Mehrere Mitglieder der Identitären Bewegung studieren am Medieninstitut der Martin-Luther-Universität Halle. Wie geht man damit um, rechten Aktivisten den Umgang mit Medien lehren zu müssen? Lehrende und Studierende fragen sich, wie sie den Identitären begegnen sollen. Und ob.
Bevor Claudia Böttcher am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle arbeitete, kannte sie die Identitäre Bewegung nicht. Mittlerweile hat die Dozentin sie näher kennengelernt, als es ihr eigentlich lieb ist. Die neurechte Identitäre Bewegung ist in Frankreich entstanden, hat heute aber auch in Deutschland gefestigte Strukturen. Das Hausprojekt in Halle — es liegt ausgerechnet in der Adam-Kuckhoff-Straße, die nach einem im Zweiten Weltkrieg ermordeten Antifaschisten benannt wurde — ist ihr derzeit wichtigstes Projekt im deutschsprachigen Raum. Es hat, wie der Rechtsextremismus-Experte David Bergrich im Deutschlandfunk sagte, Modellcharakter. Viele der BewohnerInnen des Hausprojektes studieren an der Martin-Luther-Universität, mindestens vier davon sind am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft eingeschrieben.
Zwei von ihnen hatte Claudia Böttcher in ihren Seminaren sitzen, im April 2017 das erste Mal. In einer Teamsitzung wurde sie vorher darauf hingewiesen, dass Mitglieder der Identitären Bewegung am Institut eingeschrieben seien. Die eigentlich interne Teamsitzung hatte Folgen: Auf dem Instagram-Kanal einer der AktivistInnen tauchte ein Bild des Sitzungsprotokolls auf. „Eines der Dokumente muss versehentlich liegen geblieben sein“, vermutet Böttcher. Die Aktivistin der Identitären Bewegung habe sich in dem Post gefreut, am Institut schon Gesprächsthema zu sein. Seitdem hängen an den Büros der Lehrbeauftragten im Institut Zettel, die als eine Art Statement und Richtlinie dienen sollen. „Wir treten jeder rassistischen und menschenfeindlichen Äußerung entschieden entgegen!“ steht dort seit beinahe einem Jahr.
Medienkenntnisse für die neurechte Bewegung – aus öffentlichen Geldern
Der Kanzler der Universität, Markus Leber, hat sich jedoch lange bedeckt gehalten zur Identitären Bewegung in Halle – obwohl Susanne Vollberg, aktuell Vertretungsprofessorin am Medien-Institut, ihn mehrfach auf die Problematik hingewiesen hat. Erst im Februar 2018 äußerte er sich, etwa zum gleichen Zeitpunkt wie der Stadtrat Halle: „Die Universität darf menschenverachtenden Ideologien keinen Raum geben“, steht in der Stellungnahme der Universität, aber eben auch: „Der akademische Diskurs muss auch unliebsame und Minderheitenmeinungen aushalten.“
Diese Erfahrung musste auch die Dozentin Claudia Böttcher machen. „Sowohl mir als auch den anderen Dozenten bleibt nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass wir Identitäre am Institut haben und sie wie alle anderen Studierenden fair behandeln müssen.“ Aber im Bachelorstudiengang Medien- und Kommunikationswissenschaften in Halle lernen die Studierenden nicht nur Theoretisches zum Umgang mit Medien. „Grundlagen der Mediengestaltung“, „Schreiben für Medien“, „Marketing“ oder „Medienpraxis: Multimedia“ – so sind einige der Lehrveranstaltungen überschrieben. Deswegen bereitet Böttcher das Thema nach wie vor Magenschmerzen. Ihre Sorge: Sie gebe den Studierenden der Bewegung das Werkzeug an die Hand, um die neurechte Bewegung medial positiv darzustellen.
Die Studierenden sehen das weniger kritisch. Max, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, studiert im zweiten Semester Medien- und Kommunikationswissenschaften. Er saß gemeinsam mit einem der Identitären in einem Seminar von Claudia Böttcher. Ihre Sorge findet er übertrieben: „Es ist ja nicht so, dass die Identitären das Wissen, dass die Uni Halle ihnen vermittelt, nicht auch anders bekommen könnten.“ Ähnlich sieht das die 20-jährige Bachelorstudentin Lara, die ebenfalls ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte: „Solange die Identitären nicht versuchen, die Seminare für politische Propaganda zu nutzen, gibt es keinen Grund, sie rauszuschmeißen.“ Sie selbst versuche aber, sich von den identitären Kommilitonen so weit wie möglich zu distanzieren. Max ist es zwar wichtig, zu wissen, wer der Identitären Bewegung angehört und im Ernstfall gegen sie zu argumentieren. „Permanent draufhauen“, wie er es ausdrückt, will er aber nicht. Er habe nicht das Gefühl, dass es den Identitären am Campus darum gehe, neue Mitglieder zu rekrutieren. Die betreffenden Mitglieder der Identitären Bewegung, die für diesen Artikel auch nach einem Interview gefragt wurden, haben sich leider innerhalb der gesetzten Frist von beinahe drei Wochen nicht gemeldet.
Nichts passiert ohne Grund
Wie Max ist auch Böttcher aufgefallen, dass die Identitären sich im universitären Raum eher zurückhalten und nur selten politisch äußern. Nur einmal sei es vorgekommen, dass eine Studierende der Identitären Bewegung sich in der Diskussion nach einem Vortrag angeblich verbal angegriffen gefühlt habe – aus dem Nichts heraus. „Sie ist dann aufgestanden und meinte, sie müsse jetzt mal was loswerden: Sie gehöre auch einer rechtsnationalen Bewegung an.“ Die Dozentin habe eingegriffen und der Studierenden gesagt, sie müsse sich nicht rechtfertigen, keiner habe sie angegriffen – das Ganze sei aber auch nicht Thema des Seminars. Claudia Böttcher und ihre KollegInnen vermuten hinter der Präsenz der Identitären auf dem Campus der Universität Halle eine Absicht. Darin habe die Wissenschaftler auch der Miteinander e.V. bestätigt, den sie konsultiert haben. Miteinander e.V. ist ein Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt, dessen MitarbeiterInnen auch von Erfahrungen der Universität in Magdeburg mit den Identitären berichten können. Böttchers Fazit: „In der Identitären Bewegung passiert nichts ohne Grund. Die wollen hier Präsenz zeigen, vielleicht sogar ein bisschen Angst machen.“ Sie sehe es als die Aufgabe nicht nur der Dozenten, über diese Bewegung aufzuklären und deren Selbstinszenierung ins Wackeln zu bringen. „Ich finde es falsch, die Bewegung als banal abzutun“, meint sie. Stattdessen müssten alle wachsam bleiben und versuchen, ein Zeichen gegen die Identitären zu setzen.
Auch deswegen organisieren Studierende des Master-Studienganges „MultiMedia und Autorschaft“ derzeit im Rahmen eines Seminars bei Claudia Böttcher einen Workshop, bei dem Fragen gestellt werden sollen wie: Inwieweit betreiben Journalisten tatsächlich Aufklärung, wenn sie über Neurechte berichten? Geben Sie den Rechten damit nicht vielmehr eine Plattform? Gemeinsam mit WissenschaftlerInnen und JournalistInnen wollen die Studierenden Methoden erarbeiten, wie beispielsweise die Selbstinszenierung der rhetorisch geübten Identitären aufgedeckt und demontiert werden kann.
Text: Alisa Sonntag
Foto: Amac Garbe