Ich hasse Sport. Zumindest das, was man gemeinhin als „Sport“ bezeichnet. Mir sind die gesundheitlichen und psychischen Folgen körperlicher Betätigung bewusst, aber die meisten Standard-Sportarten sind für mich eher mit Frust verbunden. Ballspiele oder jegliche Tätigkeiten mit fliegenden Objekten fallen für mich flach, weil meine Sehschwäche in Kombination mit meinem Unvermögen, meine Gliedmaßen zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bewegen, dazu führt, dass ich diesen eher ausweiche anstatt zu fangen. Radfahren macht mir Spaß, ist aber auf Dauer zu langweilig für mich. Paartänze gucke ich mir lieber nur an, weil ich mir keine komplexen Schritte merken kann und viele Tänze meiner Erfahrung nach einer relativ klaren Geschlechterordnung folgen. Außerdem gleichen meine Bewegungen weniger einer Schlange als einem Bauklötzchen mit Armen und Beinen. Mein liebster Tanzpartner ist der Kopierer auf der Arbeit. Und mein erster Versuch, dem Jogging zu frönen, endete damit, dass ich dem attraktiven Läufer vor mir hinterherguckte, dabei das richtige Tempo vergaß und mit Seitenstechen auf der Wiese im Großen Garten kapitulierte.
Von Menschen und Mainstream
Joggen ist ohnehin die Sportart, von der ich am meisten höre. Ich kenne Menschen, die ständig über sich und die Probleme der Welt nachdenken und ausgerechnet bei einem 15-Kilometer-Lauf in einen meditativen Zustand geraten, der sie über jeder Widrigkeit schweben lässt. Die sich freuen, wenn sie sich für den ersten Halbmarathon ein Ensemble aus einer neongrünen Sportjacke, einer karminroten Hose und einem leuchtend gelben Stirnband gönnen, dessen Einzelteile jeweils den Wert eines Weihnachtsessens haben. Aber warum Kalorien mit Mühsal verbrennen, wenn man sie auch mit Freude einsammeln kann?
Ich fange beim Joggen an, über mich nachzudenken oder die Nadeln der Bäume im Wald zu zählen oder mich zu fragen, ob 29 Meter Höhe für den Ergänzungsbau des Landtages eine Störung des Canalettoblicks hervorrufen. Ich sehe die Gefahr von Verletzungen infolge falscher Bewegungsabläufe und bin wütend, weil ich so langsam bin, dass mir Rentner mit Rollator wie Drängler vorkommen. Leider bin ich aber auch Teil einer Paarbeziehung mit einem leicht passionierten Jogger. Und so romantisch es auch ist, wenn die bessere Hälfte nach Schweiß duftend zum dritten Date kommt, so quälend ist die ewige Diskussion darüber, warum Laufen für mich keinen Spaß im sportlichen Sinne bringt. Ein Praxistest soll nun entscheiden, ob das Thema für immer in der Schublade bleiben darf.
Windige Angelegenheiten
Daher befinden wir uns an diesem schönen Frühlingsnachmittag, an der die halbe Stadt in Kleingruppen auf den Wiesen verweilt, an der Elbe und gehen in Startposition. Ich habe mich so warm angezogen, dass mir der Wind nicht schadet, aber noch so dünn, dass ich nicht zu schnell schwitze. Nicht, dass ich für diesen Blödsinn noch mit einem Schnupfen bezahle! Ein letztes Mal werfe ich einen Blick auf die Albertbrücke, die ursprünglich 1875 erbaut wurde und die lange Zeit die letzte Elbüberquerung im Osten vor dem Blauen Wunder war. Die nächsten 2,5 Kilometer wird mich die Brücke nur von hinten sehen und anerkennend mit den Sandsteinblöcken knallen.
Die ersten Meter laufen erstaunlich gut. Ich finde schnell mein Tempo und umkurve die anderen Spaziergänger mit Leichtigkeit. An mir vorüber zieht das Neustädter Ufer und mit ihm eine Mischung der Architektur der letzten Jahrzehnte. Von den Schemen des Romain-Rolland-Gymnasiums im Erlwein-Stil über 70er-Jahre-Wohngebäude hin zum schicken Schulneubau aus den 2000ern und den Mauern des Diakonissenkrankenhauses. Direkt vor mir der Fährgarten, der schon existierte, als ich noch ein Wunschtraum meiner Eltern war. Corona-Regel-konform stehen Menschen an und warten auf Kräppelchen und heißen Tee. Doch diesmal gibt es keine warmen Getränke für mich, sondern nur warme Körper, die sich vorwärts quälen.
Die Auen in Johannstadt waren vor zwei Monaten noch Eisfelder, über die man bis zur Innenstadt gucken konnte und mich an alte Postkarten erinnerten. Es geht mir gut. Wir sehen andere Jogger und bewundern ihre Waden. Wie lange muss man laufen, um so gleichmäßige Muskeln zu bekommen? Muss man dafür nur joggen? Dann ist sie endlich da, die Waldschlösschenbrücke. Ein kontroverses Bauwerk, über das man wohl immer noch reden würde, wenn sich das Interesse nicht von Hufeisennasen auf Hutbürger verlagert hätte. Die Waldschlösschenbrücke hat mir gezeigt, wie Bürgerentscheide funktionieren, aber auch, wie eine simple Brücke einen Stadtteil optisch verändern kann, weil aus der kleinen Fetscherstraße plötzlich eine riesige Auffahrt wurde.
Wir laufen die Treppen nach oben und erleben unsere einzige Konfrontation: Ein paar Jugendliche haben sich als Akt der Rebellion und der Gruppendynamik auf die Pfeiler gesetzt, konsumieren zuckerhaltige Mixgetränke und lästern über die, die nicht auf eiskaltem Beton abhängen, sondern sich bewegen. Ich überlege, ob ich sie anmotze oder mir aus Trotz all die Krankheiten vorstelle, die sie sich früher oder später einfangen werden, z. B. einen Schnupfen oder eine Blasenentzündung oder Diabetes. Aber ich entscheide mich dagegen und schiebe mich vorwärts.
Höchster Punkt – Wendepunkt
Auf der Brücke angekommen gönne ich mir einen kurzen Blick über das welterbe-würdige Panorama. Dann geht es weiter. Und das war der Fehler. Diese kurze Pause sorgt dafür, dass mein Körper realisiert, was ich ihm die letzten 30 Minuten angetan habe, und anfängt zu protestieren. Leichter Schmerz macht sich bemerkbar. Meine Begleitung empfiehlt mir eine Atemübung und zieht mich langsam vorwärts. Auf der anderen Elbseite ist das Gras grüner und die Menschen zahlreicher. Die frisch renovierten Bauten in Johannstadt geraten in mein Blickfeld, dann die Hochhäuser, die nachts orange leuchten und mich an Türme am Meer erinnern. Kinderwagen, Inlineskater und Skateboarder teilen den Weg unter sich auf, am Rand Menschen mit Masken auf Bänken.
Abgekämpft mit Abgesang
Meine Motivation sinkt, je näher das Ziel kommt. Die Albertbrücke wird zum Scheinriesen, deren Nähe nur Fassade ist. Der Pavillon kommt in Sichtweite, bald ist es geschafft. Dann der Hügel, hinauf zu den Straßenbahnschienen. Ein kurzer Sprint über die Straße, ein letztes Mal die Federung meiner Schuhe genießen, und dann sind wir an der Kreuzung. Bevor ich darüber nachdenken kann, wie anstrengend das war, folgen Dehnübungen und ein Blick zur Innenstadt. Fünf Kilometer haben wir geschafft. Aber Corona liegt noch immer vor uns. Also kein Belohnungs-Cocktail in meiner Lieblingsbar für mich.
Und mein Fazit? Ich bin erstaunt, dass ich die Strecke durchgehalten habe, aber tatsächlich stellt sich weder das Gefühl der Erlösung noch Entspannung ein. Auch mein Körper fühlt sich nicht anders an. Gemeinsam etwas zu tun, die Elbe bezwungen zu haben, das war intim. Aber es ist keine Tätigkeit, die mich erfüllt. Vielleicht überrede ich meinen Partner im Gegenzug zum Acht-Stunden-Sightseeing in einer fremden Stadt. Oder zu einer Silent-Disco auf meinem Balkon.
Text: Vivian Herzog
Foto: Amac Garbe