In unserem Wahlspezial befragen wir möglichst unabhängig von eigenen politischen und menschlichen Überzeugungen Kandidaten, die in Dresden für die Bundestagswahl am 24. September kandidieren. In der fünften Folge stellt sich Katja Kipping von der Partei Die Linke unseren Fragen. Katja Kipping ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Partei. Gemeinsam mit Bernd Riexinger hat sie den Parteivorsitz inne und ist somit eine Schlüsselfigur der Bundespolitik. Gleichzeitig ist sie aber auch etwas anderes: Dresdner Bundestagskandidatin für den Wahlkreis Dresden I.
Sie sind bundesweit politisch aktiv – wie ist es da für Sie, in Ihre Heimat und Ihren Wahlkreis zurückzukehren?
Ich war ja nie weg. Insofern ist es kein richtiges Zurückkommen, ich pendele ja zwischen Berlin und Dresden. Und es gehört zu meinen Grundsätzen, nicht nur vor der Wahl, sondern auch danach immer wieder öffentliche Sprechstunden anzubieten. Mit Haustürbesuchen in Prohlis habe ich schon angefangen, als von Wahlkampf noch gar keine Rede war. Und in Dresden ist es auch immer wieder schön! Als Dresdnerin verbinde ich mit verschiedenen Orten in der Stadt verschiedene Etappen meines Lebens. Zum Beispiel der Zwinger: Für andere ist er nur eine Touristenattraktion – ich habe dort meinen ersten Kuss bekommen.
Was würden Sie denn in der neuen Legislaturperiode als erstes in Angriff nehmen?
Als erstes würde ich den Kampf gegen Armut in die Wege leiten. Die Mittelschicht muss bessergestellt werden, wir brauchen eine Kindergrundsicherung und für die Studierenden ein elternunabhängiges BAföG. Hartz IV muss ersetzt werden durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung, so dass niemand unter dem Existenzminimum leben muss und in schlechte Jobs gedrängt wird.
Wir sind ein Medium für junge Leute. Welche Themen, denken Sie, beschäftigen junge Menschen momentan am meisten und wie wollen Sie diese angehen?
Ein Problem ist auf jeden Fall fehlende Planbarkeit. Deswegen wollen wir sachgrundlose Befristungen verbieten – Arbeitsverträge sind keine Quickies. Auch die Arbeitsbedingungen an den Unis sind prekär: 13 von 14 Beschäftigten an Unis unter 45 Jahren arbeiten in einem befristeten Verhältnis. Das erschwert auch die Familiengründung. Eine sichere Grundfinanzierung für die Universitäten durch den Bund würde helfen, damit diese genügend unbefristete Stellen schaffen können. Sowohl in Uni- als auch in Kleinstädten ist auch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ein Problem. Wir wollen deswegen den sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau fördern und Mietspekulation verhindern. Viele junge Menschen politisieren sich zudem gerade in der Auseinandersetzung mit rechts und wissen um die Bedeutung des Klimaschutzes.
Die Open-Science-Kultur, die Sie vorschlagen, klingt vielversprechend. Wie konkret wollen Sie die erreichen?
Ein Knackpunkt dabei ist die ordentliche Entlohnung. Die darf nicht zu kurz kommen, wenn Wissen offen zugänglich gemacht wird. Ein Modell wäre da die Kulturflatrate [Anm. der Red.: Das Modell schlägt vor, dass jeder mit Breitbandanschluss eine Abgabe zahlt, die dann ähnlich wie bei der GEMA proportional nach Downloads an Urheber ausgezahlt wird.]. Jeder Mensch, der eine selbst entwickelte Lösung eines generischen Problems allen anderen Menschen schenkt, verhindert, dass ein Konzern diese Lösung kommerzialisiert. Diese Lösung muss nur mit einer offenen Commons-Lizenz versehen werden und gut auffindbar sein.
Sie wollen Zulassungsbeschränkungen fürs Studium verringern und aufheben, auch ohne Abi soll man studieren können. Aber spielen Sie damit nicht dem Fachkräftemangel in die Hände?
Wir wollen ja gerade eine Aufwertung für viele Berufe, vor allem Pflegeberufe. Das geht zum Beispiel auch über teilweise Akademisierung der Ausbildung. Bei anderen Berufen macht es dann vielleicht mehr Sinn, nur eine akademische Spezialisierung einzuführen. Dennoch ist das Ziel auf jeden Fall nicht, alle auf die Hochschule zu schicken, sondern wir wollen die Pfadabhängigkeit der Bildung in Deutschland durchbrechen. Denn es ist leider immer noch so, dass die meisten, die studieren, Kinder von Akademikern sind. Unser Schwerpunkt ist es, Bildung vom Kontostand der Eltern unabhängig zu machen.
In dem Zusammenhang plädieren Sie auch für elternunabhängiges, rückzahlungsfreies BAföG, das nicht von Leistungsüberprüfungen abhängig ist. Wie wollen Sie sicherstellen, dass das nicht ausgenutzt wird und alle ein paar Semester länger eingeschrieben bleiben als nötig?
Wollen wir, dass Leute einen Beruf ergreifen oder eine Ausbildung anfangen, weil sie müssen, oder wollen wir, dass sie etwas gut und gerne machen? Ich persönlich bin sehr dankbar, dass ich etwas machen kann, das ich als sinnstiftend erlebe und in dem ich gut bin. Deswegen ordnet sich das BAföG bei uns in die sonstigen sozialen Leistungen ein und funktioniert nach dem Prinzip der sanktionsfreien Mindestsicherung.
Da klingt bei Ihnen schon die Verfechterin des bedingungslosen Grundeinkommens durch.
Das ist ein Thema, das in meiner Partei kontrovers, aber mit Begeisterung diskutiert wird. Ich persönlich bin eine glühende Verfechterin des BGE, denn es schafft Freiheit von Existenzängsten. Das bedingungslose Grundeinkommen würde auch die Verhandlungsposition des Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber deutlich verbessern. Denn wer sicher weiß, dass er immer das BGE als sicheren Grund hat, kann eher auch mal nein sagen. Zum Beispiel nein zu schlechten Löhnen und ungesunden Arbeitszeiten. Aber gleichzeitig sehe ich das bedingungslose Grundeinkommen auch als eine Art Demokratiepauschale: Das Geld würde jedem die Möglichkeit und die Zeit bieten, sich einzubringen.
Welches Fazit ziehen Sie aus der vergangenen Legislaturperiode?
Es hat sich gezeigt, dass die große Koalition für Rüstungsexporte auch in Kriegsländer steht. Im Kampf gegen Armut hat sie nichts getan. Das macht deutlich, dass wir in der neuen Legislaturperiode andere Mehrheitsverhältnisse brauchen.
Sie wollen Fluchtursachen bekämpfen, aber Auslandseinsätze stoppen. Wie passt das zusammen?
Hervorragend. Es ist erst einmal nötig, das Falsche zu unterlassen. Und zu dem Falschen, das unbedingt zu unterlassen ist, gehören Rüstungsexporte und Militäreinsätze. Die Bilanz der militärischen Interventionen ist verheerend. Beispielsweise ist der IS ja auch erst als Folge des Irakkrieges stark geworden. Der Einsatz (der USA) dort hat also nicht befriedet, sondern im Gegenteil neue Konflikte geschürt. Und der Einsatz in Afghanistan hat jetzt auch nicht gerade dazu geführt, dass kein Afghane mehr sein Land verlassen muss.
Fluchtursachen bekämpfen bedeutet auch, die Ursachen von Elend und Not in Angriff zu nehmen. Zu diesen gehören die Beteiligung am Land und Ocean Grabbing. Die autoritär durchgesetzten EPA-Freihandelsabkommen mit Afrika tun ihr Übriges, um eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung unmöglich zu machen. Fairer Handel statt Freihandel lautet die Devise. Wir müssen auch ran an den Klimaschutz, denn in Folge des Klimawandels sind demnächst rund 200 Millionen Menschen allein in Afrika von extremer Dürre bedroht. Zu guter Letzt ist uns in dem Zusammenhang auch wichtig, das Grundrecht auf Asyl mit aller Kraft zu verteidigen und Kante gegen rechte Hetze zu zeigen. Dabei hilft auch eine Sozialoffensive für alle.
Das Wahlprogramm der Linken liest sich sehr sozial – aber auch sehr teuer. Woher sollen die Summen kommen, die höhere Rente, höheres BAföG, höhere Arbeitslosenunterstützung bezahlen? Die Reichen- und Vermögenssteuer wird dafür doch sicher nicht ausreichen.
Tatsächlich sind wir die einzige Partei, die wirklich sagt, woher das verwendete Geld kommen soll. Aufwandsneutral übrigens. Alleine, wenn das Aufrüstungsdiktat der NATO wegfiele, würden wir 35 Milliarden Euro im Jahr sparen. Unser alternatives Steuerkonzept würde 180 Milliarden Euro zusätzlich im Jahr einbringen, u. a. mithilfe der Millionärssteuer und stärkerer Besteuerung von Konzerngewinnen. Vielen anderen Parteien fehlt dazu der Mut. Die AfD will sogar richtig Reichtumspflege betreiben, indem sie die Erbschaftssteuer abschafft.
Interview: Alisa Sonntag
Foto: Amac Garbe
Ein Gedanke zu “Wahlspezial: Die Sozialoffensive als Prinzipfrage”