scherz), kurz UrhWissG, vor. 25 Prozent eines Werkes sollen künftig für die nicht-kommerzielle wissenschaftliche Forschung sowie für Unterricht und Lehre „vervielfältigt, verbreitet und veröffentlicht“ werden dürfen. Und das nicht nur in Seminaren und Vorlesungen, sondern darüber hinaus auch auf E-Learning-Plattformen und ähnlichen Online-Angeboten (Schulbücher sind ausgenommen) — also zum Beispiel Ausschnitte von Lehrbüchern, die Studierenden auf OPAL zur Verfügung gestellt werden. Werke geringen Umfangs, wie etwa Liedtexte oder Artikel aus Zeitschriften, sollen sogar komplett genutzt werden dürfen. Das alles soll natürlich „angemessen“ vergütet werden — in Form einer Pauschalvergütung. Mittels repräsentativer Stichproben würde die Werknutzung an einer Universität beurteilt, die Bundesländer zahlen den so vereinbarten Beitrag dann an die VG Wort. Die wiederum verteilt das Geld an Verlage und Autoren. Wie genau die Gelder verteilt werden, verrät der Gesetzentwurf nicht.
Mit der Pauschalvergütung würde auch der umstrittene Paragraph 52a wegfallen, der im Dezember quer durchs Land für Aufschrei gesorgt hatte: Danach sollten Dozierende jedes verwendete Werk melden, damit dieses separat vergütet werden kann. TUD-Stura-Mitglied Jan-Malte Jacobsen würde sich über ein Aus der Regelung „sehr freuen“. Als hätten sie sich abgesprochen, sprechen sowohl er als auch der Jenaer Soziologieprofessor Tilman Reitz, an den Tobias Kuhn von der Dresdner Mittelbauinitiative zwecks Expertise verweist, von „einem kleinen Schritt in die richtige Richtung“: Richtig finden sie den Schritt, weil er dem Zweck der Wissenschaft, Erkenntnisse öffentlich verfügbar zu machen, näherkommt. Klein finden sie ihn, weil beide gerade deshalb eine allgemeine Wissenschaftsschranke befürworten.
Wohlwollen hier, Entsetzen da: Um einen Flickenteppich zu vermeiden, bei dem jeder Verlag verschiedene Nutzungsformen unterschiedlich regelt, soll das vertragliche Vorzugsrecht abgeschafft werden. Im Klartext heißt das: Sobald ein Vertrag, den ein Verlag mit einem Autor schließt, die gesetzlich geregelten Nutzungsbefugnisse betrifft, ist er ungültig. Die Verlage finden das nicht lustig. Sie fürchten um ihre Existenz. „Wenn Wissenschaftstiteln und insbesondere universitären Lehrbüchern durch weitreichende Einschränkungen des Urheberrechts die Möglichkeit der Finanzierung entzogen wird, bricht der Markt der wissenschaftlichen Publikationen zusammen“, befürchtet etwa Dr. Jörg Platiel, Geschäftsführer der utb-Verlagsgemeinschaft. Die Auffassung, dass der Referentenentwurf vor allem kleinen Verlagen den Garaus machen könnte, teilen auch die Initiatoren des Aufrufs „Publikationsfreiheit jetzt — für eine starke Bildungsrepublik“. Dort sieht man eine „Entwertung“ der Leistung der Autoren und Verlage. Auf lange Sicht sehen sie sogar die Publikationsfreiheit beeinträchtigt, wenn die Vielfalt der Verlage abnimmt. Verstärkt werde all das durch aktuelle Pläne des Forschungsministeriums, verstärkt auf Open Access zu setzen. Schon mehr als 4.000 Unterzeichner zählt der Aufruf für Publikationsfreiheit — darunter Vertreter der TUD. Die allerdings waren — stichprobenartig ausgewählt — für Campusrauschen nicht zu erreichen. Und die Uni selbst? Die schließt sich, wie Pressesprecherin Kim-Astrid Magister auf Anfrage mitteilt, dem Statement der Hochschulrektorenkonferenz an. Dort begrüßt man den Entwurf „nachdrücklich“ — und betont noch einen weiteren Faktor: Der Entwurf schafft die Grundlagen für das sogenannte Data Mining, bei denen Inhalte aus Datenbanken zu Massenanalysen verwendet werden. Das Ursprungsmaterial darf laut dem Entwurf automatisiert und systematisch analysiert werden.
Einfache Verfahren, Digitalisierung, mehr Forschung — Dr. Jörg Platiel von utb lassen alle Pro-Argumente kalt. Für ihn ist die Einschränkung des Urheberrechts nicht weniger als ein Grundrechtseingriff — und das noch dazu völlig unbegründet. Die digitalen Nutzungen, die der Entwurf den Hochschulen ermöglichen möchte, seien „im Rahmen von Verlags-Lizenzangeboten bereits jetzt zu angemessenen Bedingungen möglich.“ Eine Ausweitung der Nutzungsbefugnisse? „Weder erforderlich noch geboten.“ Ganz anders sieht das Soziologieprofessor Reitz. „Wir brauchen eine Neuregelung des Urheberrechts in wissenschaftlichen Kontexten“, findet er. Bis es soweit ist, hofft er auf den Erfolg des Referentenentwurfes. Die Chancen dafür seien gar nicht mal schlecht — gerade weil der Vorschlag so diametral entgegengesetzte Reaktionen provoziert hat. Reiz glaubt: „Man wird diesen Weg des vorrichten Kompromisses weitergehen.“
Text: Luise Martha Anter
Foto: Amac Garbe
Der Artikel wurde am 03.07.2017 aktualisiert.
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