Seit dem 26. Dezember stapft eine Gruppe junger Aktivisten durch den Schnee Europas: Der Civil March for Aleppo möchte die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Leid in Syrien lenken. Eine Dresdnerin ist ein Stück mitgelaufen.
Es ist ein kalter Winter, der Europa momentan im Griff hat. Kalt, unbarmherzig, ungemütlich. Die Straßen sind leerer als sonst, das Sofa lockt mehr denn je. Keine optimalen Bedingungen für eine sehr, sehr lange Wanderung. Trotzdem läuft eine Gruppe Aktivisten, die sich um die Ideengeberin Anna Alboth gebildet hat, von Berlin nach Aleppo. Auch in Dresden hat der Civil March for Aleppo Anfang Januar für zwei Tage einen Zwischenstopp eingelegt. Die Dresdnerin Larissa Pfitzner war dabei und ist anschließend 15 Kilometer vom Dresdner Altmarkt bis zum Rathaus in Heidenau mitgelaufen.
Gern wäre sie auch länger dabei gewesen, sagt sie: „Aber ich habe eine pflegebedürftige Mutter, um die ich mich kümmere. Als wir gerade in Heidenau angekommen waren, hat sie angerufen.“ Für sie war der Marsch in Heidenau also beendet. Andere jedoch laufen noch lange mit: durch die Kälte, den Schnee und später vielleicht auch vorbei an Frühblühern, leuchtenden Feldern, überfüllten Badeseen. Im September will die Gruppe – nach einigen Zwischenstopps und zwei Monaten in der Türkei – in Syrien ankommen. Aktuell befindet sie sich noch in Tschechien, ab Anfang Februar in Österreich. Es folgen Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Griechenland, die Türkei – und schließlich Syrien. Ob die Aktivisten dort einreisen können werden, bleibt aber fraglich. Larissa Pfitzner formuliert es so: „Ich wünsche ihnen, dass sie bis Aleppo kommen, damit sie wirklich erreichen, was sie wollen. Aber eigentlich ist die Grenze zwischen der Türkei und Syrien ja dicht – und Syrien ist ein gefährliches Kriegsgebiet.“
Die Stimmung der Teilnehmer sei jedoch optimistisch gewesen: „Alle sind positiv eingestellt, auch von Gewalt oder Aggression keine Spur.“ Zu ihrem Schutz habe die Polizei die Laufenden auf der Strecke zwischen Dresden und Heidenau eskortiert. Die Mitlaufenden seien dabei sehr international: „Italiener, Südamerikaner, Deutsche, Syrer natürlich – ein bunter Haufen.“ Unterhalten habe man sich meist auf Englisch. Circa 50 Menschen seien auf der Strecke zwischen Dresden und Heidenau dabei gewesen. Manche länger – eine Kerngruppe läuft die ganze Strecke von Berlin bis Aleppo – andere kürzer. „Eine Mutter“, erinnert sich Pfitzner, „ist mit ihrem Kinderwagen auch mal nur zehn Minuten mitgelaufen.“ Die Kosten der Wanderung tragen dabei die Teilnehmer alle selbst. Die Organisatoren versuchen jedoch, sie gering zu halten: Für Übernachtungen wenden sie sich laut der offiziellen Webseite der Aktion an Kirchen, gemeinnützige Vereine und Turnhallen, um möglichst kostenlose Übernachtungen zu organisieren. 646 Stunden sind es laut Google Maps von Berlin bis nach Aleppo – 27 Tage, wenn man 24 Stunden durchläuft. Weil der Rucksack über so eine lange Zeit durchaus ein bisschen schwerer werden kann, fahren auch verschiedene Autos mit, die den Laufenden ihr Gepäck abnehmen. Und die kalten Füße? „Die“, meint Larissa Pfitzner, „vergisst man beim Laufen.“
Die einzelnen traurigen Schicksale ihrer syrischen Freunde gingen ihr sehr nahe, sagt sie: „Deswegen will ich wenigstens ein Zeichen setzen, wenn ich schon dort nichts konkret bewegen kann.“ Die 53-jährige Arbeitssuchende ist auch im Alltag eine aktive Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit. Nach einem Infoabend der Caritas in ihrer Kirchgemeinde sei sie neugierig geworden – und habe sich angemeldet, um eine Patenschaft für einen Geflüchteten zu übernehmen. Bei einer ist es jedoch nicht geblieben. „Meine Paten unterstütze ich im Alltag – mit den Behörden, beim Arzt, bei der Wohnungssuche“, erklärt sie. „Für mich ist das selbstverständlich: Wenn einer Hilfe braucht, dann helfe ich ihm.“ Mit einem ihrer Paten teilt sie sich mittlerweile sogar eine Wohnung: „Er hatte Asyl bewilligt bekommen und eine Wohnung in Aussicht. Als er die dann doch nicht bekommen hat, dachten wir uns: Warum nicht? Und unsere WG funktioniert momentan auch ganz gut.“
Die Familie ihres Mitbewohners jedoch, die lebe noch in Syrien, mitten in der Gefahr. Von Deutschland aus sei es nicht möglich, Visa für die Familie zu erhalten – dazu müsste die Familie in Deutschland vor Ort sein: „Was ich nicht schon alles gemacht habe: mit der Botschaft gesprochen, mit Politikern, mit Ämtern. Wenn die Familie ein Visum bekäme, würde ich mich direkt ins Auto setzen und sie abholen. Aber das geht nicht.“ Auch deswegen sei sie beim Civil March mitgelaufen. „Es ist wichtig, dass Aufmerksamkeit erzeugt wird für das Leid, das die Syrer erleben müssen“, sagt Larissa Pfitzner. „Um das Problem zu lösen, reicht natürlich eine Wanderung nicht aus. Dafür braucht es politische Unterstützung.“ Möglicherweise wächst auch die gerade: In Dresden ist die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping ein Stück mitgelaufen.
Text: Alisa Sonntag
Foto: Amac Garbe
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