Es darf wieder vor den Laptops gehockt werden. Zumindest bis Sonntag. Denn bis dahin können noch rund 70 Filme des aktuellen Jahrgangs von DOK Leipzig gestreamt werden, nachdem das Festival schon Ende Oktober analog in den Leipziger Spielstätten über die Bühne ging. Man kann sich also an den Preisträgerfilmen orientieren, wenn man nicht weiß, was man gucken will. Oder an unseren vier Filmtipps.
Lo que queda en el camino
Man könnte meinen, die Dokumentarfilme des 64. Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm sind in diesem Jahr besonders kontemplativ angelegt. In „Lo que queda en el camino“ etwa folgen die beiden Regisseure Jakob Krese und Danilo do Carmo der alleinerziehenden Mutter Lilian aus Guatemala und ihren vier Kindern auf der Flucht Richtung USA. In einem Track mit vielen anderen Geflüchteten ziehen sie Kilometer um Kilometer weiter. Mal zu Fuß, mal auf LKWs, die die Menschen mitnehmen. Nachts schlafen sie am Straßenrand. Den gewalttätigen Mann und Vater haben sie zurückgelassen. Doch was sie im Norden erwartet, ist ungewiss.
Krese und do Carmo bleiben immer ganz nah dran an ihrer Hauptprotagonistin, die nicht nur eine Zuflucht, sondern vor allem nach sich selbst sucht. Und das ganz nebenbei, während sie ihre vier Kinder beisammenhält und sich um die Zukunft sorgt. Flucht unaufgeregt, dafür aber nicht weniger eindrücklich.
Father
Nicht weniger ruhig betrachtend geht der chinesische Filmemacher Wei Deng bei seinem Film „Father“ vor. Dieser dreht sich nicht nur um seinen eigenen Vater, sondern auch um dessen Vater. Der ist seit Kindheitstagen blind und hat sich als Wahrsager verdient gemacht. Tagein, tagaus sitzt er auf seinen Polstern oder draußen vor dem Eisentor, berichtet aus der Vergangenheit und sagt keine gute Zukunft für seinen Sohn voraus. Dabei kommt der Enkel seinem Großvater derart nahe, dass man jede Falte seines Gesichts zu kennen scheint und fast meint, seine Gedanken lesen zu können. Und dann sagt er wieder etwas, das die Kluft in der Familie offenbart und die bittersüßen Bande strapaziert.
Familiengeschichte in Reinform, gepaart mit vereinzelten Schlaglichtern auf die chinesische Gesellschaft und Politik, die sich hierin spiegeln. Das hat auch die Jury des DOK Leipzig überzeugt, die dem Dokumentarfilm die Goldene Taube im Internationalen Wettbewerb verliehen hat.
Bucolic
Auch eine Familiengeschichte und mit der Silbernen Taube in ebenjenem Wettbewerb ausgezeichnet: „Bucolic“ des polnischen Regisseurs Karol Pałka. Doch hier sind es Mutter und Tochter, die irgendwo in der Einöde ohne fließend Wasser leben und ein liebend-beißendes Verhältnis zueinander pflegen. Umgeben von unzähligen Tieren, die Mutter Danusia umsorgt und die Basia regelrecht anzuekeln scheinen, gehen sie ihrem Alltagstrott nach. Nur wenn das Handy klingelt, scheint Basia innerlich zu entflammen, doch ihre Sehnsucht wird nicht erhört. Ihre Freiheit sucht sie in der Natur, wenn sie alleine ist. Dort tanzt sie und richtet den Blick in die Ferne und Weite, die im Kontrast zur beengten Behausung steht.
Besonders auffällig ist dabei Pałkas Musikauswahl. Sphärische Klänge kontrastieren mit ländlicher Einöde. Vor allem der Titel „Specially for you“ der ukrainischen Band DAKHABRAKHA wird sich in Eure Gehörgänge graben, während sich die Bilder des Films in Eure Netzhaut brennen.
The Great Basin
Unendliche Weiten. Das ist eins der ersten Dinge, die einem beim Gedanken an den Südwesten der USA in den Sinn kommen. Wüste, Wind und Weite. So auch im Örtchen Ely im Osten des Bundesstaates Nevada. Etwa 400 Kilometer von Las Vegas entfernt, kämpfen die Einwohner:innen seit Jahrzehnten gegen eine Wasserpipeline für die Spielerstadt, die ihnen vor Ort das Wasser abgraben würde. Aber auch die Rechte der Ureinwohner:innen werden nach wie vor mit Füßen getreten, während Waffenbesitz und Kapitalismus ungebrochen als Heilsbringer gelten. Ein Abbild der ländlichen USA, das den American Dream allzu deutlich in Frage stellt – wären da nicht die unendlichen Weiten, die immer und immer wieder träumen lassen. Ein Film von Chivas DeVinck.
Ihr könnt die Filme bis zum 14. November direkt auf der Webseite von DOK Leipzig streamen. Ein Einzelticket kostet 5 Euro, der Festivalpass 50 Euro.
Text: Nadine Faust
Zum Foto: „Lo que queda en el camino“ © Majmun Films