Vor 78 Jahren wurde Dresden zur Zielscheibe alliierter Bombenangriffe. In seiner Campuskolumne wirft Tobias Alsleben einen Blick auf die Ereignisse rund um den Jahrestag der Bombardierung am 13. Februar.
„[D]ie Stadt Dresden gibt es nicht mehr. Sie ist, bis auf einige Reste, vom Erdboden verschwunden. Der Zweite Weltkrieg hat sie, in einer einzigen Nacht und mit einer einzigen Handbewegung, weggewischt. Jahrhunderte hatten ihre unvergleichliche Schönheit geschaffen. Ein paar Stunden genügten, um sie vom Erdboden fortzuhexen. […] Achthundert Flugzeuge warfen Spreng- und Brandbomben. Und was übrigblieb, war eine Wüste. Mit ein paar riesigen Trümmern, die aussahen wie gekenterte Ozeandampfer.“
Mit eindrücklichen Worten verarbeitet Erich Kästner in seinen Kindheitsmemoiren „Als ich ein kleiner Junge war“ den Bombenangriff der alliierten Mächte im Zweiten Weltkrieg. 78 Jahre später ist ein erstaunlich großer Teil der emblematischen Dresdner Barockbauten wieder aufgebaut – entgegen allem, was sich Kästner und seine Zeitgenoss*innen 1945 wohl hätten erträumen können.
Auch am Jahrestag der Bombardierung ziehen Tourist*innen durch die Stadt. Gekommen sind sie für die Frauenkirche, für den Zwinger, für die Oper und das Schloss. Für ebendie Gebäude also, die nach einem der verheerendsten Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs zunächst verloren schienen.
Dresden im Ausnahmezustand
Den Erfolg des Wiederaufbaus feiert rund um den 13. Februar, der in diesem Jahr auf einen Montag fällt, aber keine*r. Ganz nach Tradition, so ließe sich zynisch sagen, wird Dresden zu diesem Datum stattdessen erneut zur Schaubühne für einen Kampf um die Erinnerung.
Erstaunlich viele gehen zwar am Samstag zuvor, dem 11. Februar, noch ihren Samstagseinkäufen auf der Prager Straße nach, die heute – anders als zu Kästners Zeiten – eher der Befriedigung allmöglicher Konsumbedürfnisse dient, als mit besonderer Schönheit zu bestechen. In den Schaufenstern jedoch spiegeln sich schon früh die blau blinkenden Lichter der Polizeiwagen, die in ihrer schieren Zahl nicht zu übersehen sind. Auch der bedeckte Himmel leistet seinen Teil: Statt einladend und hell wirkt die Dresdner Innenstadt bedrohlich und düster.
Eine Parallelstraße weiter ist der Ausnahmezustand, in dem sich die Stadt befindet, dann endgültig sichtbar. Als eine der Straßen auf der Strecke zwischen dem Hauptbahnhof und dem Bahnhof Mitte ist die Reitbahnstraße lückenlos abgeriegelt, Polizist*innen mit Helmen und Mundschutz bewachen die eigens eingerichteten Barrikaden aus Stahl. Lange Zeit passiert hier nichts. Dann aber, am Nachmittag, ziehen Neonazis vorbei. Für die bundesweite Szene der Rechtsextremen gilt der sogenannte „Trauermarsch“ in Dresden als wichtigster Termin.
Rennende Demonstrant*innen und Musik von Wagner
Schweigend bewegt sich die Menge durch die Straßen – durch die Boxen dröhnt Musik von Richard Wagner. Am Rand stehen an den wenigen Stellen, an denen das möglich ist, Menschen, die sich dem Zug entgegensetzen. Über eine Telegramgruppe werden sie an diesem Nachmittag per Liveticker koordiniert. Das ist nötig, da die Wegstrecke der Neonazis im Voraus nicht bekannt ist. Auch deshalb beginnen wie aus dem Nichts immer wieder Gegendemonstrant*innen, durch die Straßen zu rennen. Sie möchten schneller sein als die Rechtsextremen – schneller aber auch als die Polizei.
So stürmt am Dippoldiswalder Platz mit einem Mal eine Menge schwarz vermummter Aktivist*innen auf eine Barriere zu – gewillt, diese zu überwinden und den Weg für die Rechtsextremen zu versperren. In Sekundenschnelle stoßen Polizist*innen sie zurück, setzen neben Körperkraft auch Pfefferspray ein. Das Vorhaben scheitert. „Haut ab!“, heißt es, als der rechte Aufmarsch den Platz schließlich erreicht. Und: „Nazis raus!“ Mittelfinger werden in die Höhe gestreckt.
Geschichtsrevisionismus, als Gedenken getarnt
Historiker*innen sind sich einig: Die Bombardements der britischen Luftwaffe in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar sowie der erneute Angriff durch US-amerikanische Flieger im Anschluss kosteten in Dresden bis zu 25.000 Menschen das Leben. Sie ereigneten sich gegen Ende des Kriegs und trafen eine Stadt, die wie jede deutsche Großstadt eng in die Kriegsmaschinerie der nationalsozialistischen Herrschaft eingebunden und darüber hinaus bedeutsamer Verkehrsknotenpunkt und Standort für Militär- und Industrieanlagen war. Weniger eindeutig ist, welche kriegsstrategische Bedeutung die Bombenangriffe auf Dresden konkret – zu ihrem späten Zeitpunkt – besaßen. Verheerend waren sie so oder so: Getötet wurden insbesondere Zivilist*innen.
Besonders letzteres dient Neonazis bis heute als Kern eines Narrativs, das den alliierten Bombenangriff als sinnlosen Angriff auf eine friedvolle Hauptstadt der Künste und der Kultur inszeniert. „350.000 aus purem Hass ermordet“ ist so etwa am 11. Februar auf einem der Banner zu lesen. Um der eigenen Erzählung Kraft zu verleihen, wird die historisch erwiesene Opferzahl regelmäßig mal zehn multipliziert.
Vor allem aber wird auf eine geschichtsrevisionistische, ja, auf eine menschenfeindliche Art schlichtweg der Kontext der Ereignisse totgeschwiegen, ohne den diese nicht erinnert werden können: der grausame Holocaust an sechs Millionen (!) Jüdinnen und Juden und der Zweite Weltkrieg, mit dem ein imperiales NS-Deutschland Europa und die Welt in Chaos und Verderben stürzte.
Wer wirklich die Stimme erhebt
Es verwundert so nicht, dass Polizeibeamt*innen inmitten des Aufmarschs der Rechtsextremen einen Mann festnehmen, der tags zuvor per YouTube-Video den Holocaust leugnete. Was eher verwundert, ist, dass die Stadt die Positionierung gegen die Neonazis voll und ganz einer zivilgesellschaftlichen Initiative überlässt.
Dem Aufruf der städtischen Arbeitsgruppe 13. Februar folgend stellen sich am Montag als „Zeichen gegen Krieg und Zerstörung“ zwar für einen kurzen Moment zehntausend Dresdner*innen zu einer Menschenkette um die Innenstadt zusammen. Zum Auftakt gedenkt Oberbürgermeister Dirk Hilbert nicht nur der Toten des Bombenangriffs, sondern ebenso der Opfer des deutschen Nationalsozialismus (sowie, ganz allgemein, der Opfer „globaler Krisen“); TU-Rektorin Ursula Staudinger ruft dazu auf, die Stimme zu erheben, „wenn die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert werden.“
Tatsächlich die Stimme erheben, das tun aber vor allem die überwiegend jungen Menschen, die sich am Wochenende dem Aktionsbündnis „Dresden Wi(e)dersetzen“ anschließen. Sie sind es, die in Hör- und Sichtweite der Rechten ihre Präsenz zeigen und ihnen am Montag dann doch mit Erfolg den Weg in die Innenstadt verwehren. Statt, wie geplant, auf dem Postplatz müssen diese ihre Gedenkveranstaltung letztlich auf einem Skateplatz durchführen, da Teilnehmer*innen der Zubringerdemos von Antifascista Dresden sowie dem StuRa der TU Dresden kurzerhand den Pirnaischen Platz blockieren.
Ein starkes Signal aus Dresden?
Auffällig ist trotz dieses Erfolgs der insgesamt begrenzte Rückhalt, den die Stadtgesellschaft dem Gegenprotest entgegenbringt. Etwa 800 Gegendemonstrant*innen stehen so am Samstag 1.000 Neonazis gegenüber, getrennt von 1.900 Polizist*innen aus mehreren Bundesländern.
Das friedliche Hand-in-Hand tausender Bürger*innen am Montag mag als starkes Zeichen gegen den Krieg wirken. Die Resonanz auf den diesjährigen Aufruf zur Menschenkette zeigt zudem, wie groß das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Gedenken der erlittenen Verluste auch 78 Jahre nach der Bombardierung verständlicherweise noch ist.
Das gemeinsame Zeichen gegen die Instrumentalisierung der Stadtgeschichte durch Rechtsextreme könnte hingegen stärker sein – durch eine höhere Beteiligung. Nicht von allen müsste dabei konfrontativer Gegenprotest erwartet werden, keine*r wäre dazu gedrängt, Polizeibarrieren zu überwinden oder Straßen zu blockieren.
Die bloße Anwesenheit von Alt und Jung, von politisch links bis konservativ am Rande der rechtsextremen Aufmärsche allein könnte symbolisieren, dass der Protest gegen Faschist*innen nicht nur Anliegen einer Minderheit ist, sondern von der Breite der Gesellschaft getragen wird. Dies wäre gerade zum 13. Februar und gerade aus Dresden ein wichtiges Signal.
Text: Tobias Alsleben
Foto: Amac Garbe