Es gibt Dinge, die ich gut kann. Pizza essen. Mich innerlich über schlechten Service in Restaurants aufregen, aber mich nie beschweren. Trivia zu Filmen zum Besten geben, ohne sie gesehen zu haben. Oder Kunden charmant vermitteln, dass ich gern ein Problem löse, das sie verursacht haben. Und es gibt Dinge, die ich weniger gut kann. Würstchen essen. Im Theater sitzen, ohne 30 Minuten vorher extrem nervös zu werden. Meine Augen so schminken, dass ich nicht aussehe wie ein Pandabär. Und: Englisch. Vor allem, Englisch zu hören und das Gesagte zu verstehen.
In meiner Schulzeit habe ich das Beste abbekommen, das man kriegen kann: In der dritten Klasse war Humpty Dumpty nicht nur ein „funny character“, sondern auch eine verstörende Kombination aus Ei und Clown, dessen Sinn sich mir nie erschlossen hat. Ab Klasse 5 wurde ich mit britischem Schulenglisch verwöhnt und habe die ganze englische Südküste auf einer Landkarte kennengelernt. Obwohl mir erst THE CURE gezeigt haben, wie schön man Klippen nutzen kann, um Liebeslieder zu singen. Ich habe mehr Schuluniformen auf Fotos gesehen, als es Schuluniformen geben kann, und mehr Vokabeln gelernt, als in die frisch renovierte Neue Nationalgalerie in Berlin passen – und über deren beider Sinn man streiten kann. Der wichtigste Berührungspunkt mit englischer Kultur war „She loves you“ von den BEATLES – im Musikunterricht.
Immerhin kann ich Grammatikregeln erklären. Ich kenne die meisten Zeitformen so gut, als würde ich mich täglich mit ihnen zum Kaffeeklatsch auf Skype treffen. Ich habe die feinen Unterschiede zwischen „since“ und „for“ gelernt und ich weiß, wie ich mit Gerundien Sätze abkürzen kann. Und wenn es darum geht, Ausnahmen von der Regel zu erhalten, weil man das ja schon immer so gemacht hat, dann nehmen sich Englisch und Deutsch nicht viel. Obwohl sich mir bis heute nicht erschließt, warum sich das Englische so sehr gegen Kommata wehrt. Während im Deutschen alles übersichtlich gegliedert ist, muss ich im Englischen manche Sätze dreimal lesen, ihren Rhythmus erspüren, Verben und Substantive einander zuordnen, ein paar Worte nachgucken, um dann zu erahnen, was gemeint ist.
Meine größte Schwäche war aber immer das „verstehende Hören“. Welch sinnliches Erlebnis waren doch die alten Lernkassetten, auf denen, untermalt von einem zarten Knistern, Sprecher in schönstem britischen Englisch Sätze vor sich hin murmelten, während der Windschutz gerade weggeweht wurde. Für mich hörte sich das oft so an, als würde ich in einem Wartehäuschen an der Königsbrücker Straße stehen, während der Feierabendverkehr vorbeirauscht, und jemand würde sich auf der Fußgängerbrücke am Industriegelände unterhalten. Dass Tonaufnahmen schon in den 50ern deutlich besser waren, dass es Dialekte und Sprecher gibt, die deutlicher zu verstehen sind, und dass sich mancher Song aus den 80ern klarer anhört als diese Perlen der Bildung, das war Ende der 90er noch nicht angekommen. Vielleicht gab es auch Wichtigeres zu tun – Boybands, Eurodance, Dr. Sommer.
Für mich hörte sich Englisch lange an wie ein Haufen Töne, zwischen denen ich die Pausen nicht finden konnte. Es gab zu viele Umgebungsgeräusche und zu viele Dinge gleichzeitig zu tun. Und ich habe mich schlecht gefühlt, weil ich ausgerechnet bei der einfachsten Tätigkeit – dem Hören – versagte.
Erst später, mit Anfang 20, bin ich das Problem offensiv angegangen – mit Videos. Während YouTube heute mehr Schlagzeilen mit Werberichtlinien und Filtern macht, war das Portal Anfang der 2010er für mich ein Paradies. In Bastelvideos habe ich Englisch nicht nur gehört, es wurde auch etwas gezeigt und manchmal sogar Worte eingeblendet. In vielen Videos konnte ich sogar Untertitel einstellen und so erleben, wie die Worte, die ich sah, klangen. Gleichzeitig lernte ich aber auch, wie Worte in verschiedenen Dialekten wirken, ich bekam ein Gefühl für die Sprache und dachte irgendwann nicht mehr nach. Heute kann man auf Streamingportalen oder DVDs problemlos mitten in der Szene die Tonspur wechseln, aber das steckte damals noch in den Kinderschuhen. Und noch heute gibt es in den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen selten die Möglichkeit, die Sprache einzustellen – oft muss man sich für die deutsche Version oder den Originalton entscheiden. Untertitel sind, wenn vorhanden, meistens auf Deutsch, selten auf Englisch.
Was mich damals gestresst hat und was ich auch heute noch oft höre: Englisch ist wichtig. Die Frage ist: für wen? Im Alltag wende ich Englisch kaum an, und wenn ich in den Urlaub fahre, dann sind die Sprachkenntnisse meiner Mitmenschen ähnlich gering wie meine. Beruflich brauche ich es manchmal, aber dank verschiedener Übersetzungsprogramme ist es nicht notwendig, die Sprache perfekt zu sprechen. Einen Vorteil sehe ich aber, wenn es um Informationen geht. Fake News sind ein Thema, und eine Fremdsprache bietet mir die Möglichkeit, dass ich verschiedene Quellen lesen, noch mehr Meinungen erleben und mir eine eigene bilden kann.
Hat mir eine Fremdsprache rückblickend geholfen? Wäre es sinnvoller gewesen, ich hätte Geige gelernt anstatt zweier Fremdsprachen? Denn Französisch kann ich auch, aber noch schlechter. Ich weiß es nicht. Weil ich drei Sprachkurse und fünf BEATLES-Alben später noch einen anderen Zugang zum Thema gefunden habe – den Klang und die Struktur der Sprachen. Die Erkenntnis, dass die meisten Sprachen wie Gebäude sind – sie sehen unterschiedlich aus, unterliegen aber ähnlichen Regeln. Und auch, dass „Englisch“ viel mehr ist – Geschichte, Architektur, Menschen, die ein Gebiet über Jahrhunderte geformt haben.
Also ärgert Euch nicht, wenn Ihr etwas nicht könnt! Sondern versucht, Euren eigenen Zugang zu finden und den Aspekt zu vertiefen, der Euch daran begeistert! Auch wenn es „nur“ eine Liste aller realen Orte ist, auf denen BEATLES-Songs basieren.
Text: Vivian Herzog
Foto: Amac Garbe